Veggie-Theke Die notwendige Kür

Alternativen für Käse und Fleisch haben sich in den Kühlregalen breitgemacht. Nun wagt der Handel einen neuen Anlauf mit veganen Angeboten in Bedienung. Haben Veggie-Theken eine Zukunft? Die LP hat Testmärkte besucht und im Handel nachgefragt.

Freitag, 21. Oktober 2022 - Management
Bettina Röttig
Artikelbild Die notwendige Kür
Bildquelle: Rewe Group

Die Nachricht hat für Wirbel gesorgt: 53 Rewe-Märkte in Deutschland bieten seit Ende September 2022 vegane Käse- und Fleischersatzprodukte in den Frischetheken an. Für Rewe nach eigenen Angaben eine logische Folge zur Abrundung der veganen Sortimentskompetenz, so Alexander Rußler, Projektleiter Strategie vegan & vegetarisch. Aktuellen Umfragen der Kölner zufolge wünschen sich 20 Prozent der Kunden pflanzliche Alternativprodukte an den Bedienungstheken.

Erste Reaktionen auf das neue Angebot seien positiv, so ein Rewe-Sprecher. Kunden schätzten die Beratung, die sie an der Theke erhielten, sowie die Auswahl bei der für sie richtigen Portionsgröße. Vor allem Flexitarier, aber auch Vegetarier und Veganer möchte Rewe an die veganen Bedienungstheken ziehen. In sozialen Netzwerken wird das Engagement weitestgehend gefeiert. Ist die Zeit endlich reif für Veggie-Theken?

Die Frage stellt sich auch Edeka-Kaufmann Konrad Kreuzberg. In seinen drei Märkten in Koblenz und Neuwied hat er dem vegetarisch-veganen Sortiment schon früh den Teppich ausgerollt und im Jahr 2015 erstmals eine Veggie-Theke in Zusammenarbeit mit Rasting getestet, dem Fleischwerk der Edeka Rhein-Ruhr. Diese wurde im E-Center in Neuwied im Anschluss an die Käsetheke, im Koblenzer E-Center zwischen Frischfleisch und Wurst in Bedienung in die Thekenbereiche integriert. Bodenaufkleber in Form von Fußspuren führten den Kunden direkt zum neuen Angebot.

Durchsetzen konnte sich dieses nicht. „Vielleicht waren wir zu früh, vielleicht haben wir zu wenig Werbung gemacht“, mutmaßt der Kaufmann. Auch andere Edekaner haben Lehrgeld gezahlt. Die Edeka Südwest Fleisch hatte 2015 Artikel unter dem Label „Vegithek“ entwickelt, die in rund 70 Märkten in einem eigenen Thekenabschnitt präsentiert wurden. Viele davon wurden aufgelöst. Die Integration der Artikel in die Theken erfolge heute flexibler, teilt die Edeka Südwest mit. Ein Kaufmann aus einer anderen Region spricht hinter vorgehaltener Hand von aktuell „homöopathischen“ Umsätzen.

Dennoch gibt es gute Gründe für den neuen Service – nicht nur aus Kundensicht. Dass sich der Handel in Zukunft gerade im Thekengeschäft stärker dem fleischfreien Sortiment zuwende, sei vor allem darauf zurückzuführen, dass er sich höhere Margen verspreche, meint Olaf Mahr, Geschäftsführer der Meat Bringer GmbH und Inhaber der Hall of Meat in Wildau. Zudem sei der Schritt zur veganen Bedienungstheke eine Konsequenz des Fachkräftemangels. „Die Leitung einer Frischfleischtheke muss auch im Supermarkt grundsätzlich in den Händen eines Fleischermeisters liegen, beziehungsweise meisterähnliche Kenntnisse und Fertigkeiten gemäß Paragraf 8 der Handwerksordnung müssen vorliegen, so ein Urteil vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg von 2018. Der Handel hat jedoch jetzt schon zu wenige Fleischermeister und qualifizierte Fachkräfte“, so Mahr.

Trotz Fachkräftemangel ist auch im Veggie-Segment Kompetenz gefordert, weiß Rewe. Das Sortiment sei sicherlich am Anfang sehr beratungsintensiv und „wird auch durch die Empfehlungen von unseren Verkäufern erst ins Bewusstsein vieler Kunden gerückt werden können“, sagt Rewe-Manager Rußler. „Die Mitarbeitenden leisten einen wichtigen Beitrag zum Gelingen einer solchen Bedientheke, da sie auf vegane Alternativen aufmerksam machen können“, betont auch der Verein ProVeg. Alle Mitarbeiter müssten auf die Einführung der veganen Thekenerweiterung vorbereitet werden. Zudem sollte ihnen ein positives Bild von Geschmack und Qualität der Produkte vermittelt werden. „Das ist besonders für Mitarbeitende mit einer Ausbildung im Metzgereibetrieb wichtig.“

Mitarbeiter mitnehmen
Rewe hat dies beherzigt. Die Bereichsleiter und Mitarbeiter seien geschult worden, so die Kölner. „Die Schulungen wurden durch eine Verkostung aller 34 Artikel begleitet. Dadurch konnten viele Teilnehmer positiv vom Geschmack überzeugt werden.“

Doch nicht alle, zeigt der TikTok-Beitrag von felinewltr. Ihr wurde an der Veggie-Theke einer Kieler Rewe-Filiale davon abgeraten, die veganen Produkte zu kaufen. „Verkäufer müssen hinter dem Sortiment stehen“, fordert die junge Frau in dem Video-Post, der in nur zwei Wochen über 26.000 Mal aufgerufen und vielfach kommentiert wurde. Nur ein Einzelfall?

