Einkaufen mit Thomas Gutberlet Chancen nutzen und Grenzen erkennen

Tegut-Vorstandschef Thomas Gutberlet im Gespräch mit der LEBENSMITTEL PRAXIS über Multichannel-Konzepte und Zukunftsthemen für den Lebensmittelhandel.

Mittwoch, 18. April 2012 - Management
Bettina Röttig
Artikelbild Chancen nutzen und Grenzen erkennen
Bildquelle: Stefan Mugrauer

Sie selbst sind Fan mobiler Kommunikationstechnik. Wie bedeutend werden Apps, QR-Codes und Co. im Lebensmittel-Einzelhandel bzw. für Tegut?
Ich denke, die Bedeutung wird definitiv zunehmen. Wir sehen immer mehr? Verbraucher mit ihren Smartphones im Laden. Noch ist vieles eher Spielerei, aber so haben ja viele Dinge begonnen. ?Prospekte werden z. B. mit Sicherheit künftig mehr über das iPad gelesen. Dann ist der Schritt zur Online-Bestellung auch nicht mehr groß. Wir haben bereits Tests mit QR-Codes am Regal durchgeführt. Vor allem ging es dabei darum, weitere Informationen zur Herstellung etc. zur Verfügung zu stellen. Dabei ist die Spielwiese unglaublich groß.

Wie sieht es mit moderner Technik für den stationären Handel aus. Werden sich  Tunnelscanner und Co. irgendwann durchsetzen?
Ein Tunnelscanner ist nur dann interessant, wenn ich sehr langsame Kassiererinnen habe. Der Kunde wird natürlich jede Technik schätzen, die ihm eine Erleichterung bringt, solange er sich nicht einem Technik-Ungetüm gegenüber sieht. Es gibt aber nach wie vor Verbraucher, die sich schon fragen, was der normale Scanner mit der Ware macht. Ich denke ein Teil der Technik wird gewisse Vorteile bringen, ein Teil wird jedoch irgendwann an den Individualisierungen der Sortimente scheitern. Je individueller das Sortiment, desto schwieriger wird es für den Händler z.B. mit Tunnelscannern zu arbeiten. Was jedoch viel bewirkt, ist der rückwärtige Bereich, also alles, was in Richtung Prozesserleichterung, geschlossenes Warenwirtschaftssystem und automatische Disposition geht. Hier hat sich viel bewegt. Der Kunde muss sich nicht mit der Technik auseinandersetzen, genießt aber dennoch deren Vorteil.

Welche Themen werden uns auf Sortimentsebene weiterhin bzw. stärker beschäftigen?
Das Thema Regionalität wird uns weiterhin beschäftigen. Allerdings wird auch hier der Verbraucher kritischer. Die Schwierigkeit ist natürlich noch immer die fehlende Definition von Regionalität. Ich denke, ein Regionalfenster wäre ein guter Schritt.

Was ist mit Convenience?
Bei Convenience ist irgendwann eine ?Sättigungsgrenze erreicht. Je komplexer ein Produkt und je höher sein Convenience-Grad, desto weniger Individualität ist möglich. Ich denke, es geht eher dahin, dass man solchen Produkten selbst noch seine persönliche Note geben möchte, und auch hin zu kleineren Einheiten, um Abfall zu reduzieren.

Das heißt, die Diskussion um Lebensmittelverschwendung bleibt aktuell?
Ich bin überzeugt, das Thema Lebensmittelverschwendung wird eine höhere Dynamik erhalten. Derzeit ist die Diskussion vor allem moralisch motiviert. Wir werden aber mit höheren Lebensmittelpreisen konfrontiert werden. Damit wird das Thema auch wirtschaftlich relevant. Wenn wir umgerechnet 90 Prozent unserer Anbaufläche zurzeit nicht für die Ernährung, sondern für die Erzeugung von Energie in irgendwelchen Äquivalenten verwenden, dann gibt es Druck auf die Lebensmittelpreise. Wenn wir eine Gesetzgebung haben, die nur nachwachsende Rohstoffe und nicht einmal Abfall zur Bioenergiegewinnung bevorzugt, aufgrund der Förderanlagen, ist dies ein unglaublich virulentes Thema. Ich bin davon überzeugt, je höher die Lebensmittelpreise, desto mehr werden sich die Menschen dafür interessieren, warum sie überhaupt etwas wegwerfen. Dann kommen wir wieder zu dem Thema, wie viel ich über Lebensmittel weiß und wie ich mit ihnen umgehe.

Ist das ein Thema, das der Lebensmittelhandel stärker anpacken muss?
Die Diskussion rund um das MHD ist ja eigentlich eine Verschiebung der Verantwortung auf eine Garantie, die mich davor bewahren soll, selbst urteilen zu müssen. Diese Beurteilungsfähigkeit wird uns noch sehr beschäftigen. Die Mitarbeiter im Handel müssen die Expertenrolle künftig noch stärker ausfüllen und Entscheidungen treffen. Das Erlebnis „Ich lerne etwas beim Einkauf“ wird für Verbraucher wichtig werden, um eigenständige Entscheidungen treffen zu können. Wir müssen also intelligente Informationswege finden, um unser Wissen den Kunden zu vermitteln. Das ist auch eine Chance für Händler, sich beim Kunden als kompetenter Anbieter zu profilieren.

Wichtiges Zukunftsthema für den Handel ist und bleibt der Faktor Mitarbeiter. Es wird ja nicht leichter, Nachwuchs im Handel zu finden…
Der Lebensmittel-Einzelhandel ist ein sehr lebendiger Arbeitsplatz, man hat viel mit Menschen zu tun. Die langen Ladenöffnungszeiten sind natürlich ein Faktor, der den Handel als Arbeitgeber eher unattraktiv macht. Zudem ist es nun einmal so, dass aufgrund der sinkenden Geburtenrate in Deutschland insgesamt weniger junge Menschen auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Es bringt? also eigentlich wenig, an das eine Ende zu schauen. Wichtig ist für die Zukunft, dass wir Prozesse schaffen, die gewährleisten, dass unsere Mitarbeitenden auch noch mit 65 oder 67 etwas leisten können, ohne körperlichen Schaden davon zu tragen.

Wie wollen Sie diese Aufgabe lösen? Natürlich gibt es bei Tegut Gesundheitsmaßnahmen. Darüber hinaus überlegen wir gemeinsam mit unserem Betriebsrat in verschiedene Richtungen, z. B. denken wir über „Zeitgutschriften“ nach, die Möglichkeit, in der Jugend mehr zu arbeiten, sich also eine Art Polster zu schaffen, auf das man im Alter zurückgreifen kann, um dann weniger arbeiten zu müssen.

Fakten zur Person
Thomas Gutberlet (42) stieg 1998 in das 1947 von seinem Großvater gegründete Unternehmen Tegut ein.
Am 30. August 2009 übernahm er den Vorstandsvorsitz von seinem Vater Wolfgang Gutberlet.
Bildquelle: Stefan Mugrauer

Bilder zum Artikel

Bild öffnen Chancen für den Online-Lebensmittelhandel sieht Thomas Gutberlet für Spezialitäten.
Bild öffnen Tegut arbeitet an alternativen Arbeitszeitmodellen für seine Mitarbeiter.