Interview mit Forssman-Trevedy Die Wende schaffen

Ambroise Forssman-Trevedy, seit Januar 2019 Vorstandssprecher der Wasgau Produktions & Handels AG, spricht über seine Ziele, Nachteile bei selbstständigen Kaufleuten und klärt auf, wie viel Rewe in den Wasgau-Märkten wirklich steckt.

Dienstag, 22. Oktober 2019, 09:18 Uhr
Elena Kuss, Reiner Mihr
Artikelbild Die Wende schaffen
Bildquelle: Alexander Münch

Herr Forssman-Trevedy, Sie waren bei Aldi, Netto, zuletzt Penny. Warum dieses Mal ein vollsortierter Supermarkt?
Ambroise Forssman-Trevedy: Weil es die Chance dazu gab. Denn vom Typ her bin ich eher ein Vollsortimenter.

Inwiefern?
Ich bin ein prozessorientierter Mensch mit einem Studium als Maschinenbauer und der ersten Berufserfahrung als EDV-Berater. Aber von meinem Geschmack her bin ich ein 100-prozentiger Vollsortimenter. Ich liebe es, zum Beispiel im Urlaub auf kleinen Märkten zu verweilen und lokale, qualitativ hochwertige Produkte zu probieren . Ich erfreue mich an einem neuen Geschmack, einer neuen Mischung oder daran, eine alte Obstsorte zu entdecken.

Sie mögen Herausforderungen?
Sicherlich und bei Wasgau sind auch ein paar vorhanden. Wir haben Mitarbeiter, die für Wasgau brennen, jedoch haben wir aber auch an mancher Ecke vergessen, uns weiterzuentwickeln, vergessen zu kommunizieren sowohl intern, aber auch extern mit unseren Kunden. Und das wollen wir ändern.

Haben Sie ein Beispiel?
Wenn ich in einen Markt komme und es gibt 50 Fehlartikel in der Molkerei-Abteilung, dann schmerzt es mich. Am meisten für unsere Kunden. Und wenn der Grund der Urlaub einer Mitarbeiterin ist, dann haben wir noch strukturelle Chancen, und darüber wollen wir offen reden.

Wie wollen Sie die Kommunikation bei Wasgau verbessern?
Erst muss man Kommunikation ermöglichen, in dem man den Mitarbeitern eine Plattform anbietet und Mut dafür macht. Mut um Neues anzugehen und auch Fehler zu tolerieren. Aber wir müssen uns auch die Zeit dafür schaffen, in dem wir die Prozesse effizienter gestalten. Auch mit Hilfe von IT. Hier rede ich zum Beispiel über Auto-Dispo oder eine MHD-Kontroll-App. Ähnlich wie es beim Discounter schon gemacht wird.

Wollen Sie die Prozesse der Discounter übernehmen?
Nein, aber ich will bereits existierende technische Möglichkeiten nutzen, um mehr Zeit für die Mitarbeiter freizuschaufeln, die dann zum Beispiel in die Kundenberatung investiert werden kann. Denn diese macht uns letztendlich besser als die Discounter.

Fühlen Sie sich denn von Aldi, Lidl und Co. bedroht?
Nein, denn wir spielen in unterschiedlichen Ligen. Alleine durch die Tiefe des Sortimentes. Bei Kaufland hingegen ist die Situation angespannter. Nur durch die Menschen, das Individualisieren unseres Sortiments und unsere Nähe zur Region, können wir uns hier differenzieren.

Ist das für Wasgau als „Rewe-Tochter“ überhaupt möglich?
Wir sind keine Rewe-Tochter. Rewe ist unser Hauptaktionär und ein sehr wichtiger Kooperationspartner. 
Über diesen kommen wir an das richtige Sortiment zu den richtigen Konditionen, wie zum Beispiel bei unserem Preiseinstiegssortiment von „Ja!“. Weiter geht der Einfluss der Rewe nicht. Rewe schont Wasgau auch nicht, am Markt sind wir klare Konkurrenten. Wenn Sie nach einem Vergleich suchen, sehe ich uns am ehesten wie ein selbstständiger Händler von Rewe oder Edeka.

