Interview mit Anwältin Astrid Luedtke Noch viel Arbeit für die Gerichte

Achtung, Greenwashing: Anwältin Astrid Luedtke (Foto) geht auf die hohen rechtlichen Risiken bei vermeintlich „grüner Werbung“ ein.

Donnerstag, 06. April 2023 - Management
Jens Hertling
Artikelbild Noch viel Arbeit für die Gerichte
Bildquelle: Heuking Kühn Lüer Wojtek

LP: Was sind aus Ihrer Sicht die größten Fallstricke für Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit?
Astrid Luedtke:
Ein umweltschonender Umgang mit den natürlichen Ressourcen (Environmental), die Einhaltung von sozialen Kriterien (Social) und eine verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance) spielen heute eine zentrale Rolle.

Für die Verbraucher haben gerade Umwelt- und Klimaschutz einen hohen Stellenwert. Dementsprechend attraktiv ist es für Unternehmen, mit klima- und umweltbezogenen Aussagen zu werben. Weil aber die konkrete Bedeutung der verwendeten Begriffe – wie etwa „umweltfreundlich“, oder „nachhaltig“ – häufig nicht klar definiert ist, besteht ein Irreführungspotential, dem die Gerichte mit strengen Maßstäben begegnen. Werbung mit Nachhaltigkeitsaussagen bedarf damit besonderer Sorgfalt. Andernfalls drohen Abmahnungen von Wettbewerbern oder Verbraucherschutzverbänden.

Wie wird Greenwashing definiert?
Greenwashing meint ganz allgemein, dass mit falschen oder irreführenden Behauptungen der Eindruck erweckt wird, ein Produkt oder eine Aktivität eines Unternehmens hätten eine positive Umweltwirkung, die sie aber tatsächlich so nicht haben. Anders gesagt, der Werbetreibende gibt sich oder seinen Produkten einen grünen Anstrich, der ihm tatsächlich nicht zukommt.

Wann ist es rechtlich problematisch?
Green Advertising im Sinne von umweltbezogener Werbung ist grundsätzlich zulässig. Aber die Werbebotschaft muss wahr und ausreichend klar sein. Greenwashing im gerade definierten Sinn hingegen ist immer rechtlich problematisch, weil der Kunde in die Irre geführt wird. Das ist unlauter und kann abgemahnt werden.

Was können Handel und Hersteller tun, um diese Gefahren zu verringern?
Wichtig ist es, sehr sorgfältig zu formulieren und missverständliche Aussagen zu vermeiden. Werden unklare oder mehrdeutige Begriffe verwendet, dann muss der Werbetreibende an geeigneter Stelle darüber aufklären, was mit der konkreten Aussage gemeint ist. Entscheidend ist dabei nicht nur, welche zusätzlichen Informationen der Verbraucher bekommt, sondern auch an welcher Stelle. Bietet die Verpackung genügend Platz für Erläuterungen dann reicht es zum Beispiel nicht, nur den Slogan „gut für die Umwelt“ auf eine Verpackung zu drucken und dann auf der Website zu erklären, warum das Produkt umweltfreundlich ist.

Gibt es Begriffe, die aus rechtlicher Sicht eindeutig sind, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht?
Einige wenige Regelwerke enthalten solche Begriffsbestimmungen. So regelt z.B. die EG-Öko-Verordnung, welche Anforderungen Lebensmittel erfüllen müssen, wenn sie als „biologisch“ oder als „ökologisch“ bezeichnet werden. In anderen Bereichen gibt es solche klaren Vorgaben nicht. Dort überwiegen die Begriffe, bei denen die Gerichte davon ausgehen, dass sie für den Verbraucher nicht eindeutig sind und deshalb näher erklärt werden müssen. Verschiedene Gerichte sind manchmal zu demselben Begriff unterschiedlicher Meinung, so etwa zu der Frage, was der Begriff „klimaneutral“ bedeutet.

