Verbraucher sind vor dem Hintergrund der Inflation und dem Krieg in der Ukraine preissensibler geworden. Konkret zeigt sich dies aktuell anhand der rückläufigen Bio-Umsätze - mit Ausnahme im Discount. Wie entwickelt sich bei Tegut die Nachfrage nach nachhaltigeren Sortimenten?
Thomas Gutberlet: Verbraucher spüren zum Teil bereits die Teuerungen, beispielsweise an der Zapfsäule, zum anderen schüren die Berichte der Medien die Sorge vor extremen Zusatzkosten für Heizen und Strom. In Deutschland wird in der Konsequenz nicht am Urlaub gespart, sondern im Alltag. Wir beobachten, dass Konsumenten jetzt häufiger Wurst als Steak grillen, und günstigeres Schweinefleisch anstatt Rindfleisch kaufen. Wenn ich zuvor Steak vom Rhöner Biosphärenrind gekauft habe, dann greife ich derzeit zum Landprimus Schweinesteak. Keiner geht drei Schritte zurück, schaut aber, wo er ein wenig sparen kann. Die günstigeren Tegut-Marken werden häufiger gekauft als teurere Produkte. Das trifft so auch auf Bio zu, der Kunde kauft weiter ökologisch, aber die günstigeren Varianten. Die Frische, Obst und Gemüse, ist rückläufig. Hier haben wir die höchsten Bio-Anteile aller Warengruppen, abgesehen von Brot. Wenn Obst und Gemüse weniger gekauft wird, geht auch der Bio-Umsatz zurück.
Wo steuern Sie gegen, um nachhaltige Sortimente zu unterstützen?
Gutberlet: Wir machen unsere Kampagnen zu Nachhaltigkeit wie zuvor. Es bringt aber wenig, gegen den Versuch der Kunden, Geld zu sparen, anzurennen. Keine Grafik wächst linear. Jedes Wachstum, jede Entwicklung hat Schwankungen, wie die Jahresringe eines Baumes mal dicker und mal dünner ausfallen. Es wird sich nun entscheiden, in welche Richtung wir gehen wollen, in Sachen Atomkraft wie auch in der Landwirtschaft und Ernährungsindustrie. Gerade hier liegt eine Chance. Alle, die sich ernsthaft für Klimaschutz und die Transformation unserer Ernährung und Wirtschaft interessieren, werden in einer Phase mit mehr Gegenwind nicht aufgeben.
Welche Chancen sehen Sie konkret?
Gutberlet: Eine herausfordernde Phase wie diese führt vielleicht dazu, dass das ein oder andere noch einmal durchleuchtet und überarbeitet wird. Ich hoffe zum Beispiel, dass das staatliche Tierwohllabel endlich in einer sinnhaften Ausgestaltung kommt. Wenn es in einer schwierigeren Phase durchgedrungen ist, wird es auch Substanz und Bestand haben.
Inwiefern tragen Ihre Nachhaltigkeits-Maßnahmen, zum Beispiel zum Energiesparen, ganz konkret zu mehr Resilienz in Krisen wie der aktuellen bei?
Gutberlet: Beziffern können wir dies nicht. Wir haben schon immer viel getan, um unseren Energiebedarf so niedrig wie möglich zu halten. In EHI-Studien liegen wir immer auf den besten Plätzen im Vergleich. Auch Photovoltaik haben wir wo möglich schon im Einsatz. Irgendwann fallen einem aber keine großen Hebel mehr ein, die zu weiteren relevanten Optimierungen führen können. Man kommt sehr ins Kleine, wenn man die großen Dinge schon umgesetzt hat. Wir werden sehen, was die neu verordneten Maßnahmen wie das Ausschalten der Leuchtreklame oder das Schließen der Türen im Winter bringen werden. Aber wer lässt im Winter schon die Türen aufstehen? Hier sieht man die Verzweiflung der Politik.
Wie stark belastet die aktuelle Situation mit Kaufzurückhaltung, explodierenden Kosten, Dürre und Unsicherheiten in Folge des Krieges in der Ukraine die Nachhaltigkeits-Strategien von Tegut?
Gutberlet: Die Bio-Entwicklung macht mir wenig Sorge, wohl aber, dass uns aufgrund der enormen Kostensteigerungen viel engere Budgets bleiben, um Zukunfts-Projekte zu entwickeln. In Zeiten des Fachkräftemangels die richtigen Leute hierfür zu bekommen ist eine weitere Herausforderung. Die Ressourcenknappheit auf verschiedenen Ebenen ist daher viel mehr der Feind von neuen Entwicklungen und Nachhaltigkeits-Projekten.
Können Sie hierzu konkrete Beispiele nennen, was auf der Strecke bleibt?
Gutberlet: Wir haben keine speziellen Nachhaltigkeits-Projekte gestoppt, schaffen es aber derzeit nicht, zusätzliche neue Nachhaltigkeits-Projekte anzustoßen.
