Politik Dekade der Automatisierung

Seit August ist Andrea Nahles Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit. Die eifrige, gut vernetzte SPD-Frau kennt den Polit-Apparat und weiß, wie man sich verbrennt.

Montag, 01. August 2022 - Management
Christina Steinhausen
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Bildquelle: Christina Steinhausen

Ein Pflaster auf der rechten Hand. Verbrannt. Mal wieder am Backofen. Gut gelaunt und mit dem ersten Satz, noch bevor wir uns setzen, schon mitten im Thema. Unprätentiös. So ist Andrea Nahles. Direkt, aber immer menschlich und offen. Sie ist zurück auf der großen Bühne. Im Juni 2019 als Partei- und Fraktionschefin der SPD zurückgetreten, dann ein Jahr lang zu Hause im Kreis Mayen-Koblenz, 2020 macht Finanzminister Olaf Scholz sie zur Präsidentin der seinem Ministerium unterstellten Bundesanstalt für Post und Telekommunikation in Bonn, im Mai 2022 wurde sie designierte und im August tatsächliche Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit.

Wie fühlt sich so ein Comeback an?
Andrea Nahles: Für mich ist es ein Kreis, der sich nun schließt. Das Thema Arbeit lag mir immer am Herzen, in meiner Zeit bei der Gewerkschaft und als Abgeordnete. Als Arbeitsministerin habe ich den Mindestlohn eingeführt. Die Bundesagentur für Arbeit kenne ich von außen gut, nun lerne ich sie von innen kennen.

Und jetzt?
Ich habe die vergangenen Monate für Besuche in den Regionaldirektionen und bei einigen der 301 Jobcenter sowie der 155 Agenturen genutzt. Außerdem habe ich mir den Telefonbereich bei uns angesehen, also mit den Kolleginnen und Kollegen gesprochen, die bei uns die klassische Telefonberatung machen. Ich war bei den Mitarbeitern der Familienkasse und sogar bei den drei Bienenstöcken auf dem Gelände unserer Zentrale – und nicht nur die hatten zuvor noch nie Besuch von der Vorstandsspitze.

Das war die Bestandsaufnahme. Was folgt daraus?
Am 1. Juli habe ich auf unserem Führungskongress in meiner Rede zwei Themen benannt, um die wir uns verstärkt kümmern müssen. Die eine Herausforderung habe ich Dekade der Automatisierung genannt, ganz bewusst nicht nur Digitalisierung. Denn wir müssen unsere Mitarbeitenden durch die Automatisierung von zeitraubenden Alltagstätigkeiten des Bürogeschäfts entlasten, damit sie genug Zeit haben, sich um die Kernanliegen unserer Kundinnen und Kunden kümmern zu können. Die Automatisierung ist aber auch alleine schon deshalb enorm wichtig, weil wir aufgrund der demografischen Entwicklung ansonsten schon sehr bald unseren eigenen Bedarf an Mitarbeitern tatsächlich nicht mehr decken können. Denn auch bei uns kommt für viele unserer 128.000 Mitarbeiter der Ruhestand mit großen Schritten näher.

Und das zweite zentrale Thema?
Das ist der Fachkräftemangel. Wir müssen uns dringend um die Zuwanderung von Fachkräften bemühen. Dazu wurde in der Bundesagentur für Arbeit bereits vor zwei Jahren ein eigener Geschäftsbereich geschaffen. Ich habe die Hoffnung, dass wir das Bekenntnis, ein Einwanderungsland zu sein, ernstnehmen. Dafür brauchen wir eine Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, die es den Fachkräften einfacher macht, zu uns zu kommen.

Kommen wir zum Kurzarbeitergeld ...
Normalerweise machen das 700 Kolleginnen und Kollegen bei uns. Als 2020 sechs Millionen Menschen in Deutschland in Kurzarbeit waren, hat die Bundesagentur für Arbeit schnell reagiert und mehr oder weniger von jetzt auf gleich 11.500 Mitarbeiter aus anderen Bereichen dafür eingesetzt. Aktuell sind noch 2.500 Mitarbeiter mit dem Kurzarbeitergeld befasst.