Das geht bis hin zu Ausgleichsprojekten, die derzeit den einzigen Weg zu einer wirklichen Klimaneutralität darstellen…
Ja, genau darum dreht sich auch die Diskussion um den Begriff „klimaneutral“. Einige Gerichte halten den Begriff für mehrdeutig und damit mindestens für erklärungsbedürftig, wie die beworbene Klimaneutralität erreicht wurde, ob durch Einsparung oder durch Kompensation. Mit zunehmender Tendenz halten Gerichte den Begriff jedoch für aus sich heraus verständlich. Der Verbraucher verstehe den Begriff zunächst einmal als Aussage über ein Ergebnis, unabhängig davon, wie dieses Ergebnis erreicht werde, ob durch eigene Einsparungen oder durch Kompensation oder beides.

Was sollte darüber hinaus bei der Nachhaltigkeitskommunikation beachtet werden?
Nachhaltigkeitskommunikation sollte immer ausreichend transparent sein. Werbung nur mit Schlagworten ist nicht zu empfehlen. Über die für das Verständnis der Aussage maßgeblichen Umstände sollte das werbetreibende Unternehmen aufklären. Auch das kann durchaus eine Herausforderung sein. So sind beispielsweise die Berechnungen, die der Erreichung von Klimaneutralität eines Produkts oder eines Unternehmens zugrunde liegen, sehr komplex. Zu viele aufklärende Details können daher auch das Gegenteil bewirken und die Aussage erst recht missverständlich machen.

In welchem Umfang kann man sich durch die Verwendung von Siegeln und Zertifikaten absichern?
Es gibt mittlerweile eine große Vielzahl an Siegeln und Labeln, die häufig, aber nicht immer, eine spezifische Eigenschaft oder Qualität des Produktes bestätigen. Die Verwendung von Gütezeichen, Qualitätskennzeichen oder Ähnlichem ohne die erforderliche Genehmigung ist gegenüber Verbrauchern stets unzulässig. Ihre Verwendung ist irreführend, wenn ihnen kein objektives, sachbezogenes Prüfungs- und Vergabeverfahren einer neutralen Instanz zugrunde liegt.

Dafür gibt es doch die unabhängigen Audits, die von den Labelgebern durchgeführt werden?
Das ist richtig. Und in diesen Fällen lassen sich jedenfalls die Anforderungen an die einzuhaltenden Standards, Überprüfbarkeit und Vergleichbarkeit erfüllen. Dennoch bedeutet die Verwendung eines Labels nicht, dass keine weiteren Informationspflichten bestehen. Auch hier müssen Informationen bereitgestellt werden, anhand welcher Kriterien die Prüfung für das Gütesiegel erfolgt ist.

Was ist mit den eigenen Labels, die viele Hersteller und Händler entwickeln?
Solche Label sind mit Vorsicht zu genießen. Sie dürfen – zusätzlich zu den Anforderungen an Wahrheit und Klarheit der konkreten Aussagen, die sie transportieren – nicht den Eindruck erwecken, dass sie von einem unabhängigen Dritten stammen. Prüfzeichen, Gütesiegel und Gütezeichen vermitteln, dass die beworbene Ware oder Leistung von einem neutralen Dritten mit entsprechender Kompetenz nach objektiven und aussagekräftigen Kriterien geprüft wurde. Ihre Verwendung ist irreführend, wenn sie diesen Anforderungen nicht entsprechen.

Können Sie zwei wichtige Urteile zum „Greenwashing“ kurz erläutern?
Zum Begriff „klimaneutral“ hat das OLG Schleswig in einer vielbeachteten Entscheidung im Oktober letzten Jahres festgestellt, dass die Verwendung des Begriffs „klimaneutral“ nicht irreführend ist, wenn die Klimaneutralität (auch) durch Kompensation erreicht wird. Der Verbraucher erwarte nicht, dass die Klimaneutralität ausschließlich durch Einsparungen erreicht worden sei, sondern wisse, dass die Neutralität auch durch Kompensation erreicht werden könne. Für weitere im Grundsatz erforderliche Informationen könne, je nach Werbemedium, auf eine Internetseite verwiesen werden.

