Rewe Group Nur nicht ausruhen

Dr. Daniela Büchel, Vorständin für Nachhaltigkeit und Personal bei der Rewe Group, will schneller vorankommen in der sozial-ökologischen Transformation. An welchen Stellschrauben der Handelskonzern dreht, erklärt sie der Lebensmittel Praxis im Doppel-Interview mit Jörg-Andreas Krüger, Präsident des Nabu.

Mittwoch, 14. Juni 2023 - Management
Bettina Röttig
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Bildquelle: Santiago Engelhardt

Lionel Souque hat die Rewe gerade bezeichnet als „Kämpfer für Nachhaltigkeit und Influencer“. Wo sehen Sie sich in der Vorreiterrolle?

Dr. Daniela Büchel: Uns ging es mit unserem Nachhaltigkeits-Engagement von Anfang an darum, das Thema aus der Nische zu holen und großen Impact zu generieren. Zum Beispiel haben wir früh daran gearbeitet, die Lieferketten z.B. für den Problem-Rohstoff Palmöl nachhaltiger zu gestalten und so dazu beigetragen, dass sich ein Branchenstandard etablieren konnte. Wir waren der erste deutsche Lebensmittelhändler, der einen Nachhaltigkeits-Bericht erstellt hat und sein Sortiment mittels Hot-Spot-Analysen durchleuchtet hat. Baulich und technisch haben wir multiplikationsfähige nachhaltige Supermarkt-Konzepte geschaffen. Über 370 Green Buildings gibt es mittlerweile, die der zweiten Generation mit „Urban Farming“ auf dem Dach ist nun mit unserem Pilot-Markt in Wiesbaden-Erbenheim am Start. Die Offenheit, mit der wir in den Dialog getreten sind, auch mit NGOs und Kritikern, war sicherlich neu und Voraussetzung dafür, dass wir Fortschritte in der Transformation erzielen.

Jörg-Andreas Krüger: Wir als Nabu begleiten die Rewe Group schon lange in ihrem Transformationsprozess. Der systematische Ansatz des Konzerns anstatt „Projekt-Hopping“ hat in der Branche viel bewegt. Auch der mitunter schmerzhafte Prozess des offenen Dialogs und die rollout-fähigen Konzepte haben den Markt in Aufruhr versetzt.

Wo sind Sie noch unzufrieden mit der Transformation?

Büchel: Wir würden immer gerne noch mehr Gas geben. Wir wollen zum Beispiel die Anzahl der E-Ladesäulen vor unseren Märkten von aktuell 2.000 auf 6.000 steigern, die Geschwindigkeit hängt aber auch von bürokratischen Prozessen und Lieferschwierigkeiten ab. Das Thema Mehrweg für To-Go-Getränke und -Gerichte ist grundsätzlich ein guter Ansatz, aber noch nicht bis zu Ende gedacht. Statt Insellösungen brauchen wir ein offenes, übergreifendes System. Wir haben ein solches System. Hier wären politische Impulse hilfreich, damit Kunden die Behälter auch bei allen Anbietern zurückgeben können. Nur so wird die Lösung akzeptiert werden. Die Bio-Landwirtschaft ist aus meiner Sicht einer der wichtigsten Hebel im Kampf gegen die Klima- und Biodiversitätskrise. Wir halten das 30-Prozent-Bio-Ziel der Bundesregierung für ein wichtiges Signal und wollen unseren Beitrag leisten, um die Transformation der Landwirtschaft zu realisieren.

Herr Krüger, wo ist der Nabu noch unzufrieden mit den Fortschritten der Rewe und der Branche?

Krüger: Wir als Nabu haben die Grundhaltung: Es kann nicht schnell genug gehen. Beim Thema Palmöl sind wir insgesamt noch weit weg von einer guten Lösung. In Sachen Klimaschutz ist das Engagement von Unternehmen, auch der Rewe Group, in der Science Based Targets Initiative gut, um Transparenz und Messbarkeit der Klimaschutzziele zu ermöglichen und die Emissionen zu verringern. Es müssen auch die Scope 3-Emissionen einbezogen werden, die in vielen Fällen den allergrößten Teil der Gesamtemissionen in den Wertschöpfungsketten von Lebensmittelproduzenten und -händlern ausmachen. Insofern begrüßen wir die Ankündigung von Rewe und Penny, sich nun ein Scope 3-Ziel für Marke und Eigenmarke zu setzen, sehr. Wir reden bisher in der Branche auch zu wenig über das Thema Süßwasser und brauchen einen Standard für Biodiversität. Biodiversität entlang der Lieferkette wird die nächste große Herausforderung.

Hier setzt das Moorschutz-Projekt des Nabu-Klimafonds mit Rewe an. Was können Sie über die Renaturierung von Moorflächen konkret in welchem Zeitraum bewirken?

