Trend 2023 Was bleibt, was kommt, was ist

Natürlich ist Krieg und Krise ! Aber muss man deshalb gleich alles schlechtreden ? Zehn Gründe, warum 2023 ein gutes und erfolgreiches Jahr werden kann.

Sonntag, 15. Januar 2023, 12:59 Uhr
Reiner Mihr
Artikelbild Was bleibt, was kommt, was ist
Bildquelle: Lebensmittel Praxis

Ukraine-Krieg, Inflation, Lieferkettenprobleme, Fachkräftemangel und immer noch Corona – das lässt sich nicht wegschreiben und wird auch 2023 nicht überwunden sein. Deshalb wird viel geunkt und gestöhnt, für Berufs-Publizisten und -Pessimisten ist das ein gefundenes Fressen. Dabei gibt es sie, die Lichtblicke, die den Blick auf das Kommende eher erhellen als verdunkeln. Zehn Gründe, warum 2023 ein gutes Jahr werden kann.

1. Resilienz
Der Lebensmittelhandel ist ja nicht einfach so durch die Krisen der letzten zwei bis drei Jahre gegangen – und das recht erfolgreich. „Der LEH hat sowohl in der Corona-Krise als auch in den Wochen und Monaten nach Ausbruch des Russland-Ukraine-Krieges unter Beweis gestellt, dass er gemeinsam mit seinen Lieferanten die Lebensmittelversorgung sicherstellen kann“, sagt beispielsweise Franz-Martin Rausch, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes des deutschen Lebensmittelhandels BVLH.

2. Kritische Infrastruktur
Die Ernährungsbranche wurde als kritische Infrastruktur in die betreffende EU-Richtlinie aufgenommen. Und sie ist von der Bundesregierung besonders geschützt.

3. Erfahrung mit Herausforderungen
Als hätte es bisher keine Herausforderungen für die Branche gegeben! Natürlich sind die angesichts eines Krieges und seiner Folgen eher klein, aber wie lösungsorientiert die Branche Herausforderungen wie Nachhaltigkeit, Klimaschutz oder auch Tierwohl angenommen hat, macht zuversichtlich. Auch wenn es vielen nicht genug ist.

4. Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit
Als die Lebensmittel Praxis vor gut 20 Jahren Kaufleute zur Biofach einlud, nahmen dies genau zwei (2) an. Bio? Wozu? Das glaubt heute keiner mehr, hat sich ja auch geändert, ist aber ein Beispiel für die Flexibilität des Handels. Das gilt genauso für vegane Sortimente und viele andere Trends.

5. Unternehmergeist, Entschlossenheit, Tatkraft
Muss man das erläutern?

6. Kundenorientierung 
Handel und Hersteller sind dann erfolgreich, wenn sie bieten, was Kunden wollen. Klappt meistens.

7. Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft
Zugegeben, diese ist in den letzten Monaten auf eine harte Probe gestellt worden. Handel und Industrie beharkten sich wie Gegner. Nun müssen beide Seiten nicht unbedingt Freunde werden, aber sie hängen voneinander ab. Die Hoffnung, dass diese Einsicht gewinnt und zu fairem Umgang führt, lebt.

8. Die neue Schnelligkeit in der Politik
So schnell, wie im letzten Jahr die deutsche Politik teilweise reagiert hat (Bundeswehr, LNG-Terminals), macht das Hoffnung auf mehr.

9. Innovationsfähigkeit
Discount, Selbstbedienung – wer weiß schon noch, dass das mal Innovationen waren. Heute muss man eher von voll automatisierten Läden, Lieferservices, Digitalisierung sprechen. Self-Check-out-Systeme in unterschiedlichsten Varianten, Digitalisierung von Coupons, Kassenbons oder Handzetteln, elektronische Regaletiketten nennt Michael Gerling, Hauptgeschäftsführer des EHI Retail Instituts, als jüngere Innovationsbeispiele.