Fritz Konz: Wir hatten zwei Jahre keine Möglichkeit, mit Projektpartnern in einem Raum zusammenzukommen, das verlangsamt. Neue Projekte erfordern Ressourcen und viel Zeit. Eine Idee war, uns für die Rückvernässung von Mooren zu engagieren, hier Wasserbüffel zu halten und Fleisch und Milchprodukte bei Tegut zu verkaufen. Aber bringen Sie in der jetzigen Marktsituation mal Kunden dazu, Wasserbüffelfleisch zu kaufen. Hier vorzupreschen wäre eine Verschleißung von Ressourcen, die zu Demotivation für alle Beteiligen führen würde.
Gutberlet: Neben der Bewältigung all der aktuellen Herausforderungen sind wir zudem stark mit dem beschäftigt, was von staatlicher Seite in Form von neuen Gesetzen und Verordnungen auf uns zukommt.
Noch ist vieles unklar in der Umsetzung der neuen Nachhaltigkeits-Gesetze. Wie hoch ist der Aufwand bereits für Tegut?
Konz: Mit den neu in Kraft getretenen und angekündigten Regulierungen, sehe ich eine sehr starke Formalisierung aller Nachhaltigkeitsaktivitäten. Grundsätzlich finde ich es gut, dass reguliert wird. Es hilft uns allen und den Verbrauchern, wenn Unternehmen, die sich als klimaneutral bezeichnen, ihre Berechnungen und Methoden nicht selbst stricken und zurechtbiegen, sondern an einheitliche Regeln und Vorgaben gebunden sind. Zugleich werden aber unser kreativer Freiraum eingeschränkt und Ressourcen gebunden. Wir haben eine Stelle in meinem Team aufgebaut, die ausschließlich damit beschäftigt ist, diese Formalien zu erfüllen und für Klarheit zu sorgen.
Was bedeutet dies in der Praxis?
Konz: Beim Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist noch nicht ganz klar, was wir erfüllen sollen. Aber sorgfältig müssen wir sein. Sorgfältig bedeutet für uns eine akribische Dokumentation jedes einzelnen Schrittes. Ich komme aus dem Qualitätsmanagement. Meine Erfahrung mit den Ämtern ist: Nicht dokumentiert ist gleichbedeutend mit nicht gemacht. Wir arbeiten sehr akribisch unser Sortiment durch, priorisieren und decken auch Lücken auf. Zuvor hätte ich Getreide nicht auf der Liste der Problem-Rohstoffe gesehen. Auf Getreide liegt weniger Aufmerksamkeit als auf Palmöl, Kakao oder Bananen. Der Prozess ist spannend und herausfordernd. Ich hoffe jedoch sehr, dass der hohe Ressourceneinsatz der Unternehmen nicht dazu führen wird, dass es nur einen schönen Report gibt und nicht genug Impact generiert wird. Wenn ich von einem Euro 80 Cent in die Dokumentation stecken müsste, könnten nur 20 Cent in Projekte fließen.
Kann man jetzt schon sagen, wo die neuen Gesetze und Verordnungen nachgebessert werden müssten?
Konz: Wir haben die erste Handreichung bekommen zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzt. Diese hat unsere Vorgehensweise und Vermutungen bestätigt, wo es hingehen wird. Wir sind also auf einem guten Weg. Ich würde mir aber eine zügigere Bereitstellung von Handreichungen mit dem nötigen Detailgrad seitens der BAFA wünschen. Wie soll konkret unser Bericht aussehen? Wenn ich dies weiß, dann kann ich Prozesse und Systeme aufbauen, um die richtigen Kennzahlen zu liefern. Im Moment denke ich mir alles selbst aus. Ich muss ein System implementieren, das den eigenen Geschäftsbereich, direkte und indirekte Lieferanten einbezieht, ohne zu wissen, welche Kennzahlen ich dazu abliefern muss.
Greenwashing soll vorgebeugt und bekämpft werden. Wie ordnen Sie die neuen Regulierungen hierzu ein?
Konz: Mit der Green-Claims-Verordnung, die in Vorbereitung ist, wird ein notwendiger Schritt gemacht, um Greenwashing zu verhindern. Der Prozess hat aber Züge wie damals zur Einführung der Health-Claims-Verordnung. Man kann erst einmal munter werben mit selbst gestrickten Aussagen, bis ein DIN-Katalog entsteht, der festlegt, welche Aussagen überhaupt zulässig sind und was ich erfüllen muss. Dabei nicht den Anschluss zu verlieren, weil plötzlich eine Grenze komisch gezogen wurde, es vielleicht irgendwann heißt, „ihr dürft euch nur noch als Bio-Pionier bezeichnen, wenn ihr mindestens 50 Prozent Bio führt“, das macht Sorge.
Gutberlet: Es ist nachvollziehbar, dass wir gegen schwarze Schafe vorgehen müssen und die Gesetzgebung kommt. Die Gesetze in ihrer Ausführung erhöhen jedoch auch die Strukturkosten. Je kleiner das Unternehmen, desto herausfordernder wird es, da hinter dem gleichen Aufwand weniger Umsatz steckt.
