Einkaufen mit Thomas Gutberlet Chancen nutzen und Grenzen erkennen

Tegut-Vorstandschef Thomas Gutberlet im Gespräch mit der LEBENSMITTEL PRAXIS über Multichannel-Konzepte und Zukunftsthemen für den Lebensmittelhandel.

Mittwoch, 18. April 2012 - Management
Bettina Röttig
Artikelbild Chancen nutzen und Grenzen erkennen
Tegut arbeitet an alternativen Arbeitszeitmodellen für seine Mitarbeiter.
Bildquelle: Stefan Mugrauer

Herr Gutberlet, zurzeit werden verschiedenste Multichannel-Konzepte für den LEH getestet, vom Online-Shop über Drive-in-Lösungen bis hin zu virtuellen Supermärkten über QR-Codes. Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten ?solcher Modelle ein?
Thomas Gutberlet: Im Grunde weiß noch keiner, ob und wie erfolgreich diese Konzepte sein werden. Aber das macht es ja so spannend, auf diesem Gebiet zu forschen. Als besonders viel versprechend bewerte ich Tescos Versuch des virtuellen Supermarkts per QR-Codes. Dabei wird der Besucher in einer Situation angesprochen, in der er Zeit hat, vielleicht sogar gelangweilt ist. Zudem hat er die gleiche schnelle visuelle Wahrnehmung wie im Supermarkt

Wie sieht es mit dem Potenzial für Online-Shops aus? Laut einer Studie von A.T. Kearney haben 82 Prozent der Verbraucher noch keinerlei Erfahrung mit dem Online-Kauf von Lebensmitteln.
Betrachtet man Online-Shops eher nüchtern, haben sie im Grunde den Versand-Katalog abgelöst. Früher haben viele Verbraucher Kleidung per Katalog bestellt, heute funktioniert dies sehr gut über Webshops. Lebensmittel haben damals auch im Katalog eine unbedeutende Rolle gespielt, abgesehen von Spezialitäten. Diese Verteilung spiegelt sich heute im Internet wider. Besondere Produkte, die man sonst kaum bekommt, ein lange? gereifter Balsamico-Essig z. B., lassen sich dort durchaus verkaufen. Seinen Wocheneinkauf wird aber auch in naher Zukunft keiner online erledigen wollen

.Über Amazon kann man aber mittlerweile beispielsweise auch Drogeriewaren von DM beziehen.…
DM hat einen sehr ausgeklügelten Logistikprozess, um beispielsweise sein Toilettenpapier in die Märkte zu liefern. Es kann nicht wirtschaftlich sein, dieses zum gleichen Preis über den Direktversand verschicken zu lassen. Das rechnet sich erst, wenn noch einiges zusätzlich bestellt wird. Ich bin der Meinung, Amazon ist vor allem ein Medium, über das ich besondere oder neue Produkte entdecke, z. B. über die Empfehlungen. Jedes Produkt einzeln zu suchen und mich an Namen und Marke erinnern zu müssen, ist zu mühsam. Online-Shops für Lebensmittel können nur dann funktionieren, wenn sie Vorteile oder vergleichbare Leistungen zum stationären Handel bieten.

Zum Beispiel?
In eine CD kann ich bei Amazon reinhören, bevor ich mich für den Kauf entscheide. Diese Möglichkeiten des Erlebens und Prüfens habe ich beim Online-Kauf von Lebensmitteln und Drogeriewaren im ersten Schritt nicht. Zudem fehlt beim Online-Shopping die Schnelligkeit, die Spontaneität. Bleiben wir bei der CD: Heute muss ich ja nicht mehr auf das Paket vom Online-Händler warten, ich kann mir die CD sofort downloaden. Wenn ich jetzt spontan für Freunde kochen möchte, benötige ich die Produkte sofort

.Trotzdem sind Sie selbst in den Online-Handel eingestiegen, in Kooperation mit Gourmondo. Welche Erfahrungen haben Sie bisher gemacht?
Interessant wird es, wenn ich online ?besondere Spezialitäten finde. Über Gourmondo bzw. die Tegut-Genusswelt bieten wir Produkte an, die wir nicht immer oder nicht mehr in den Märkten haben, da sie zum größten Teil so speziell sind, dass es sich nicht lohnen würde, diese in 300 Märkten ganzjährig vorrätig zu haben. Hier können wir z. B. 50 Sorten Champagner anbieten, im Laden stehen dann vielleicht vier Sorten. Auch wenn wir ein Produkt vielleicht nur einmal verkaufen, ist das in Ordnung. Wir müssen es ja auch nur einmal am Lager haben. Insgesamt läuft das Geschäft mit Gourmondo gut, es ist natürlich jahreszeitlich geprägt. Besonders stark ist das Geschäft an Festtagen wie Weihnachten und Ostern.