Büchel: Die Rewe investiert in den nächsten fünf Jahren insgesamt mindestens 25 Millionen Euro in den Nabu-Klimafonds zur Wiedervernässung der Moore . Im ersten Schritt werden rund 200 Hektar im ‚Ahlenmoor‘ bei Cuxhaven zu einem wachsenden Hochmoor entwickelt. Sobald Sie ein Moor wiedervernässen, entsteht auch wieder Artenvielfalt.

Krüger: Mit dem Projekt verfolgen wir einen dauerhaften, einen Ewigkeitsgedanken. Es können allein ima „Ahlenmoor“ rund 800.000 Tonnen CO2-Äquivalente dauerhaft gebunden werden. Wir suchen innerhalb der EU, im Baltikum sowie in Finnland, aber auch in Deutschland, so viele Flächen wie möglich um sie zu renaturieren und ihrer ursprünglichen Funktion als Kohlenstoffspeicher zurückzuführen.

Aktuell werden viele dieser Flächen landwirtschaftlich genutzt.

Krüger: Wir müssen Landwirte davon überzeugen auf eine Nasswiesenwirtschaft umzustellen, auf der zum Beispiel die Beweidung durch Wasserbüffel möglich wäre. Nachteile werden ausgeglichen, beziehungsweise werden wir Landwirte für Maßnahmen entlohnen, die dazu beitragen, dass weniger CO2 freigesetzt wird.

Frau Dr. Büchel, Sie sagten vorhin, Sie wollen zur Transformation der Landwirtschaft beitragen und Bio fördern. Was bedeutet das konkret?

Büchel: Wir haben uns das Ziel gesetzt, unter den Vollsortimentern quantitativ und qualitativ die Nummer 1 für Bio zu sein. Auch über unser neues Kompetenzzentrum Landwirtschaft sowie unser Engagement in dem Projekt „Gemeinsam Boden gut machen“ in Kooperation mit dem Nabu und Alnatura wollen wir dazu beitragen, künftig mehr nachhaltiger produzierte Lebensmittel anbieten zu können.

Damit wollen Sie Tegut mit einem Bio-Umsatzanteil von knapp 30 Prozent überholen?

Büchel: Zunächst haben wir uns die Bio-Führerschaft unter den nationalen Vollsortimentern vorgenommen.

Die Produkte müssen aber auch gekauft werden. Sie setzen künftig nicht mehr auf Payback sondern ein eigenes System. Soll dieses auch als Lenkungstool fungieren?

Büchel: Ja, ganz klar, über ein eigenes System haben wir mehr Steuerungsmöglichkeiten. Wir können zum Beispiel gezielte Kommunikationsmaßnahmen anstoßen.

Was haben Sie bisher gelernt in der Aktivierung der Kunden?

Büchel: Wir müssen die komplexen Themen auch richtig erklären und hinnehmen, dass nicht jede Maßnahme, auf die wir stolz sind, vom Kunden gleichermaßen honoriert wird. Was sehr gut funktioniert sind die Themen Regionalität, Bio oder nachhaltige Verpackungen, sie sind erlebbar. Der Umstieg auf segregiertes nachhaltiges Palmöl hatte einen größeren Impact als das Plastiktüten-Aus, aber die Resonanz war geringer. Wir waren auch sehr stolz auf die Umstellung auf 100 Prozent Grünstrom, aber manchen Kunden war dies völlig egal, solange sie günstig einkaufen können. Unsere Lösung für Eier ohne Kükentöten kam früh und war aber erklärungsbedürftig. Wir müssen also immer auch darauf achten, die Kunden nicht zu überfordern. Aktuell schaffen wir es mit der Kommunikation „Der Kauf unterstützt den Nabu-Klimafonds“ im Rahmen unseres Engagements zum Schutz der Moore, Kunden mit einem wichtigen Thema richtig zu erreichen.

Sie könnten Verbrauchern auch einfach die Entscheidung abnehmen.

Büchel: Alle nicht nachhaltigen Produkte aus den Regalen zu nehmen, würde bedeuten, wir katapultieren uns aus dem Markt. Es ist besser, erst drei Schritte von zehn zu gehen, dann noch mal zwei Schritte und man nimmt den Markt quasi mit – bis dann die 10 Schritte erreicht sind. Häufig ist es eine Entwicklung und nicht alles ist immer sofort erreichbar – das musste ich lernen.

Aus der Kennzeichnung „klimaneutral“ sind Sie nach Kritik ausgestiegen. Anfang des Jahres haben Sie die Klimabilanz veganer und tierischer Produkte ausgepreist. Ist das der neue Weg?

Büchel: Eine Lifecycle-Analyse für jedes Produkt zu erstellen, wäre sehr schwierig, selbst wenn wir uns nur auf unsere Eigenmarken fokussieren würden. Im “Veganuary” haben wir bei ausgewählten veganen Artikeln nicht den Preis, sondern den niedrigeren CO2-Wert ausgewiesen. Das Thema Kompensationen von CO2-Emissionen ist für unsere Kundinnen und Kunden sehr weit weg, die Auslobung „klimaneutral“ wurde neuen Erkenntnissen zufolge oft falsch interpretiert und wird es künftig bei uns auch nicht mehr geben.

