Unverpackt Ein Markt in der Krise

Mehr und mehr Unverpackt-Läden schließen. Auch im Supermarkt sind Abteilungen für lose Ware vom Aushängeschild zum Sorgenkind geworden. Die Anbieter kämpfen um Akzeptanz und Weiterentwicklung des Segments.

Sonntag, 15. Januar 2023 - Management
Bettina Röttig
Artikelbild Ein Markt in der Krise
Bildquelle: Simon Lausmann

Geschichte ohne Happy End: Unverpackt Kiel, der erste Laden für lose Ware in Deutschland, schließt am 31. Dezember 2022 seine Tür für immer. Seit der Eröffnung 2014 hat Gründerin Marie Delapièrre „einen gesunden wachsenden Erfolg“ verzeichnet. Infolge der Corona-Pandemie sowie des Ukraine-Krieges habe sich das Einkaufsverhalten jedoch drastisch verändert. Nach 2019 seien die Kundenzahlen um zwei Drittel eingebrochen. Unverpackt Kiel ist dabei kein Einzelfall. In den letzten Wochen des alten Jahres häuften sich in den sozialen Medien, Online-Präsenzen und Schaufenstern weiterer Unverpackt-Läden Informationen über Geschäftsaufgaben. Klever Unverpackt aus Emmerich, 2020 eröffnet, schließt Ende des Jahres, Glücklich unverpackt, 2017 in Essen-Rüttenscheid eröffnet, steht nun ebenfalls vor dem Aus. Das Unverpackt-Segment kämpft ums Überleben.

Der Verband Unverpackt e. V. musste 2022 mehr Ladenschließungen als -eröffnungen verzeichnen (siehe Kasten). In den vergangenen Monaten hätten die steigenden Verbraucherpreise im Lebensmittelbereich für Kaufzurückhaltung und -verzicht bei bestimmten Produktklassen gesorgt, was die Unverpackt-Läden besonders zu spüren bekämen, erläutert der Verband. Gerade Bio- und regionale Produkte, die in Unverpackt-Läden eine große Rolle spielen, würden weniger konsumiert. Auch die Verlagerung vom stationären auf den Onlinehandel mache es Unverpackt-Läden nicht leicht. Gerade junge Läden, die aufgrund fehlender Geschäftszahlen aus dem Vorjahr keine Überbrückungshilfen bekommen haben, hätten es in letzter Zeit besonders schwer. Der Verband sieht mit Blick auf rund 200 geplante Neueröffnungen noch kein Aus für die Bewegung. Aber ohne die richtigen Entscheidungen der Konsumenten gehe nichts. Gemeinsam setzt man daher auf Aufklärung. Zudem motiviert der Verband zu neuen Konzepten, die ein echtes Einkaufserlebnis bieten und bei denen der Laden auch als Café und Nachbarschaftstreff fungiere.

Aus für erste Unverpackt-Stationen im Supermarkt
Zu kämpfen haben auch die Unverpackt-Abteilungen in Supermärkten. So musste das Rewe-Center in Bonn-Beuel seine Abfüllstation für lose Ware wieder aufgeben. Diese war in der Abteilung für bewusste Ernährung platziert, es konnten jedoch keine Abverkäufe generiert werden, bedauert Marktleiter André Becker. Schiffbruch erlitten hat auch der Edeka-Markt in Hittfeld. Im Sommer 2020 wurde hier eine Unverpackt-Abteilung in Zusammenarbeit mit dem Start-up „Plietsch – natürlich unverpackt“ integriert. Als Shop-in-Shop-Konzept im Eingangsbereich, noch vor Obst und Gemüse, sollte dem Sortiment ein aufmerksamkeitsstarker Platz eingeräumt werden. Vor rund einem Jahr bereits hat sich die Kaufmannsfamilie von dem Konzept wieder verabschiedet. Als Gründe des Scheiterns nennt Jonas Meyer aus der Marktleitung ein zurückhaltendes Kaufverhalten während Corona sowie die vom Kundenlauf isolierte Lage der Abteilung. Der Unverpackt-Einkauf sei mit vielen Schritten verbunden. Kunden hätten Angst, etwas falsch zu machen. In exponierter Lage vor den Augen anderer Kunden möglicherweise Fehler zu machen, habe einige abgeschreckt, meint er. Positives Feedback habe das Marktpersonal erhalten, solange die Abteilung personell besetzt und Käufer betreut wurden. Aber: „Die Personalkosten waren höher als der Umsatz“, sagt der Kaufmann. Das Thema Unverpackt werde „mehr gepusht, als es dem realen Einkaufsverhalten entspricht“, meint Meyer.