Wer trägt das wirtschaftliche Risiko?
Das wirtschaftliche Risiko liegt immer auf beiden Seiten.

Rewe, Real und Globus testen Drive-in- bzw. Click-and-Collect-Konzepte. Ist so etwas auch für Tegut denkbar?
Wir schauen uns die Tests erst einmal an, lassen andere ihre Erfahrungen sammeln. Wir haben in den letzten 20 Jahren schon die unterschiedlichsten Dienstleistungen und Lieferservices getestet. Jetzt fokussieren wir uns erst einmal darauf, die Tegut-Genusswelt weiter voranzubringen. Zudem testen wir im Nonfood-Bereich. Im Moment haben wir noch ein getrenntes Nonfood-Sortiment. Im Flugblatt z. B. bewerben wir zum einen Artikel, die in den Märkten stehen, und zum anderen Nonfood, das man online bestellen kann. Das Ziel und gleichzeitig die Herausforderung für uns ist, die Artikel in großen Märkten auch auf der Fläche anzubieten, in kleinen Märkten aber Platz zu sparen, ohne dass der Kunde auf den Service verzichten muss. Hier kann der Kunde die Nonfood-Artikel dann bestellen. 


Sie selbst sind Fan mobiler Kommunikationstechnik. Wie bedeutend werden Apps, QR-Codes und Co. im Lebensmittel-Einzelhandel bzw. für Tegut?
Ich denke, die Bedeutung wird definitiv zunehmen. Wir sehen immer mehr? Verbraucher mit ihren Smartphones im Laden. Noch ist vieles eher Spielerei, aber so haben ja viele Dinge begonnen. ?Prospekte werden z. B. mit Sicherheit künftig mehr über das iPad gelesen. Dann ist der Schritt zur Online-Bestellung auch nicht mehr groß. Wir haben bereits Tests mit QR-Codes am Regal durchgeführt. Vor allem ging es dabei darum, weitere Informationen zur Herstellung etc. zur Verfügung zu stellen. Dabei ist die Spielwiese unglaublich groß.

Wie sieht es mit moderner Technik für den stationären Handel aus. Werden sich  Tunnelscanner und Co. irgendwann durchsetzen?
Ein Tunnelscanner ist nur dann interessant, wenn ich sehr langsame Kassiererinnen habe. Der Kunde wird natürlich jede Technik schätzen, die ihm eine Erleichterung bringt, solange er sich nicht einem Technik-Ungetüm gegenüber sieht. Es gibt aber nach wie vor Verbraucher, die sich schon fragen, was der normale Scanner mit der Ware macht. Ich denke ein Teil der Technik wird gewisse Vorteile bringen, ein Teil wird jedoch irgendwann an den Individualisierungen der Sortimente scheitern. Je individueller das Sortiment, desto schwieriger wird es für den Händler z.B. mit Tunnelscannern zu arbeiten. Was jedoch viel bewirkt, ist der rückwärtige Bereich, also alles, was in Richtung Prozesserleichterung, geschlossenes Warenwirtschaftssystem und automatische Disposition geht. Hier hat sich viel bewegt. Der Kunde muss sich nicht mit der Technik auseinandersetzen, genießt aber dennoch deren Vorteil.

Welche Themen werden uns auf Sortimentsebene weiterhin bzw. stärker beschäftigen?
Das Thema Regionalität wird uns weiterhin beschäftigen. Allerdings wird auch hier der Verbraucher kritischer. Die Schwierigkeit ist natürlich noch immer die fehlende Definition von Regionalität. Ich denke, ein Regionalfenster wäre ein guter Schritt.

