Recyclingsfähigkeit Vom Hürden- zum Kreislauf

Die neuen Mindeststandards zur Bemessung der Recyclingfähigkeit von Verpackungen dürften die leidgeprüfte Kunststoffindustrie freuen: Im Fokus stehen erstmals auch Papier, Pappe und Karton.

Dienstag, 13. September 2022 - Verpackung
Matthias Mahr
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Die Recyclingfähigkeit von Verpackungen bemisst sich seit 2019 an Mindeststandards, die jährlich zum 1. September nach § 21 Absatz 3 des Verpackungsgesetzes von der Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister (ZSVR) im Einvernehmen mit dem Umweltbundesamt neu veröffentlicht werden. Auf die Veröffentlichung wartet nicht nur die Verpackungsbranche gespannt, auch für Handel und Markenartikelindustrie sind die darin neu definierten Hürden zu überspringen. Der Weg zur Kreislaufwirtschaft ist für alle am System Beteiligten sportlich. Nicht alle halten immer Schritt, nicht jeder hält die richtige Spur.

Nun also sind die faserbasierten Verpackungen in den Fokus der Wahrer des Nachhaltigkeitsgedankens geraten. Papier, Pappe und Karton besitzen als Verpackungsmaterial vor allem beim Verbraucher ein absolut grünes Image. Doch jetzt heißt es in einer ZSVR-Mitteilung sehr zugespitzt: „Ein Trend mit faserigem Beigeschmack: Im Zuge des ‚Kunststoff-Bashings‘ werden immer mehr faserbasierte Verpackungen produziert, in denen unter anderem Teigwaren, Kaffee oder Wurst vertrieben werden. Diese suggerieren den Verbrauchern zwar einen ökologischen Mehrwert, lassen sich allerdings in Wahrheit oftmals schlechter recyceln als sortenreine Kunststoffverpackungen.“ Dieser Schlag sitzt. Endet hier der Hype ums Papier als zu bevorzugendes Verpackungsmaterial?

Der Mindeststandard für die faserbasierten Verpackungen verlangt, dass bei Verbundverpackungen (mit Ausnahme von Flüssigkeitskartons), die nicht typischerweise trockene Füllgüter enthalten, nun immer ein Nachweis über die Recyclingfähigkeit erbracht werden muss. Gleiches gilt für Papierverpackungen, die Flüssiges oder Pastöses enthalten. Sprich, die Barriere- oder Sperrschichten, die das Verpacken fettiger, pastöser oder flüssiger Nahrungsmittel erst möglich machen, rücken in den Blick, weil sie möglicherweise den Stoffströmen schaden. Fest steht, die Recyclingfähigkeit von faserbasierten Verpackungen hängt im Wesentlichen davon ab, ob sich die Fasern im Recyclingprozess lösen und anschließend wieder zu neuen Fasern verarbeitet werden können. Dieser Nachweis muss jetzt von den Inverkehrbringern der Produkte geführt werden.

Weiter Weg zur Circular Economy
Die Reyclingfähigkeit von Verpackungen ist ein großes Ziel, das Politik, Umweltverbände und -behörden, Handel, Hersteller und Entsorger nun schon seit über 30 Jahren antreibt. Der Weg scheint weit, das Ziel „Kreislaufwirtschaft“ noch nicht in Sichtweite. Den Marktteilnehmern, die sich im Verpackungsgesetz Systembeteiligte nennen, ist weiterhin das eigene Hemd am nächsten. Ohne gesetzlichen oder politischen Druck bewegt sich wenig. Gerne setzt sich auch in dieser Nahrungskette der Stärkere durch: Der Handel proklamiert, bis 2025 für seine Eigenmarken nur noch Verpackungen einzusetzen, die recycelbar sind oder mindestens 30 Prozent Rezyklat enthalten, beziehungsweise 50 Prozent Kunststoff einzusparen. Aldi setzt noch einen drauf und möchte diese Ziele bereits 2023 erreichen. Globale Markenhersteller wie Nestlé oder Unilever versprechen, alle Verpackungen recyclingfähig, kompostierbar oder wiederverwendbar zu gestalten. Die Entsorger, also die Sortierer der Abfälle, genauso wie die Recycler verstehen sich nach wie vor nur als Empfänger der Leichtverpackungsabfälle aus dem Gelben Sack und den haushaltsnahen Sammlungen. Das erzeugt suboptimale Ergebnisse.

