Recht Kein Kavaliersdelikt

Produktfälschungen sind ein Milliardengeschäft. Dabei scheinen die Verantwortlichen immer aufwendigere Aktivitäten in Kauf zu nehmen, wie Christian Köhler, Hauptgeschäftsführer Markenverband im Interview sagt.

Montag, 14. September 2020 - Management
Jens Hertling
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Durch die zunehmenden Aktivitäten von Produktfälschern entgehen den Staaten der EU Steuereinnahmen in Höhe von insgesamt 15 Milliarden Euro pro Jahr. Das geht aus dem Statusbericht 2020 des EU-Amtes für geistiges Eigentum (EUIPO) hervor. Welche Ursachen hat das?
Christian Köhler: Die 15 Milliarden Euro betreffen nur die Steuereinnahmen, die den EU Staaten jährlich in elf betrachteten Branchen verloren gehen. Dieser Betrag ist aber nur die Spitze des Eisbergs, denn die geschätzte Höhe der gefälschten EU-Einfuhren beträgt sogar 121 Milliarden Euro pro Jahr – Ursache für die ebenso von Produkt- und Markenpiraterie verursachten beträchtlichen Umsatzeinbußen für die betroffenen Unternehmen in diesen schutzrechtsintensiven Wirtschaftszweigen.

Inwieweit spielt es eine Rolle, dass die Verbraucher den Kauf von gefälschten Markenprodukten oft auch als Kavaliersdelikt sehen?
Neben dem vermeintlich geringeren Preis und der leichten Zugänglichkeit über das Internet ist auch die geringe soziale Stigmatisierung des Kaufs gefälschter Produkte und urheberrechtlich geschützter Dienstleistungen ein wesentlicher Anreiz. Diese drei Treiber lassen zehn Prozent der europäischen Bevölkerung Fälschungen kaufen, obwohl nahezu alle Einwohner Europas den Schutz geistigen Eigentums als wichtig erachten. Sensibilisierung der Verbraucher, dass hinter jeder gekauften Fälschung ein krimineller Fälscher steht, der betrügen will und bewusst Verbraucher und Unternehmen schädigt, ist daher ein wesentlicher Baustein zur Vermeidung von Fälschungskriminalität.

Wie wird Fälschungskriminalität in Deutschland bestraft?
Der Kauf von Fälschungen und auch der Weiterverkauf durch Verbraucher sind straffrei. Verbraucher sind in der überwiegenden Zahl Opfer und sollen dafür nicht auch noch kriminalisiert werden. Anders sieht es in folgenden Fällen aus: Der Verkauf beziehungsweise das In-Verkehr-Bringen von Fälschungen im geschäftlichen Verkehr ist strafbar und wird mit Geldstrafe bis hin zu Freiheitsstrafe zu drei Jahren bedroht. Tätern, die im gewerbsmäßigen Ausmaß handeln, droht eine Haftstrafe von mindestens drei Monaten.

In welchen Branchen werden die meisten Schäden verursacht?
Fakt ist, Fälscher sind in fast allen Branchen aktiv. Nach Wert lassen sich nach den Zahlen des Deutschen Zolls persönliche Accessoires (Sonnenbrillen, Taschen, Uhren, Schmuck), Kleidung, Mobiltelefone, Schuhe, Spielzeug (inklusive Spielekonsolen, elektronische Spiele, Sportgeräte), elektrische und elektronische Geräte (inklusive Computer und Audiogeräte), Körperpflegeprodukte und Arzneimittel nennen. Wobei gerade während der Corona-Krise der Verkauf gefälschter Virentests, Medikamente und Schutzausrüstungen stark zugenommen haben.