Die Redaktion der LP hat Theken in Rheinland-Pfalz, Hessen und Berlin anonym besucht und hingehört.

Dass Kunden-Feedbacks über Social Media einen spürbaren Effekt auf die Absätze in den Theken haben, das erzählten Mitarbeiter in mehreren besuchten Märkten. Jeder positive Social-Media-Beitrag innerhalb der veganen Community schwemmt demnach sofort neue Kunden an die Veggie-Bedienungstheken. Umso wichtiger, dass das Kundenerlebnis positiv ausfällt.

Thekentest: durchwachsen
Auf 0,5 bis 1 Meter macht das vegane Sortiment auf sich aufmerksam. Platziert ist es mal zwischen Käse und Fleisch, mal neben Antipasti, jeweils durch Scheiben abgetrennt. Das Angebot ist vielfältig, vom pflanzlichen Pendant zu Hackfleisch über vegane Bratwurstschnecken bis zu Alternativen für Camembert.

Noch läuft nicht alles rund, zeigten die verdeckten Test-Besuche – die natürlich als Momentaufnahmen zu sehen sind. So fand sich in dem als veganes Sortiment gekennzeichneten Thekenabschnitt einer Filiale zur Hälfte echtes Fleisch. In mehreren Testmärkten fehlte es an Kenntnissen zu Herkunft und Geschmack der Produkte sowie zu den Basiszutaten. „Unser Abteilungsleiter wurde informiert und geschult, hat uns aber nichts weitergegeben“, berichtete eine Thekenkraft. Verkostet habe ebenfalls nur der Chef.

Ähnliche Aussagen („Wir wurden nicht geschult“, „Ich esse Fleisch und glaube nicht an die veganen Produkte“) fallen auch an anderen Theken. Positiv: Schnell boten Mitarbeiter an, die Zutatenlisten auszudrucken, andere legten Produktordner vor, sodass die Tester dennoch die wichtigsten Informationen einsehen konnten. Zu den Herstellern konnten die Mitarbeiter nichts sagen, diese bleiben auch im Ordner unbenannt.

Wettbewerb In Habachtstellung
Wird es bald auch in anderen Handelsunternehmen vegane Theken geben? Ein vegetarisch-veganes Frischesortiment in Bedientheke ist bei Globus aktuell nicht in Planung, sagt Thomas Schu, Leitung Food Frische, Globus Markthallen. „Wir verfolgen die Entwicklungen in diesem Bereich jedoch mit Interesse.“
Globus richte sein Sortiment stets nach den Wünschen und Bedürfnissen seiner Kunden aus und könne insbesondere durch die Eigenproduktion auf Anregungen eingehen und diese in den Markthallen zeitweise austesten. „So bieten wir unseren Kunden beispielsweise seit einiger Zeit im SB-Frischebereich vegetarische Hafernussbratlinge an, die frisch in unserer hauseigenen Herstellung zubereitet werden“, erläutert Schu.

„Eine Integration in unseren Bedientheken sehe ich auf absehbare Zeit eher nicht“, sagt auch Edeka-Kaufmann Dirk Endt. „Ich glaube allerdings, dass der Trend zu fleischärmerer oder fleischloser Ernährung zunimmt, dies muss aber nicht zwangsläufig in einem Umstieg auf Fleischersatzprodukte enden, sondern eher in natürlicher Ernährung mit dem Schwerpunkt Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse.“

Einen Neustart für vegane Produkte in Bedienung kann sich Edekaner Kreuzberg durchaus vorstellen. „Wir glauben an das vegetarisch-vegane Sortiment und werden die Entwicklung weiter verfolgen.“ Mitte 2023 könne es gemeinsam mit dem Edeka-Fleischwerk Rasting zu einer Neuauflage der Veggie-Bedienungstheke kommen.

Das Segment sei jedoch nach wie vor sehr beratungsintensiv, so Kreuzberg. Der größte Knackpunkt daher: geschultes Personal. „Die personelle Situation stellt eine Hürde dar. Wir hatten immer unzählige Bewerber, doch mittlerweile bekommen selbst wir den Fachkräftemangel zu spüren. Zudem hat man in der Theke in der Regel keinen Platz für große Experimente“, sagt er.

Schützenhilfe bietet Spezialist Veganz, der seit einem Jahr in den eigenen Filialen Erfahrungen mit Frischetheken für Käse- und Fleischalternativen sammelt. Auch Artikel aus eigener Produktion würden dort erfolgreich angeboten: So „könnten wir auch die Frischetheken unserer Handelspartner beliefern. Hierzu müssten wir Verpackungsgrößen und Logistik neu definieren und gestalten“, sagt Moritz Möller, Chief Marketing Officer bei Veganz.