Lidl und Aldi haben erklärt, sie richten ihre Sortimentsstrategie an der Planetary Health Diet der EAT-Lancet-Kommission aus, wollen mehr pflanzliches, weniger tierisches Protein anbieten. Haben Sie sich hierzu klare Ziele gesetzt?

Büchel: Wir bauen das vegetarisch-vegane Angebot weiterhin deutlich aus. Aktuell haben wir allein bei Rewe rund 1.400 vegane Artikel. Aus dem Test mit veganen Theken in ausgewählten Rewe-Märkten sowie über den Markt Billa Pflanzilla in Wien lernen wir viel über unterschiedliche Sortimente und Kundenansprache.

Was sind konkrete erste Learnings?

Büchel: Vegane Theken oder ein veganer Markt funktionieren noch immer nicht an jedem Standort. Es braucht vor allem die entsprechende Zielgruppe wie beispielsweise eine studentisch geprägte Klientel. Wir sind hier noch mitten in der Lernphase.

Wo sehen Sie künftig die größten Hebel, um CO2-Emissionen zu reduzieren und Nachhaltigkeit bei Rewe und Penny voranzutreiben?

Büchel:  Wir müssen und werden noch stärker als bisher auch mit unseren Lieferanten an den konkreten Zielen zur Verringerung der CO2-Emissionen in der Lieferkette arbeiten und uns zudem mit Dingen beschäftigen, die über unser Alltagsgeschäft hinaus gehen. Dazu zählen Food-Innovationen wie die Fermentation genauso wie das Thema Mobilität und alternative Antriebe. Hier wollen wir mit dabei sein. Auch beim Thema Bauen wollen wir neue Entwicklungen mitgestalten.

Mit den Green Buildings haben Sie Energie- und CO2-Reduzierungen erreicht. Sind noch zusätzliche nennenswerte Einsparungen möglich oder kommt man zu sehr ins Kleine?

Büchel: Allein die Verglasung der Kühlregale für Molkereiprodukte brachte 40 Prozent Einsparungen. Jetzt geht es aber auch sehr ins Detail. Statt One-fits-all-Lösungen müssen wir uns nun die Zeit nehmen, individuelle Lösungen zu finden, in Innovationen investieren. Aber diese Details rechnen sich ja gerade jetzt erst recht. Seit Mai 2022 haben wir zudem ein Projekt gestartet mit dem Ziel, Dächer von Markt- und Lagerstandorten gezielt mit Photovoltaik auszustatten.

Eine Herausforderung, wenn es um Mietobjekte geht. Wie hoch ist der Anteil der Miet-Immobilien?

Büchel: Rund 90 Prozent. Es macht den Prozess nicht einfacher, aber dennoch kommen wir voran.

Gibt es hier standardisierte Lösungen?

Büchel: Wir planen die PV-Anlagen bedarfsgerecht für jeden einzelnen Markt. Bei diesem Projekt geht es nicht darum, den Solarstrom ins Netz einzuspeisen, sondern um die Direktversorgung der Märkte mit regenerativer Energie. An dem Projekt beteiligt sind nicht nur unsere Expansions- und Bauabteilungen, sondern auch unser Tochterunternehmen EHA, der Energiedienstleister der Rewe Group.

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz beschäftigt die gesamte Branche. Wie groß ist aktuell der Aufwand?

Büchel: Allein die Erhebung der Daten für die Berichtspflicht kostet uns enorm viel Ressource. Hier sind mehrere Mitarbeiter in unterschiedlichen Abteilungen und Geschäftseinheiten involviert. Wir setzen zur Umsetzung unter anderem auf eine Kooperation mit Ecovadis. Lieferanten werden auf Basis der Ecovadis-Riskoanalysen geclustert, um gezielte Maßnahmen abzuleiten.

Wo haben Sie bereits z.B. über das Beschwerdetool Verbesserungen in der Lieferkette anstoßen und Missstände beseitigen können?

Büchel: Beschwerden sind bis dato im niedrigen zweistelligen Bereich. Nicht jede dieser Beschwerden zielt aber auf einen Sachverhalt, der sich auf Lieferketten bezieht: Dabei war z.B. auch die Meldung einer Kundin, die beobachtet hatte, wie eine Tüte gestohlen wurde. Wir gehen natürlich jeder Meldung nach, einzelne Rückmeldungen zu verschiedenen Liefer-Regionen schauen wir uns aktuell gezielt an. Wir werden jedoch nicht alles alleine lösen können. Wir halten an Standards und Zertifizierungen fest und müssen gemeinsam als Branche unsere Lieferketten verbessern. Existenzsichernde Löhne sind dabei ein Muss. Aber auch bei diesem Thema ist es nicht so einfach. Selbst wenn man Löhne anhebt, können neue Hürden auftreten. Denn wir stehen selten in einer direkten Geschäftsbeziehung mit dem Produzenten vor Ort, so dass wir mit allen Akteuren entlang der Wertschöpfungskette tragfähige Lösungen finden müssen.