Titelthema Wer bezahlt das Tierwohl?

Verbraucher interessieren sich zunehmend dafür, dass Schweine und Rinder es im Stall besser haben – etwa mit mehr Platz. Dafür sind große Summen bereitzustellen. Die Optionen liegen nun auf dem Tisch.

Freitag, 16. April 2021 - Management
Jens Hertling
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Die Ausgangslage für Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner ist mehr als komfortabel: Es gibt praktisch niemand, der sich öffentlich gegen bessere Haltungsbedingungen für Nutztiere oder mehr Tierwohl im Stall aussprechen würde. Über den Weg dahin und vor allem darüber, wie er bezahlt werden soll, lässt sich allerdings trefflich streiten. Rechtlich zulässig wären eine Erhöhung der Mehrwertsteuer oder die Einführung eines Tierwohl-Solis, sagen Berater der Bundeslandwirtschaftsministerin. Grundsätzlich möglich wäre aber auch eine Tierwohlabgabe auf Fleisch, Wurst, Eier oder Milchprodukte. Diese würde nur Verbraucher treffen, die tierische Produkte kaufen. Das ergibt sich aus einer Machbarkeitsstudie, die Julia Klöckner kürzlich vorstellte. Sie hatte die Machbarkeitsstudie bei der Bonner Rechtsanwaltskanzlei Redeker Sellner Dahs in Auftrag gegeben.

Die Experten sollten untersuchen, mit welchen Instrumenten die Milliarden, die für den Umbau und den Unterhalt moderner Ställe nötig sind, aufgebracht werden können. Grundlage der Studie ist eine Empfehlung, die ein Expertengremium unter Leitung des früheren Agrarministers Jochen Borchert im Februar vergangenen Jahres vorgelegt hatte. Die Borchert-Kommission setzt sich dafür ein, dass alle Nutztiere bis zum Jahr 2040 in ihren Ställen separate Bereiche zum Schlafen, Fressen und Spielen und sogenannte Klimazonen – möglichst mit Kontakt zur Außenwelt – haben sollen.
Die Realität sieht anders aus: Heute werden hierzulande drei Viertel der Tiere lediglich entsprechend dem gesetzlichen Mindeststandard gehalten. Zur Verbesserung der Bedingungen in der Tierhaltung sind hohe Investitionen nötig. Der Förderbedarf liegt Schätzungen zufolge langfristig bei etwa drei bis mehr als vier Milliarden Euro jährlich.

Die Fachleute der Kanzlei konzentrieren sich auf drei Varianten:

  • Tierwohl- oder Fleisch-Soli: Eine Ergänzungsabgabe auf die Einkommensteuer für den Bundeshaushalt wäre leichter zu organisieren als eine Tierwohlabgabe.
  • Anhebung des Mehrwertsteuersatzes: Auf Fleisch, Milch oder Eier könnten statt 7 künftig 19 Prozent Mehrwertsteuer fällig werden.
  • Einführung einer Verbrauchsteuer (Tierwohlabgabe): Eine Steuer – von zum Beispiel 47 Cent pro Kilogramm Fleisch oder 2 Cent pro Kilogramm Milch – hätte eine ähnliche Wirkung wie die Mehrwertsteuererhöhung, wäre für die Steuerverwaltung jedoch deutlich aufwendiger.

Weitere Optionen zur Finanzierung des Tierwohlumbaus wie die Umwandlung von EU-Direktzahlungen, die Entnahme der Gelder aus dem allgemeinen Staatshaushalt oder eine Umlage analog zum Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) werden in der Studie ebenfalls diskutiert. Ihnen werden aber aus unterschiedlichen Gründen keine großen Chancen eingeräumt.

Warten auf die Finanzierung
Generell ist eine große politische Zustimmung da. Der Bundestag hatte das Gesamtkonzept der Borchert-Kommission mit breiter Mehrheit unterstützt und die Regierung aufgefordert, noch bis zur Wahl am 26. September eine Strategie mit Finanzierungsvorschlägen vorzulegen. Die Agrarminister der Länder sind ebenfalls prinzipiell dafür. Aber wie geht es jetzt weiter? Julia Klöckner ließ offen, welche Lösung sie bevorzugt. Sie suche einen „breiten Konsens“ in der Politik und werde jetzt Gespräche führen.

Derweil wächst auf die Ministerin der Druck zur Umsetzung eines der drei Wege. „Jetzt gibt es keine Ausreden mehr: Die Machbarkeit der Vorschläge der Borchert-Kommission ist belegt, Ministerin Klöckner sollte sie noch vor der Bundestagswahl umsetzen, wenn sie nicht als reine Ankündigungsministerin in die Geschichte eingehen will“, mahnte Greenpeace-Agrarexperte Martin Hofstetter. Der Vorsitzende der Umweltschutzorganisation BUND, Olaf Bandt, teilte mit: „Die Bundesregierung darf den Umbau nicht weiter verzögern und muss endlich anfangen, die Empfehlungen der Borchert-Kommission umzusetzen.“ Der Deutsche Bauernverband verlangte vor allem verbindliche Regeln für die Landwirte. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kritisierte, dass die Studie erst jetzt komme. Eine Verbrauchsteuer könne sie sich vorstellen. Diese dürfe aber nicht dazu führen, dass Menschen mit geringem Einkommen besonders belastet würden. Der FDP-Agrarexperte Gero Hocker warnte vor neuen Belastungen für die Bürger. Tierwohl müsse sich über die Ladentheke finanzieren. Gitta Connemann, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU (siehe auch Interview), sagte der LP: „Am liebsten wäre uns natürlich eine Grundsatzentscheidung über die künftige Finanzierung noch in dieser Legislaturperiode. Aber nachdem die Machbarkeitsstudie erst Anfang März vorlag, ist das Zeitfenster inzwischen sehr eng geworden. Wir haben noch sechs Sitzungswochen. Etliche Fragen sind nach wie vor offen. Und in diesem Fall gilt: Sorgfalt vor Schnelligkeit. Denn es muss gesichert sein, dass die Mittel bei den Landwirten ankommen – über Legislaturperioden hinweg.“