Vertikales Farming Der Händler als Gärtner

Säen, ernten, verkaufen. Alles im Supermarkt – ein Qualitäts- und Frischeerlebnis der besonderen Art. Vertikales Farming macht Schule im Lebensmitteleinzelhandel. Wir haben nachgefragt: Wie attraktiv und profitabel ist das Sortiment wirklich?

Freitag, 08. April 2022 - Management
Brigitte Oltmanns
Artikelbild Der Händler als Gärtner
Bildquelle: Heike Rost

Pflanzen im Supermarkt beim Wachsen zuzusehen, das begeistert die Kunden – und auch immer mehr Lebensmittelhändler. Unter optimalen Wachstumsbedingungen gedeihen Kräuter und Salate in sogenannten Grow-Towers ohne Schädlingsbefall und bieten ein Frische- und Geschmackserlebnis der besonderen Art. Händler wie etwa Uli Budnik, Rewe Homberg & Budnik, berichten von „stetig steigenden Absatzmengen in einem Sortiment, das gute Spannen liefert, größtenteils bereits kostendeckend ist und zudem einen wichtigen Imagegewinn für das eigene Unternehmen erzielt“. Budnik war 2020 unter den Ersten, die mit Kresse vertikales Farming im eigenen Markt praktizierten, und startet aktuell neu durch mit einem technologisch deutlich verbesserten Grow-Tower-System, das auch höhere Kapazitäten ermöglicht. Vom Anzüchten bis zur Ernte erfolgt dann die gesamte Aufzucht im Dortmunder Markt mit dem eigenen geschulten Personal. Hier Dienstleister zu beauftragen, kommt für Budnik nicht in Betracht: Viel zu teuer und auch nicht nachhaltig sei das.

Viel ist möglich, aber sinnvoll?
Nicht jeder Kaufmann will in seinem Markt selbst zum Gärtner werden, aber man kann sich mit den ultrafrischen Pflänzchen auch beliefern lassen. Der neue Green-Farming-Markt der Rewe-Gruppe in Wiesbaden-Erbenheim hat es richtig krachen lassen: Die aquaponische Dachfarm produziert jährlich 800.000 Basilikumpflanzen und versorgt damit täglich rund 450 Märkte in der Region. Nicht nur das: Über das aquaponische Kreislaufsystem werden zugleich Buntbarsche gezüchtet und verkauft. Rewe-Systempartner ECF Farmsystems bewirtschaftet die große Anlage. Es ist noch ein absoluter Pilotmarkt, aber auf Regelbetrieb geschaltet sind bisher ohnehin die wenigsten vertikalen Supermarkt-Farmen. Aktuell sammelt man Erfahrungen. Vor allem hochwertige Blattgemüse aus dem Gewächshaus versprechen hohe Erträge bei wenig Arbeit. System-Marktführer Infarm beispielsweise übernimmt für seine Handelspartner die gesamte Anzucht der Kräuter und Salate. Die Produkte wachsen nur die letzten Wochen vor der Ernte im Supermarkt weiter.

Standortgerechte Modullösungen
Je nach Format müssen die Händler auch ein beachtliches Investitionsvolumen für die mehrstöckigen verglasten Grow-Tower einschließlich modernster Technologie für Klimatisierung, Beleuchtung und Bewässerung auf den Tisch legen. Zentrale cloudbasierte Anbauplattformen der Systempartner überwachen das Pflanzenwachstum: Sie lernen laufend dazu, passen sich automatisch an und optimieren so die Anbaubedingungen immer weiter. Aldi Süd versorgt derzeit aus den exklusiv für den Discounter gebauten Infarm-Growing-Centern mehr als 300 Filialen rund um Mönchengladbach und Frankfurt am Main mit frischen Kräutern. In den Regionen Düsseldorf und Frankfurt werden außerdem zwölf Infarm-Kräuter-Kleingärten in Aldi-Süd-Filialen betrieben. Unternehmen wie Kaufland und Bünting tragen sich bereits mit Erweiterungsplänen in puncto Sortenvielfalt und Filialausstattung. Derzeit verfügen 24 Kaufland-Filialen über Grow-Tower, über 250 weitere Filialen beziehen ihr Angebot aus den Infarm-Growing-Centern. In rund 50 Combi- und Famila-Märkten der Bünting-Gruppe stehen ebenfalls bereits Grow-Tower für die Aufzucht von zehn verschiedenen Kräutersorten sowie (in den Großflächen) Salatköpfen.

Vor allem bei überzeugten Bio-Kunden findet das ultrafrische Kräuterangebot aus dem eigenen Markt eine große Resonanz, beobachtet Daniel Honner, Junior-Chef der Edeka-Stadler + Honner-Märkte in Unterföhring. Für ihn ist die eigene Farm im Supermarkt eine „Herzensangelegenheit mit Blick auf eine gesunde, umwelt- und ressourcenschonende Erzeugung“. Aber sie entpuppt sich auch als außerordentlich ertragreich. Honner hat errechnet: Ein Quadratmeter des eigenen Grow-Tower liefere den gleichen Ertrag wie 250 m2 Acker in der konventionellen Landwirtschaft. Dabei erziele man – unabhängig von widrigen Witterungsbedingungen – in einem dreiwöchigen Zyklus von der Aufzucht bis zur Ernte das ganze Jahr über qualitativ einwandfreie Produkte. Dies wiege die etwas höheren Betriebskosten durch Bewässerung und Beleuchtung der Gewächshäuser definitiv auf. Sein mit dem US-Unternehmen Kalera entwickeltes Grow-Tower-Projekt bringt es mit stattlichen 80 m2 Fläche plus 40 m2 Nebenräumen bei voller Auslastung bereits auf eine tägliche Ernte von 360 Salatköpfen, mit zeitweise bis zu 17 Sorten.

Ressourcenschonend, nachhaltig, authentisch

Vertikales Farming könnte viele Probleme lösen, die in konventioneller Landwirtschaft und Gartenbau noch gang und gäbe sind.
■ Der Anbau von Kräutern und Salat direkt in der O&G-Abteilung bedeutet 90 Prozent weniger Transportwege und damit eine Reduktion klimaschädlicher Treibhausgase.
■ Das Anbausystem kommt ohne Erde aus und spart 95 Prozent Wasser im Vergleich zum konventionellen Ackerbau.
■ Vertikales Farming bietet mit optimalen Anbaubedingungen einen hohen Ernteertrag ohne Schädlingsbefall und ohne Verluste.
■ Auf den Einsatz von chemischen Pestiziden wird in den Indoor-Farms komplett verzichtet, der Düngereinsatz ver- ringert sich um bis zu 75 Prozent.
■ Geschlossene Systeme mit effizienten Kreisläufen entlasten außerdem Grund- und Oberflächengewässer, weil es keine Nährstoffüberschüsse gibt.