Lebensmittelbetrug „Attraktiver“ Betrug

Mit gepanschten oder falsch deklarierten Erzeugnissen erschwindeln Fälscher bei Lebensmitteln hohe Gewinnspannen. Ein Interview mit Dr. Florian Wille, einem Rechtsexperten mit Schwerpunkt Lebensmittelbetrug.

Freitag, 28. Januar 2022 - Management
Jens Hertling
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Food Fraud bedeutet Lebensmittelbetrug und bleibt weiter ein großes Problem. Was sind die richtigen Maßnahmen dagegen?
Dr. Florian Wille: Hier ist zu berücksichtigen, dass Food Fraud gerade wegen seines geringen Entdeckungsrisikos so attraktiv ist. In Deutschland wird deshalb bei der Durchführung von amtlichen Betriebskontrollen zunehmend darauf geachtet, ob sich Anhaltspunkte für den Verdacht auf Food Fraud ergeben. Auch die Labore sind bei der Analyse von Lebensmittelproben wachsamer für mögliche Verfälschungen und Täuschungen. Die analytischen Verfahren zum Nachweis verfälschter Lebensmittel werden kontinuierlich weiterentwickelt. Zudem wird die Zusammenarbeit zwischen den Lebensmittelüberwachungsbehörden, den Laboren und den Strafverfolgungsbehörden vorangetrieben. Auch die zwischenstaatliche Zusammenarbeit wird weiter ausgebaut. Vernetzte Datenbanken auf europäischer Ebene kommen immer mehr zum Einsatz, um effizientes Handeln zu ermöglichen. Die Einbeziehung von Hinweisen auf Betrugsanreize, wie etwa auffällige Veränderungen bei den internationalen Warenströmen, ermöglicht das Ergreifen von präventiven Maßnahmen.

Welche Lebensmittel werden häufig gefälscht?
Valide Zahlen hierzu gibt es nicht. Unter Fälschungsverdacht stehen allerdings immer wieder Öle und Fette, allem voran Olivenöl, sowie Fisch und Fischereierzeugnisse. Auch Fleisch und Fleischprodukte sowie Honig und Gewürze sind davon betroffen.

Welche Rolle spielt dabei die Globalisierung?
Der internationale Handel mit globalen Warenströmen sowie stark verzweigten und damit oftmals undurchsichtigen Lieferketten erhöht ganz eindeutig die Möglichkeit für Food Fraud und erschwert zugleich die Aufdeckung von Food Fraud. Nicht umsonst wird in Fachkreisen die Globalisierung als Beschleuniger für Food Fraud bezeichnet.

Gibt es gerade aktuell einen Lebensmittelskandal?
Lebensmittelskandale kommen immer wieder vor und sie sind mal mehr, mal weniger von medialem Interesse. In der EU sorgt zum Beispiel gepanschtes Olivenöl regelmäßig für Aufmerksamkeit. Bei der Frage nach Lebensmittelskandalen im Bereich von Food Fraud muss man hervorheben, dass Food Fraud in der Regel eine Gesundheitsgefahr für Verbraucher gerade vermeiden will, um das Entdeckungsrisiko so gering wie möglich zu halten. Das hat sich beim Pferdefleischskandal von 2013 gezeigt. Damals war Pferdefleisch als Rindfleisch deklariert worden. Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Gesundheit konnte dabei nicht festgestellt werden.

Seit 2019 gibt es eine EU-Verordnung zu Food Fraud. Was besagt sie und wie effektiv ist sie?
Als Reaktion auf den Pferdefleischskandal betont diese EU-Verordnung den Schutz der Verbraucher vor Täuschung und Irreführung.
Sie gibt vor, dass bei amtlichen Kontrollen auch das Risiko von betrügerischen oder irreführenden Praktiken zu berücksichtigen ist und keine Beschränkung auf den Gesundheitsschutz stattfinden darf. Europäische Referenzzentren sollen die Mitgliedstaaten durch wissenschaftliche Expertise bei der Prävention und Bekämpfung von Food Fraud unterstützen. In Deutschland übernimmt diese Aufgabe das Nationale Referenzzentrum für authentische Lebensmittel (NRZ-Authent). Zudem müssen Personen, die Verstöße in Unternehmen melden – sogenannte Whistleblower –, besser vor Diskriminierung und Benachteiligung geschützt werden. Zusätzlich müssen die Mitgliedstaaten finanzielle Sanktionen für betrügerische oder irreführende Praktiken vorsehen. Diese Sanktionen müssen mindestens dem wirtschaftlichen Vorteil für den Unternehmer entsprechen oder als Prozentsatz des Umsatzes des Unternehmers festgelegt werden.