In seiner Entscheidung „Ocean Bottle“ aus dem Jahr 2019 stellte das OLG Stuttgart fest, der Wortsinn dieser Bezeichnung werde nach dem allgemeinen Sprachgebrauch als „Plastik aus dem Meer“ verstanden. Tatsächlich aber bestand die so beworbene Plastikflasche aus Plastik, das unter anderem am Strand aufgesammelt wurde. Plastik, so das OLG Stuttgart, das noch nie im Meer war, ist kein Plastik aus dem Meer. Wegen des allgemeinen Bewusstseins für die Umweltschädlichkeit von Plastik im Meer sei die durch den missverständlichen Claim hervorgerufene Fehlvorstellung für die Kaufentscheidung relevant und die Aussage damit unzulässig.

Ist die Flut von Gesetzen nicht eine Überforderung für die Unternehmen?
Gerade bei grenzüberschreitender Werbung sehen sich Werbetreibende mit einer Vielzahl unterschiedlicher nationaler Vorgaben zur Werbung mit Green Claims konfrontiert. Das könnte sich in Zukunft insofern ändern, als die EU-Kommission gerade einen Richtlinien-Vorschlag zu „Green Claims“ vorgelegt hat. Danach sollen Unternehmen EU-weit einheitliche Mindeststandards einhalten müssen, wenn sie freiwillige Umweltaussagen über ihre Produkte oder Dienstleistungen machen. Angaben wie etwa „klimaneutraler Versand“ oder „Verpackung zu 30 Prozent aus recyceltem Kunststoff“ sollen die Unternehmen belegen müssen. Außerdem soll sichergestellt werden, dass diese Angaben sachdienlich kommuniziert werden; das wird vor allem bedeuten, dass pauschale Angaben über die vermeintliche Umweltfreundlichkeit von Produkten nicht mehr so einfach möglich sein werden. EU-Parlament und Rat müssen die Richtlinie noch billigen. Bis neue Regeln tatsächlich wirksam werden, wird es also noch einige Zeit dauern.

Würden Sie eine Beratung in diesem Bereich empfehlen?
Sich in diesem Bereich beraten zu lassen, ist auf jeden Fall empfehlenswert. Derzeit ist viel Bewegung in der Rechtsprechung der deutschen Gerichte zum Greenwashing. Wer nicht die internen Kapazitäten hat, um hier am Ball zu bleiben, sollte sich bei diesen komplexen Themen Unterstützung holen, um Fallstricke zu vermeiden.

Urteile

Zum Thema „Greenwashing“ hat die Rechtsanwältin Astrid Luedtke (Heuking Kühn Luer Wojtek) folgende Urteile zusammengestellt:

  • OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 10.11.2022 – 6 U 104/22: Werbung mit "Klimaneutralität" ohne Aufklärung irreführend

  • OLG Schleswig, Urteil vom 30.06.2022 – 6 U 46/21: Kein Aufklärungsbedürfnis der Verbraucher bei Werbung mit „klimaneutral“

  • LG Kleve, Urteil vom 22.06.2022 – 8 O 44/21: Keine Irreführung bei Werbung für eine Produktion als "klimaneutral" bei Kompensation

  • LG Stuttgart, Urteil vom 31.01.2022 – 36 O 92/21 KfH: Irreführende Werbung für Nachhaltigkeitsfonds

  • LG Oldenburg, Urteil vom 16.12.2021 – 15 O 1469/21: Unzulässige Werbung für Fleischprodukte als "klimaneutral"

  • LG Konstanz, Urteil vom 19.11.2021 – 7 O 6/21 KfH: Wettbewerbswidrige Werbung mit „klimaneutrales Premium-Heizöl“ 

  • OLG Hamm, Urteil vom 19.08.2021 – 4 U 57/21: Irreführende Werbung mit umweltbezogenen Begriffen

  • OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 29.04.2021 – 6 U 200/19: Irreführende Werbeaussagen über „Premiummineralwasser in Bio-Qualität“

  • LG Mönchengladbach, Urteil vom 25.02.2022 – 8 O 17/21: Klimaneutrale Marmelade

  • LG Kiel, Urteil vom 02.07.2021 – 14 HK O 99/20: Klimaneutrale Müllbeutel