Wer Produkte fälscht, vernichtet Arbeitsplätze, raubt kreative undunternehmerische Leistungen – und gefährdet nicht zuletzt oft die Gesundheit von Menschen. Inwieweit stimmt das?
Die durch Fälschungen hervorgerufenen Schäden sind tatsächlich dramatisch und umfassend: Innerhalb der EU machen schutzrechtsintensive Wirtschaftszweige fast die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes und nahezu den gesamten Handel der EU mit dem Rest der Welt aus. Dementsprechend verursacht Produkt- und Markenpiraterie in Europa Milliardenschäden für die Wirtschaft und Markenunternehmen und hat bisher über 671.000 Arbeitsplätze in regulären Unternehmen vernichtet. Ergänzend zu den wirtschaftlichen Schäden haben skrupellose Fälscher schon immer Gefahren für Leib und Leben der Verbraucher in Kauf genommen – sei es mit Kinderspielzeug, Elektronikartikeln, Kosmetikartikeln oder Medikamenten.

Das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) beklagt, dass der Handel mit Fälschungen immer mehr zunimmt. Warum?
Zum einen nutzen im Zuge der Weiterentwicklung von Technologien die Fälscher zunehmend für den Vertrieb ihrer Produkte und die Verbreitung und den Konsum illegaler digitaler Inhalte das Internet. Das macht die Verletzung der Rechte geistigen Eigentums damit für Kriminelle noch lukrativer, als es bisher schon war – besonders vor dem Hintergrund, weil das Risiko einer Überführung und Bestrafung relativ gering ist. Zum anderen werden die Fälschungen häufiger als Kleinsendungen in die EU und innerhalb der EU verschickt, was den Aufgriff großer Warensendungen reduziert.

Die EU-Kommission hat Maßnahmen zur Bekämpfung der von Desinformationen der Verbraucher und Unternehmen über das Internet vorgestellt. Welchem Zweck dient dies?
Die Maßnahmen der EU Kommission zur Bekämpfung von Desinformationen der Verbraucher sind eine Reaktion auf Desinformationen oder Verschwörungstheorien, die mit Beginn der Coronavirus-Pandemie zunehmend über das Netz verbreitet wurden. Zudem sind sie eine Reaktion auf irreführende Werbeanzeigen, die zum Kauf überteuerter, unwirksamer oder potenziell gefährlicher Produkte im Zusammenhang mit der Pandemie verleiten sollten. Mit den Maßnahmen soll die Handlungskompetenz der Bürger gestärkt, sowie die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft ausgebaut werden.

Was beinhaltet das Paket?
Das Maßnahmenpaket der Kommission beinhaltet verschiedene Bausteine: Auf bewusst während der Corona-Krise lancierte Falschinformationen wurde und wird mit offener Kommunikation gegenüber den Bürgern reagiert und erkannte Desinformationskampagnen werden öffentlich gemacht. EU-intern wurden Schnellwarnsysteme installiert und der Austausch zwischen den Ländern verstärkt. Um die Verbraucher vor Täuschungen zu schützen, arbeitet die EU-Kommission mit den nationalen Behörden für den Verbraucherschutz und den Online-Plattformen zusammen. So wurden bisher Millionen irreführender Werbeanzeigen entfernt.

Wenn sich Desinformationen aus dem Internet herausfiltern lassen, ließen sich dann nicht auch die Vertriebswege von Fälschungen über das Internet beschneiden?
Selbstverständlich, das durch die EU Kommission koordinierte proaktive Screening hat gezeigt, dass sich frühzeitig extrem viele Desinformationen aus dem Netz beseitigen lassen. Der durch den Verkauf von Fälschungen über Onlinehandelsplattformen vorhandenen Gefahrenlage für die Verbraucher, die sich ja gerade während der COVID-19-Krise gezeigt hat, muss nun ebenso entschlossen entgegengetreten werden. Deshalb setzt sich der Markenverband seit Jahren für eine Verpflichtung der Plattformbetreiber ein, auf ihren Plattformen proaktiv Fälschungen herauszufiltern. Die Kommission hat hier alle Fäden in der Hand: Mit dem sogenannten Digital Services Act kann sie die Onlineplattformen zum proaktiven Filtern von Fälschungen verpflichten. So lassen sich Verbraucher wirksam schützen, die Milliardenschäden für Markenrechtsinhaber und die Wirtschaft verringern und die negativen Auswirkungen auf Beschäftigung, Wettbewerb und Innovation in der europäischen Union verhindern.