Es gehe aber auch um die Nutzung technischer Möglichkeiten: „Es wird mehr und mehr Tests mit Robotern geben. Zum Beispiel in der Reinigung oder auch im Bereich der Regalauffüllung. Wir sehen schon heute, dass Roboter die Bestandssituation in den Regalen über Nacht automatisiert aufnehmen, dass digitale Zwillinge von Filialen tagesaktuell erstellt werden und damit nicht nur das Personal in den Supermärkten entlastet wird, sondern auch die vorgelagerten Lieferstufen ihre Arbeit im Hinblick auf den optimalen Ablauf in den Märkten deutlich besser gestalten können.“

10. Booster
So schlimm sie sind – Krisen wirken zumindest in kapitalistischen Gesellschaften als Katalysator. Die aktuellen sorgen für vermehrtes Energiesparen und gezielteren Rohstoffeinsatz. Außerdem wird die Lebensmittelproduktion effektiver: Precision Farming – was nichts weniger heißt als Einsatz digitaler Technologie in der Landwirtschaft. Das kann einen Entwicklungsschub geben, wie es auch Düngung und Pflanzenschutz einst bewirkten. Auf gleicher Fläche mit weniger Ressourcen mehr Nahrung zu produzieren wird dadurch möglich und hat große Potenziale.

Rückblick 2022

Die Gesamtsituation des Lebensmitteleinzelhandels im vergangenen Jahr wird von den Befragten trotz Krisen als verbessert angesehen. 19 Prozent sagen, sie sei schlechter. Die Optimisten finden sich vor allem in den Zentralen (76 Prozent „verbessert“) und bei Marktleitern (61 Prozent), während Selbstständige etwas zurückhaltender sind.

Ausblick 2023

27 Prozent der Befragten erwarten 2023 eine Verschlechterung für den Lebensmittelhandel. Trotzdem überwiegen auch hier die Optimisten mit 42 Prozent. Skeptischer blicken die Selbstständigen ins Jahr. Immerhin 35 Prozent rechnen mit Verschlechterung, aber auch 28 Prozent mit Verbesserung. Marktleiter sind optimistischer (49 Prozent „wird gut“), ebenso Zentralen (52 Prozent „gut“). 

Marktmacher mit Einsichten

Vielleicht könnte als 11. Punkt der Lichtblicke noch die Realitätsnähe der Branche genannt werden. Die Herausforderungen der Zukunft werden in der Trendbefragung der LP jedenfalls klar benannt.

Natürlich beeinflusst die allgemeine Stimmungslage auch die Einschätzungen der Marktakteure im Lebensmittelhandel. „Die Menschen sind 2022 mit Lebensmittelpreissteigerungen bisher kaum gekannten Ausmaßes konfrontiert worden. Verantwortlich dafür waren Lieferengpässe und eine Kosteninflation, die vor allem durch die Energiepreise getrieben wurde“, sagt Franz-Martin Rausch vom BVLH. Der Handel habe daher viel unternommen, um die Lebensmittelpreise für seine Kunden bezahlbar zu halten.

Die Teilnehmer der LP-Trendbefragung ziehen daraus Schlüsse. Sie erwarten mehrheitlich einen weiter verschärften Preiskampf (54 %), schärferen Wettbewerb (50 %) sowie eine Stärkung der Discounter (42 %). Das überrascht nicht – umso mehr aber das Festhalten an „alten“ Themen wie Nachhaltigkeit (69 %) oder der regionalen Positionierung (64 %). Ebenso deutlich fällt das Votum für Maßnahmen des Klimaschutzes (71 %) oder, ganz praktisch, der Digitalisierung im Handel aus (70 %). Auch Umwelt und Entsorgung, Online-Verkauf, Produktkennzeichnung oder Versorgungssicherheit sind Themen, die von den Befragten mehrheitlich als zunehmend wichtig eingestuft werden.
Auch Michael Gerling vom EHI sieht natürlich die Herausforderungen, aber auch Lichtblicke, zum Beispiel im ordentlichen Weihnachtsgeschäft. Er erkennt zugleich die Risiken: „Die Energiekosten werden allerdings weiterhin hoch sein und es ist auch mit deutlich steigenden Personalkosten zu rechnen. Die Inflation im Nahrungsmittelbereich wird die extrem hohen Werte des Jahres 2022 nicht mehr erreichen, sie wird aber weiter dazu führen, dass die Menschen auch 2023 sehr preisbewusst einkaufen müssen. Es wird also bestimmt nicht leichter.“