Falls die Kurzarbeit wieder zunimmt, etwa weil die Stahlindustrie oder auch andere Betriebe, die viel Energie benötigen, nicht genug davon bekommen und Produktionen stilllegen, ist die Bundesagentur für Arbeit dann vorbereitet?
Ja. Überhaupt sehe ich uns auch als Krisen- und Transformationsbegleiter. In vielen Branchen und Berufen stehen große Umwälzungen an.

Jetzt kommt das Bürgergeld ...
Ja, allerdings. Da wird ein neues Kapitel aufgeschlagen. Mit dem Bürgergeld geht es hoffentlich bald mehr um Kooperation zwischen dem Jobberater und dem Arbeitssuchenden. Gemeinsam einen Weg zu finden, das steht jetzt im Mittelpunkt unserer Bemühungen. Die Pflicht zur Mitwirkung bleibt, aber die Haltung ist jetzt: Wir finden gemeinsame eine Lösung, auch bei schwierigen Lebenslagen.

Ja, die Bundesagentur für Arbeit ist groß ...
Es ist ein großer Vorteil, dass wir vor Ort präsent sind, dass wir in regionalen Netzwerken aktiv sind, dass wir die lokalen Arbeits- und Konjunkturmärkte kennen.

Wer ist im Vorstand für was zuständig?
Wir sind zu viert: Daniel Terzenbach kümmert sich ums Operative, dass alles in den Regionen ankommt, Christiane Schönefeld – noch bis Ende September und ab Oktober Katrin Krömer – grob gesprochen ums Personal und Vanessa Ahuja um die Bereiche Leistungsrecht und Internationales. Ich bin mit dem Haushalt und der IT befasst. Letztere umfasst 2.000 Leute und wird den technischen Teil der Automatisierung stemmen müssen.

2.000? Das ist ja wesentlich mehr als die Bundesagentur für Post und Telekommunikation insgesamt an Mitarbeitern hat?
Allerdings, dort in Bonn habe ich mich um rund 1.100 Mitarbeiter gekümmert. Aber die Zeit möchte ich nicht missen. Es war eine kleine Behörde, aber genau richtig als sagen wir mal Übung für eine große wie die BA.

Lassen sich der Beruf in Nürnberg und das Privatleben in der Eifel noch vereinbaren?
Ja, aber ich bin froh, dass sich die Woche über ihr Vater und meine Mutter um meine Tochter kümmern. Sie geht nach den Sommerferien in die sechste Klasse nach Mayen aufs Gymnasium. Drei bis vier Tage die Woche bin ich in meiner Wohnung in Nürnberg, außerdem natürlich viel in Berlin – da würde es ohne meine Mutter und den Vater meiner Tochter nicht gehen. Die Ferien sind natürlich heilig. Und auf die freuen wir uns alle drei.

Apropos heilig: „Frau, gläubig, links“ war der Titel des 2009 veröffentlichten Buches. Wie steht es aktuell mit dem Glauben?
Ich glaube immer noch, aber wundere mich schon, warum heutzutage niemand mehr zurücktritt. Manch ein Bischof ist schon harte Kost.

Verwurzelt
Andrea Nahles (52) wohnt in Weiler auf einem Bauernhof, auf dem schon ihre Urgroßeltern lebten. Sie war Messdienerin und bekennt sich auch heute noch zum katholischen Glauben. Studiert hat sie im nahen Bonn Politikwissenschaften und Germanistik.

Vernetzt
Die ehemalige Bundestagsabgeordnete (1998 bis 2002, 2005 bis 2019) hat sich bis 1999 bei den Jusos engagiert, saß von 1999 bis 2009 im Kreistag Mayen-Koblenz, war von 2009 bis 2013 SPD-Generalsekretärin und von 2013 bis 2017 Bundesministerin für Arbeit und Soziales. Von 2017 bis 2019 führte sie die SPD-Fraktion im Bundestag, von 2018 bis zu ihrem Rücktritt 2019 war Nahles Bundesvorsitzen‧de der SPD.

Verbrannt
hat sie sich oft an ihrem Backofen, den sie nun ausgetauscht hat. Ihr Gesang im Bundestag und ihre Art haben Weggefährten oft auch unterhalb der Gürtellinie kritisiert.

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