Weiterentwicklung mit der Wissenschaft
Plietsch-Gründer Henrik Siepelmeyer glaubt weiterhin an das Potenzial und vor allem die positive Wirkung des unverpackten Einkaufs für Umwelt und Klima. „Das Thema ist nicht tot“, sagt er. Er sei jedoch nicht überrascht darüber, dass sich kleine selbstständige Läden „mit den Mini-Margen“ auf Lebensmitteln nicht halten könnten. „Aus gutem Grund haben wir Plietsch als Lösung für den konventionellen Supermarkt gegründet.“ Hier kann eine breitere Zielgruppe angesprochen werden, die höhere Kundenfrequenz bietet Chancen für das Segment. „Es ist aber nicht damit getan, lose Ware in den Markt zu stellen, und gut ist“, betont er. Acht Märkte von Edeka- und Rewe-Kaufleuten arbeiten aktuell mit Plietsch zusammen und profitieren von dem Know-how und den Dienstleistungen von Plietsch, aber auch von dem gebündelten Einkauf. „Unsere Partner stehen hinter dem Konzept“, so Siepelmeyer – trotz Umsatzrückgängen von bis zu 50 Prozent im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr. Das Sortiment leide aktuell auch unter einem Image-Problem in Bezug auf die Preisgestaltung, meint er. Seit Ausbruch des Ukraine-Krieges wurden die Preise des Plietsch-Sortiments nicht erhöht, der Preisabstand zu konventioneller Ware sei geschrumpft. „Kunden nehmen dies aber zu wenig wahr.“

Plietsch soll weiterentwickelt und zu einer erfolgreichen Blaupause für den Lebensmittelhandel werden. Dies soll mit Unterstützung der Wissenschaft geschehen. Siepelmeyer und Co-Gründerin Lisa Heldt haben mit Plietsch mitsamt den Partner-Lieferanten und -Händlern gerade ein dreijähriges Forschungsprojekt bewilligt bekommen. „Wir wollen herausfinden, wo aus Kundensicht nach wie vor Hürden bestehen, wie wir diese ausräumen können und wie der Unverpackt-Kauf für eine breite Verwenderschaft zur Standard-Wahl werden kann“, so Siepelmeyer. Zudem soll in der Praxis weiter erforscht werden, wie sich der Weg von Produkten in den Einzelhandel möglichst verpackungsfrei gestalten lässt. Bisherige Erkenntnisse: Wichtig sei die Platzierung direkt in Sichtachse. Zugleich wünschen sich die Unverpackt-Kunden jedoch auch einen Schutz vor neugierigen Blicken.

Abwärtstrend

Das dynamische Wachstum des Ladennetzes der Unverpackt-Märkte ist vorbei:

28

Eröffnungen von Unverpackt-Läden verzeichnete der Verband Unverpackt e. V. in den ersten gut zehn Monaten des Jahres 2022.

44

Läden mit Verbandsmitgliedschaft wurden im gleichen Zeitraum geschlossen.

320

stimmberechtigte Mitglieder, also Personen mit einem geöffneten Laden, zählte der Verband Stand 24. November 2022. Anfang 2021 waren es noch 380.

203

Mitglieder mit einem Laden in Planung zählt der Verband aktuell. Vor knapp zwei Jahren waren noch 266 Neueröffnungen gemeldet.