Prioritäten werden neu gesetzt

Nahezu alle Befragten der diesjährigen Trendumfrage der Lebensmittel Praxis betonen die Notwendigkeit und sehen auch Raum für Investitionen. Auffallend ist eine Verschiebung der Prioritäten. So hat sich der Punkt „Investitionen in energiesparende Gebäudetechnik und Laden-Technik“ mit 49 Prozent an die Spitze der Liste geschoben. Da stand noch vor einem Jahr „Kommunikation/Werbung“. Dieser Punkt ist nun auf Rang 5 ge‧rutscht. Angesichts der Energiepreis-Entwicklung überrascht das dennoch weniger. Die Digitalisierung wird auch bei Investitionen immer wichtiger. So stehen Anwendungen wie Einkaufs-Apps oder Online-Bestellmöglichkeiten auch in dieser Liste ganz oben. Ein kleiner Teil der Befragten sieht keinen Spielraum für Investitionen.

Was auffällt: 88 Prozent der Befragten halten es für schwierig, die bisherigen Öffnungszeiten aufrechtzuerhalten, 71 Prozent glauben, die Bedienungsangebote müssten zurückgefahren werden. Das hält Michael Gerling für riskant: Dass steigenden Kosten und Personalengpässen durch Einschränkung von Öffnungszeiten und Serviceleistungen entgegengetreten wird, sei zunächst sehr gut nachvollziehbar. „Eine Annäherung an die Discounter durch Einschränkung von Leistungen wird aber mittelfristig das klare Profil der Supermärkte verwässern.“ Supermärkte hätten bereits in den Neunzigerjahren versucht, Erfolgsbausteine der Discounter zu kopieren. Dadurch wurde das Wachstum der Discounter nicht verringert, sondern weiter beschleunigt. „Supermärkte müssen aber konsequent auf Abgrenzung setzen“, sagt er.
Dahinter steckt natürlich der Mangel an Fachkräften, aber auch an Mitarbeitern für einfachere Tätigkeiten. Doch auch hier gibt es Lösungen: Franz-Martin Rausch setzt ganz auf die Ausbildungsebene. Der LEH müsse künftigen Mitarbeitern interessante und vielseitige Karrieren bieten. Er verweist auf die vom BVLH unterstützte Arbeit der Foodakademie in Neuwied mit ihrem vielfältigen Ausbildungsangebot, das ein entscheidender Grundstein sei.

Für Michael Gerling reicht das allein aber nicht: Technisierung und Digitalisierung gehörten dazu, betont er. Einfache Tätigkeiten müssten sinnvoll durch technische Möglichkeiten erledigt werden. Klar bleibe: „Die Supermärkte haben in den letzten Jahren gezeigt, dass sie mit einem deutlichen Leistungsabstand zu den Discountern erfolgreich sind.“

Studiendesign

Struktur der Stichprobe: Das Marktforschungsunternehmen NielsenIQ hat im November Einkäufer in den Zentralen des deutschen Lebensmittelhandels, Einkäufer der Regionalgesellschaften von Rewe und Edeka, aber auch selbstständige Kaufleute und Filialleiter sowie Substitute im LEH nach der CATI-Methode befragt. Dabei waren je 40 Prozent der Befragten Selbstständige und Filialleiter, 20 Prozent kamen aus Zentralen. Zwei Drittel der Befragten waren männlich, ein Drittel weiblich. Die Befragten kamen zu rund 80 Prozent aus kleinen und größeren Städten, der Rest vom Land. Die befragten Marktmanager und Selbstständigen arbeiten auf allen Verkaufsflächen, die Mehrheit auf Flächen von 400 bis 5.000 m2 Verkaufsfläche.