Konz: Im Kontext der Green-Claims-Verordnung ist auch die Rede vom PEF – dem Product Environmental Footprint, um eine Nachhaltigkeitskennzeichnung für konventionelle Lebensmittel zu erhalten. Die Tendenz scheint dahin zu gehen, dass der PEF als Metasiegel auch das Bio-Siegel mit einbeziehen soll. Die Argumentation dahinter ist die, dass das Bio-Siegel im Rahmen der Rinderhaltung nicht wirklich abbildet, wie hoch der ökologische Fußabdruck ist. Dass der PEF das bessere Nachhaltigkeitssiegel werden könnte, stimmt mich unglücklich, denn die Datenlage ist sehr fragwürdig. Es ist auch nicht machbar, den PEF mit 14 Kriterien mal eben für ein Lebensmittel durchzuarbeiten. Für jedes einzelne Produkt entspräche der Aufwand einer Masterarbeit. Eine Erneuerung des Datenstammes wäre nicht möglich, da dies viel zu aufwändig wäre. So müsste man immer mit den alten Daten leben, obwohl diese vielleicht fehlerbehaftet waren. Die Wissenschaft entwickelt sich weiter, neue Erkenntnisse lösen alte ab. Gerade die Rinderdiskussion ist noch nicht abgeschlossen. Mittlerweile wurde zugegeben, dass eine ganzheitliche Betrachtung an dieser Stelle noch nicht durchgeführt wurde und die Bodenleistung nicht mitbetrachtet wurde.
Gibt es ein Nachhaltigkeits-Siegel, das aus Ihrer Sicht den richtigen Ansatz bietet?
Konz: Im Verpackungsbereich ist das Cradle-to-Cradle-Siegel ein sinnhaftes. Im Lebensmittelbereich haben wir bereits ein wahnsinnig starkes Nachhaltigkeits-Siegel: Das Bio-Siegel. Dieses geht einem ganzheitlichen Ansatz nach, Artenschutz, Gentechnikfreiheit, Bodenschonung sind schon drin. Die Bio-Kriterien werden weiterentwickelt und es wird genau geprüft, dass diese erfüllt werden. Siegel für Teillösungen wie Tierwohl oder CO2 einzuführen, ist nicht zielführend.
Die Werbung mit Klimaneutralität und die dahinterstehende Kompensation steht stark in der Kritik. Welche Konsequenz hat die Debatte für Tegut?
Konz: Es gibt Lebewesen, die sich bewegen und solche, die still stehen, wie ein Baum. Beide Gruppen leben gegenseitig von ihren Stoffwechselprodukten. Der Baum ist dankbar, dass ich CO2 produziere, von dem er wächst, ich bin dankbar dafür, dass der Baum für mich Sauerstoff produziert. Wir leben also in einer Koexistenz. Wenn ich kein CO2 mehr produziere, bin ich tot. Wir werden also immer kompensieren müssen. Es ist sinnvoller, einen Baum zu pflanzen, möglichst einen, der essbare Früchte trägt in meiner Nachbarschaft, anstatt CO2 zu verpressen und in ein leergepumptes Erdgasfeld in Norwegen zu pumpen, ohne zu wissen, was damit passiert.
Erste Start-ups arbeiten bereits an Lebensmitteln aus recyceltem CO2…
Konz: Kann man industriell machen, ein Lebensmittel aus recyceltem CO2 wäre aber auch die Kirsche. Und hier funktioniert der Prozess von ganz alleine.
Es werden verschiedene Lenkungsinstrumente diskutiert, die eine Transformation hin zu einem nachhaltigeren Konsum und Wirtschaften ermöglichen sollen, eine Anpassung der Mehrwertsteuersätze an die jeweilige Klimawirkung von Lebensmitteln, True Cost Accounting etc. Wie bewerten Sie den möglichen Impact dieser Hebel?
Gutberlet: Mein Wunsch wäre eine Zuordnung der externalisierten Kosten, die noch möglichst nachvollziehbar ist. Jede Auswirkung von jedem einzelnen Produkt zu messen und einzubeziehen ist jedoch extrem schwierig. Einige Kriterien wie den Einsatz von Kunstdünger und dessen Folgen fürs Grundwasser, kann man bereits bepreisen oder könnte diese besteuern. Da muss man auch mal ran gehen. Im Moment tun sich natürlich alle Initiativen schwer, die Produkte verteuern. Dann müssten wir andere Produkte eben günstiger machen oder über eine Art Grundeinkommen allen Bürgern die so gemachten Einnahmen wieder zugänglich machen.
Also über eine Anpassung der Mehrwertsteuersätze sollte beispielsweise Bio günstiger besteuert werden?
Gutberlet: Die konkreten Maßnahmen überlasse ich der Politik.
Konz: Kreativ gedacht, müssten wir die Rechtfertigung umdrehen. Bisher müssen sich Bio-Produkte und Tierwohl-Produkte rechtfertigen. Vielleicht müsste ich jedoch eigentlich auf eine konventionelle Kekspackung schreiben: „Dieses Produkt kann möglicherweise Umweltschäden verursachen“?