Lebensmitteleinzelhandel im Gegenwind – und der wird so schnell nicht abflauen. Im Gegenteil: Möglicherweise wird ein heftiger Sturm daraus. Die Rede ist von der Diskussion über eine angeblich zu starke Marktmacht der großen LEH-Player. Und die wird immer schärfer geführt.
Ein Ausdruck davon sind die Blockaden von Zentrallagern und Logistikzentren des LEH, die sich seit Jahresbeginn auffällig häufen. Im Februar traf es zum Beispiel Rheinland-Pfalz besonders heftig. Traktoren und Lastwagen machten mindestens zehn Einrichtungen von Aldi, Lidl, Netto, Edeka und Globus dicht. Ähnlich wie bei anderen Blockadeaktionen der vergangenen Wochen beobachtete die Polizei hier zum Teil eine relativ aggressive Grundstimmung und das Phänomen von schwer greifbaren, wenig dialogbereiten Organisatoren. Dieser Protest wird unter anderem von dem Verband „Freie Bauern“ unterstützt.
Im LP-Gespräch verlangt Politik-Referent Reinhard Jung ein „höheres Tempo beim Wiederherstellen des Wettbewerbs in der Lebensmittelbranche“. Für einen funktionierenden Wettbewerb brauche es hierzulande mindestens 50 Supermarktketten statt lediglich einer Handvoll, lautet die Position des Zusammenschlusses.
Kampagnen- und lautstarke Widersacher
Passend zu dem Blockade-Plus hat die „Initiative Konzernmacht beschränken“ Ende Januar eine bundesweite Kampagne gestartet, die auf „klare Maßnahmen gegen die Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels“ setzt. Die Initiative wird von rund 30 Verbänden getragen. Darunter sind so kampagnen- und lautstarke Organisationen wie die Deutsche Umwelthilfe, der Bund für Umwelt- und Naturschutz sowie Slow Food Deutschland. „Strukturelle Maßnahmen wie die Aufspaltung der Supermarktketten sollten erwogen werden“, betonte Kampagnen-Sprecher Ulrich Müller beim Startschuss zum Abschluss der Grünen Woche in Berlin. Müller und seine Gleichgesinnten stärken Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) den Rücken, der die Monopolkommission auf den LEH angesetzt hat. Zusätzlich wollen sie eine erneute Sektoruntersuchung der Wettbewerbssituation erreichen, eine Ombuds- und Preisbeobachtungsstelle schaffen lassen und ein Gebot des Kaufs zu kostendeckenden Preisen entlang der gesamten Lieferkette bewirken.
Noch ungemütlicher wird die Marktmacht-Diskussion für den LEH dadurch, dass selbst aus dem konservativen Lager Stimmen für mehr Daumenschrauben lauter werden. Einer der Wortführer in diesem politischen Spektrum ist der CDU-Mann Peter Hauk. Er amtiert in Baden-Württemberg im Kabinett des Grünen Winfried Kretschmann als Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz. Im Januar legte der Politiker eine Studie der Landesanstalt für Landwirtschaft, Ernährung und Ländlichen Raum vor. Diese hatte für rund 20 Lebensmittel die Erzeuger- und Verbraucherpreise analysiert. Dabei richtete sie den Blick auf den langen Zeitraum von 2014 bis 2023. In dem Preisvergleich wurden zwei Kennwerte errechnet: Zum einen ging es um die Spanne, die die gesamte Wertschöpfungskette umfasst, und zum anderen um den prozentualen Anteil der Erzeugererlöse am Verbraucherpreis. Das Kernergebnis der Studie: Die Landwirtschaft sei kein Inflationstreiber.
Bei der Vorlage der Untersuchungsresultate nahm der Minister, der als Ex-Fraktionschef als einer der einflussreichsten CDU-Leute im Ländle gilt, kein Blatt vor den Mund. Er kritisierte den Handel deutlich: „Insgesamt ist festzustellen, dass Phasen temporär höherer Erzeugerpreise oft für das Anheben der Verbraucherpreise genutzt wurden. Rückläufige Erzeugerpreise beziehungsweise Schwächephasen wurden dagegen preislich seltener und zum Teil verzögert an die Verbraucher weitergegeben.“
„Oligopol im Handel vertieft untersuchen“
Peter Hauk weiter: „Wer mit regionalen Produkten wirbt, muss auch konsequent hochwertige regionale Produkte anbieten und nicht den Fokus auf den Wettbewerb mit den Mitbewerbern um das jeweils preisgünstigste Produkt legen. Eine wertschätzende Partnerschaft mit den Erzeugern sollte selbstverständlich sein.“ Nachhaltig sei sie auf jeden Fall. Hauk setzt sich unter anderem für die Gründung eines Marktbeirates ein. Dieser würde auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse die Erzeuger-, Produkt-, Produktions- und Verkaufspreise „neutral bewerten“. Außerdem müsse „das Oligopol im Handel vertieft untersucht“ werden, fordert der Christdemokrat. Die Studie will der Minister fortführen und noch mehr ins Detail gehen. Ziel: die Flügel der führenden Akteure im LEH stutzen.
Kommentar von Thomas Klaus
Marktmacht-Gegner auch mit Wackel-Argumenten
Wenn inzwischen selbst CDU-Spitzenpolitiker wie der baden-württembergische Ernährungsminister Peter Hauk die Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels brechen wollen, sollten die Verantwortlichen in den Chefetagen der Branche alarmiert sein. Denn das zeigt erneut ein geringes Vertrauen aufseiten der Politik und Gesellschaft. Die Antwort darauf muss in noch mehr Transparenz und einem noch stärkeren Bemühen um faire Beziehungen zu allen Partnern der Wertschöpfungskette liegen. Zum Teil massive Defizite spielen den Marktmacht-Gegnern in die Karten.
Ein ungehörter Präsident
Doch wo wir gerade beim Thema Ehrlichkeit sind: Was soll man davon halten, wenn die Marktmacht-Gegner zum Beispiel ein schärferes Kartellrecht und Preisbeobachtungsstellen fordern, obwohl der Präsident des Bundeskartellamtes öffentlich die Instrumente seiner Behörde als völlig ausreichend bewertet und einfach nicht erkennen kann, wie eine Preisbeobachtungsstelle dem Wettbewerb dienen soll? Auch an anderer Stelle stehen Anti-
Marktmacht-Argumente auf wackeligen Beinen – etwa wenn die enorme Kraft der Erzeugergemeinschaften ignoriert oder die Preisüberwachung durch die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung verschwiegen wird. Dahinter Absicht zu vermuten, dürfte nicht allzu weit hergeholt sein.