Roundtable Nachhaltigkeit Politisches Engagement vermisst - Weitere Fragen

Immer mehr Unternehmen der Ernährungswirtschaft integrieren Nachhaltigkeitsziele in ihre Geschäftsstrategien. Welche Herausforderungen gilt es jedoch zu meistern? Und ist Nachhaltigkeit heute ein Wettbewerbsvorteil? Die LEBENSMITTEL PRAXIS diskutierte mit Branchen-Experten. Ein Fazit: Die Politik muss aktiv werden.

Montag, 07. Oktober 2013 - Management
Reiner Mihr und Bettina Röttig
Artikelbild Politisches Engagement vermisst - Weitere Fragen
Bildquelle: Mugrauer

Es wird beim Thema Nachhaltigkeit stets über den ökologischen Aspekt geredet. Die Herkulesaufgabe ist jedoch, soziale Aspekte einzubeziehen. Wie gewichten Sie die Dimensionen der Nachhaltigkeit?
Wagner: Bei Unilever werden sozialen Aspekten das gleiche Gewicht beigemessen wie ökologischen. Ein Beispiel: Wir haben uns zum Ziel gesetzt, rund 500.000 Kleinbauern in unsere Lieferkette aufzunehmen, sie zu unterstützen – und ihnen natürlich auch ein ganz neues Marktpotenzial zu bieten. Auch hier stehen wir dann natürlich vor der Frage, wie können wir all dies für den Konsumenten begreifbar machen? Helfen anerkannte Zertifikate?

Büchel: Auch wir schauen uns bei den Rohstoffen alle Aspekte an – soziale wie ökologische –, machen eine Hotspot-Analyse, die bereits bei der Landwirtschaft anfängt. Dabei geht es beispielsweise um Klimagase, Landnutzungsänderungen, Löhne, Kinderarbeit, Arbeitsschutz etc. Oft haben wir allerdings alleine nicht die Möglichkeit, Dinge grundsätzlich zu verändern, daher müssen wir Branchenlösungen für viele Bereiche finden. Das haben wir im Falle von Palmöl z.B. getan.

Naumann: Das, was bisher bewegt wurde, haben Lebensmittelhandel und -industrie gemeinsam geschafft. Ich bin jedoch maßlos enttäuscht, dass die Politik nicht dabei ist. Vielmehr geht es z. T. in die falsche Richtung. In unserer Gegend haben wir beispielsweise mittlerweile fünf Biogasanlagen. Wir benötigen dringend Getreide für unsere Ernährung. Stattdessen wird hier Getreide verbrannt und noch dazu entstehen Monokulturen, was weitere ernsthafte Probleme mit sich bringt.

Ehlers: Das sehe ich genauso. Solche Negativanreize müssen zurückgenommen werden. Wir verändern nur etwas, wenn auch klare Rahmenbedingungen gesetzt werden. Hier muss die Politik mit aktiv werden. Beispielsweise müssen diejenigen Unternehmen, die sich engagieren und verantwortungsvoll handeln, auch dafür belohnt werden!

In den vergangenen Jahren war immer wieder die Rede von einem offiziellen Nachhaltigkeitssiegel, ähnlich dem Bio-Siegel. Wünschen Sie sich dieses?
Büchel: Ganz klar, ein sortimentsübergreifendes Nachhaltigkeitslabel, ein Dach sozusagen, würde uns helfen. Noch ist dieses aber nicht in Sicht. In einigen Bereichen nicht mal Standards und Zertifizierungen, in anderen, wie bei Kakao und Kaffee, gibt es gleich eine ganze Reihe. Wenn man die Reihe an existierenden Labels vergleicht, ist es zudem so, dass unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden. Manchmal stehen soziale Aspekte im Fokus, manchmal ökologische. Aus diesen Gründen haben wir unser Pro Planet-Label und unsere eigene Herangehensweise entwickelt.
Ehlers: Ich fände es ebenso begrüßenswert. Die Standards und deren Einhaltung müssten jedoch zwingend von unabhängiger Seite kontrolliert werden.

Aktuell ist vor allem der Aspekt Tierwohl im Fokus. Wenn man sich jedoch die Handzettel jede Woche betrachtet, sieht man z.B. jede Menge Fleisch zu günstigen Preisen. Nachhaltig ist das nicht.
Kappe: Wir müssen kleine Schritte gehen. Es muss sich schließlich etwas in den Köpfen verändern, wir müssen die Verbraucher mitreißen, auch beim Thema Tierwohl. Das geht nicht von heute auf morgen. Noch benötigen wir daher auch preisgünstige Angebote.
Büchel: Das Thema Tierwohl wird zusehends wichtiger. Wichtig ist, dass wir gemeinsam Verbesserungen hinbekommen. Zunächst müssen z.B. die Besatzdichten runter. Das wird langfristig zwangsläufig Effekte haben auf den Preis. Wir können jedoch nicht alleine Veränderungen bewirken. Der Markt für Schweinefleisch bspw. ist ein Teilstückemarkt, hier müssen wir gemeinsam Veränderungen anstoßen.
Ehlers: Wir beziehen bereits seit langem Hähnchenfleisch aus einem voll integrierten Betrieb mit einer deutlich geringeren Besatzdichte als es der Gesetzgeber vorschreibt, und das hat eben auch seinen Preis.

Ist Nachhaltigkeit in allen Facetten heute eher ein Wettbewerbsvorteil oder -nachteil? Wie sieht es in der Zukunft aus?
Ehlers: Noch machen es Handelsmarken einigen Markenartiklern zum Teil vor, aber ich bin der Überzeugung, insbesondere für die Markenartikelindustrie wird Nachhaltigkeit eindeutig ein Vorteil werden. Zudem wird Nachhaltigkeit den Qualitätsbegriff erweitern. Wir müssen dahin, dass einer nachhaltiger sein will als der andere.

Wagner: Wir sehen Nachhaltigkeit ganz klar als Vorteil: Immer mehr Verbraucher wollen nachhaltige Produkte, nachhaltiges Engagement, der Handel fordert es. Auf der anderen Seite kann nachhaltiges Wirtschaften zu Kosteneinsparungen führen und die Innovationsleistung ankurbeln. Global betrachtet verändert das Thema Nachhaltigkeit Märkte, langfristig sichert es die Rohwarenversorgung.

Naumann: Ich meine, Nachhaltigkeit wird irgendwann zum Vorteil, an manchen Standorten ist sie es möglicherweise schon jetzt. Aber viel wichtiger: sie ist alternativlos. Wenn wir nichts ändern, werden die nächsten Generationen mit ernsthaften Problemen kämpfen. Ich werde mein Bestes tun, um etwas zu verändern.

Büchel: Unternehmen mit einer nachhaltigen Unternehmenskultur werden in jedem Fall Vorteile haben, nicht nur im Vertrauen der Kunden sondern auch im Wettbewerb um die besten Nachwuchskräfte. Wer sich glaubwürdig und transparent aufstellt, bekommt ganz andere Bewerber.

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Bild öffnen Roundtable: Immer mehr Unternehmen der Ernährungsbranche integrieren Nachhaltigkeitsthemen. Sie vermissen aber das Engagement der Politik.
Bild öffnen „Nachhaltiges Wirtschaften kann zu Kosteneinsparungen führen und die Innovationsleistung ankurbeln.
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