Wie effektiv ist dies?
Die Effektivität der Verordnung hängt davon ab, dass die in ihr festgeschriebenen Ziele erreicht werden, was für jeden Mitgliedstaat einzeln zu beurteilen sein wird.

Reichen die gesetzlichen Bestimmungen in Europa aus, um Lebensmittelbetrug so weit wie möglich einzugrenzen?
Das Problem besteht gegenwärtig wohl eher darin, dass die in diesem Bereich bereits existierenden EU-Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten wirksam umgesetzt werden. Dazu wäre eine EU-weit einheitliche Definition des Begriffs Food Fraud hilfreich, was bislang aber nicht der Fall ist. Zudem fehlt es oftmals an der Bereitstellung der zur Bekämpfung von Food Fraud erforderlichen Mittel. In Deutschland wird die personelle und finanzielle Ausstattung der Lebensmittelüberwachungsbehörden bemängelt.

Welche Rolle spielen die Schwerpunktstaatsanwaltschaften?
Bei Schwerpunktstaatsanwaltschaften handelt es sich um Zentralstellen für die Bearbeitung von Strafverfahren auf dem Gebiet des Lebensmittelrechts. Diese wurden eingerichtet, um eine effektivere Strafverfolgung von Lebensmittelstrafsachen zu erreichen. Die dort tätigen Staatsanwälte verfügen über Spezialwissen, das ihnen bei der Bearbeitung von Lebensmittelstrafsachen zugutekommt. Denn das Lebensmittelstrafrecht ist ein Sonderbereich des Strafrechts. Hier sind spezielle Kenntnisse und Erfahrungen gefordert. Die Bildung von weiteren Schwerpunktstaatsanwaltschaften wird deshalb für wichtig erachtet.

Wo sehen Sie beim Lebensmittel-betrug die größten Risiken?
Es kommt vor, dass von verfälschten Lebensmitteln eine Gefährdung für die Gesundheit der Verbraucher ausgeht, wie zum Beispiel bei Frostschutzmittel im Wein. Fälle von Lebensmittelbetrug erschüttern das Vertrauen der Verbraucher in die Lebensmittelindustrie nachhaltig und schädigen damit einen bedeutenden Wirtschaftssektor der EU. Für Unternehmen, die mit Food Fraud in Zusammenhang gebracht werden, steht – egal ob unverschuldet oder nicht – regelmäßig die Reputation auf dem Spiel.

Kann der Handel vorbeugend gegen Lebensmittelbetrug vorgehen?
Lebensmittelunternehmen können einen entscheidenden Beitrag zur Prävention von Lebensmittelbetrug leisten. Wichtig ist zunächst das Bewusstsein, dass jedes Lebensmittelunternehmen von Food Fraud betroffen sein kann. Qualitätsmanagementsysteme sollten deshalb dementsprechend ausgerichtet werden. Das unternehmenseigene Risiko für Food Fraud kann dabei beispielsweise anhand bestimmter Faktoren ermittelt werden. Das können etwa die Vertrauenswürdigkeit der Lieferquellen oder das Betrugspotenzial der Rohstoffe oder Produkte sein.

Welche Rolle spielt dabei die organisierte Kriminalität?
Die EU-Kommission hat 2012 darauf hingewiesen, dass sich die organisierte Kriminalität vermehrt im Lebensmittelsektor betätigt. Organisierte Kriminalität agiert gut vernetzt und nutzt dabei die real existierenden Marktmechanismen. Zudem kann sie auf die ihr bekannten Vertriebswege zurückgreifen, etwa um Waren in Zielländer zu transportieren und dort auszuliefern.