Was ist mit Convenience?
Bei Convenience ist irgendwann eine ?Sättigungsgrenze erreicht. Je komplexer ein Produkt und je höher sein Convenience-Grad, desto weniger Individualität ist möglich. Ich denke, es geht eher dahin, dass man solchen Produkten selbst noch seine persönliche Note geben möchte, und auch hin zu kleineren Einheiten, um Abfall zu reduzieren.

Das heißt, die Diskussion um Lebensmittelverschwendung bleibt aktuell?
Ich bin überzeugt, das Thema Lebensmittelverschwendung wird eine höhere Dynamik erhalten. Derzeit ist die Diskussion vor allem moralisch motiviert. Wir werden aber mit höheren Lebensmittelpreisen konfrontiert werden. Damit wird das Thema auch wirtschaftlich relevant. Wenn wir umgerechnet 90 Prozent unserer Anbaufläche zurzeit nicht für die Ernährung, sondern für die Erzeugung von Energie in irgendwelchen Äquivalenten verwenden, dann gibt es Druck auf die Lebensmittelpreise. Wenn wir eine Gesetzgebung haben, die nur nachwachsende Rohstoffe und nicht einmal Abfall zur Bioenergiegewinnung bevorzugt, aufgrund der Förderanlagen, ist dies ein unglaublich virulentes Thema. Ich bin davon überzeugt, je höher die Lebensmittelpreise, desto mehr werden sich die Menschen dafür interessieren, warum sie überhaupt etwas wegwerfen. Dann kommen wir wieder zu dem Thema, wie viel ich über Lebensmittel weiß und wie ich mit ihnen umgehe.

Ist das ein Thema, das der Lebensmittelhandel stärker anpacken muss?
Die Diskussion rund um das MHD ist ja eigentlich eine Verschiebung der Verantwortung auf eine Garantie, die mich davor bewahren soll, selbst urteilen zu müssen. Diese Beurteilungsfähigkeit wird uns noch sehr beschäftigen. Die Mitarbeiter im Handel müssen die Expertenrolle künftig noch stärker ausfüllen und Entscheidungen treffen. Das Erlebnis „Ich lerne etwas beim Einkauf“ wird für Verbraucher wichtig werden, um eigenständige Entscheidungen treffen zu können. Wir müssen also intelligente Informationswege finden, um unser Wissen den Kunden zu vermitteln. Das ist auch eine Chance für Händler, sich beim Kunden als kompetenter Anbieter zu profilieren.

Wichtiges Zukunftsthema für den Handel ist und bleibt der Faktor Mitarbeiter. Es wird ja nicht leichter, Nachwuchs im Handel zu finden…
Der Lebensmittel-Einzelhandel ist ein sehr lebendiger Arbeitsplatz, man hat viel mit Menschen zu tun. Die langen Ladenöffnungszeiten sind natürlich ein Faktor, der den Handel als Arbeitgeber eher unattraktiv macht. Zudem ist es nun einmal so, dass aufgrund der sinkenden Geburtenrate in Deutschland insgesamt weniger junge Menschen auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Es bringt? also eigentlich wenig, an das eine Ende zu schauen. Wichtig ist für die Zukunft, dass wir Prozesse schaffen, die gewährleisten, dass unsere Mitarbeitenden auch noch mit 65 oder 67 etwas leisten können, ohne körperlichen Schaden davon zu tragen.

Wie wollen Sie diese Aufgabe lösen? Natürlich gibt es bei Tegut Gesundheitsmaßnahmen. Darüber hinaus überlegen wir gemeinsam mit unserem Betriebsrat in verschiedene Richtungen, z. B. denken wir über „Zeitgutschriften“ nach, die Möglichkeit, in der Jugend mehr zu arbeiten, sich also eine Art Polster zu schaffen, auf das man im Alter zurückgreifen kann, um dann weniger arbeiten zu müssen.

Fakten zur Person
Thomas Gutberlet (42) stieg 1998 in das 1947 von seinem Großvater gegründete Unternehmen Tegut ein.
Am 30. August 2009 übernahm er den Vorstandsvorsitz von seinem Vater Wolfgang Gutberlet.
Bildquelle: Stefan Mugrauer

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