Missverständnisse beseitigen
Der Verbraucher ist das uninformierteste Glied der Kette: Eine gute und nachhaltige Verpackung besteht für ihn aus Papier, Karton oder Pappe. Getränkekarton und Glas sind auch noch ganz gut, aber „Plastik“ ist immer sehr schlecht. Leider sind die Verbraucher immer noch nicht in der Lage, ihre Abfälle richtig getrennt in die dafür vorgesehenen Abfallbehälter zu entsorgen. 30 Jahre gibt es den Gelben Sack bald. Eine Fehlwurfquote von rund 20 Prozent, Verunreinigungen und folglich zu wenig Verpackungen, die in die entsprechenden Sammelsysteme gehen, machen den Sortierern und Recyclern zu schaffen und dadurch auch den dualen Systemen: Die im Verpackungsgesetz festgelegten Quoten sind nur schwer zu erreichen.

Die Verpackungsbranche schließlich soll die Forderungen des Einzelhandels und der Marken erfüllen, aber natürlich ohne zusätzliche Kosten zu verursachen. Zu selten gibt es Projekte auf Augenhöhe. Der Wunsch seitens der Lieferanten ist oft klar formuliert worden: Der Handel sollte nicht nur Forderungen stellen, sondern müsste sich auch mit seinen Eigenmarkenherstellern, der Markenartikelindustrie und den Verpackungsproduzenten an einen Tisch setzen. Dabei müsste das Machbare formuliert und umgesetzt werden.

Kreislaufwirtschaft ist dann möglich, wenn – ausgehend von den Anforderungen des Produkts hinsichtlich Schutz und Logistik – ein minimaler Materialeinsatz erfolgt, der maximal recyclingfähig ist. Das Verpackungsgesetz hat die richtigen Weichen gestellt: Vermeiden, vermindern und verwerten lauten hier die Schlagworte. Das Schließen des Kreislaufs ist aber nur möglich, wenn auch der Wiedereinsatz von Rezyklat stattfindet, hier stehen heute oft noch regulatorische Hürden davor.

Das alles ist bekannt, und trotzdem werden daraus Trends bei den Verpackungen abgeleitet, die nicht als vorteilhaft für das Recycling bewertet werden müssen. Neben Verbundverpackungen seien die zunehmenden PET-Folien und -Schalen sowie beidseitig beschichtete Papierbecher Beispiele für kontraproduktive Entwicklungen in der Verpackungsindustrie, die zulasten der Recyclingfähigkeit gingen, heißt es seitens der ZSVR. Gleiches gelte für den steigenden Anteil von Verpackungen aus Materialien wie Holz, Bambus oder Textilien, die sich als nicht nachhaltig erwiesen hätten – da diese in der Sortierung gar nicht erst aussortiert werden könnten, sei die Recyclingfähigkeit nach Mindeststandard gleich null. Nicht Recycling, sondern Verbrennung markiert hier das Ende eines Zyklus.

Was noch immer fehlt, ist eine Bonifizierungslösung nach dem Verpackungsgesetz. Vielleicht kann dieser ausstehende Ansatz für den Anreiz sorgen, der dem Anschein nach noch fehlt: Nachhaltige Verpackungen müssen endlich deutlich weniger Lizenzgebühr kosten. Ziel muss es sein, endlich vom Hürden- zu einem geschlossenen Kreislauf bei den Verpackungen zu kommen.