Wie unterscheiden sich die Wasgau-Filialen?
Einmal durch die unterschiedlichen Größen: Wir haben Filialen mit 2.800 Quadratmetern und Filialen mit 500 Quadratmetern. Aber das ist natürlich nicht der einzigste Punkt. Ganz besonders unterscheiden sich die Filialen über die Auswahl des Sortimentes durch den Marktleiter und sein Team, individualisiert am Standort, so nah wie möglich am Kunden.

Können Marktleiter Produkte selbstständig einlisten?
Nein, das geht noch nicht. Aber fast: Die Marktleiter schlagen etwas vor und wir sagen meistens: „Klar, testen wir!“ Bisher gab es noch keinen Sortimentswunsch, den wir nicht umsetzen konnten. So erreichen wir auch am schnellstens Sortimentskompetenz.

Uwe Kohler, Aufsichtsratsvorsitzender der Edeka-Zentrale, hat jüngst auf der MLF-Tagung in Bonn gesagt: „Es gibt keinen Laden, den ein selbstständiger Kaufmann nicht besser führen könnte.“ Stimmen Sie zu?
Ja und nein. Ja, der selbstständige Kaufmann ist natürlich engagierter, weil ihm der Laden gehört und es sein Umsatz ist. Aber gleichzeitig auch nein, weil der selbstständige Kaufmann auch genau davon getrieben sein kann. Wasgau als Unternehmen kann in der Region viel engagierter sein. Wir spielen als ein großer Arbeitgeber der Region eine wichtige gesellschaftspolitische Rolle, beispielsweise verkaufen wir einen Wasgau-Apfelsaft, der im Rahmen eines Projekts entsteht, bei dem Menschen mit Handicap vom Anpflanzen der Apfelbäume bis zum Kleben der Etiketten per Hand alles selbst übernehmen.

Was ist also der entscheidende Punkt für den Erfolg eines Marktes?
Ganz klar die Menschen. Und wir haben Marktleiter, die wie Selbstständige agieren. Natürlich nicht überall, aber in vielen unserer Märkte. Gleichzeitig halten wir den Marktleitern aber auch den Rücken frei, sodass sie sich um die wichtigen Dinge wie beispielsweise die Kunden und die Region kümmern können.

Bei der Bilanz-Pressekonferenz im März haben Sie gesagt, dass Sie die Qualitätsführerschaft weiterhin beanspruchen wollen.
Ich habe vier Säulen, die unseren Qualitätsanspruch dokumentieren: die Wasgau Metzgerei und Bäckerei, unser Obst und Gemüse sowie unseren Weinkeller. Wichtig ist darüber hinaus aber auch das Einhalten der Standards im Ladenauftritt, die Beratung und Wasgau als Treffpunkt und die Region.

Was ist Ihnen am wichtigsten?
Emotional gesehen, unsere Mitarbeiter zu bewegen, die Wasgau-Botschaft an die Kunden zu vermitteln. Wirtschaftlich gesehen, die Standards wie Sauberkeit, Fehlartikel zu optimieren und dadurch den Erfolg sicherzustellen.

Schwingt da etwas Kritik an Ihrem Vorgänger mit?
Meine Sicht ist eher auf den Vertrieb, also auf die einzelnen Märkte, fokussiert. Ich weiß, wie wichtig klare Kommunikation im Unternehmen und in den Märkten ist. Deshalb habe ich auch freitags meinen Markttag, um die Kommunikation in Gang zu bringen. Außerdem: Wann muss ein Markt gut aussehen, wenn nicht freitags?

Wie oft sind Sie im Markt?
Mindestens ein Mal in der Woche. Es ist wichtig, für die Mitarbeiter Freiräume zu schaffen, um sich selbst zu orientieren und dann zu agieren. Ich sage immer: „Wer etwas will, findet Lösungen. Wer etwas nicht will, findet Gründe.“

Wo sagen Sie diesen Spruch häufiger: im Vorstand oder gegenüber den Mitarbeitern?
Das Wichtigste ist, die Leute mitzunehmen. Wir wollen auch die Wende schaffen! Um unsere Erfolgskurve wieder in die richtige Richtung zu treiben – daran arbeiten wir gemeinsam – egal ob als Vorstand oder als Marktmitarbeiter.

Wie sehen Ihre Ziele konkret aus?
Für das laufende Geschäftsjahr planen wir mit acht bis neun Millionen Euro Ebit. Aktuell sind wir voll im Plan.

Und nach 2019?
Wir wollen die Veränderungsprozesse weiterführen und über die absolute Kundenorientierung zum Beispiel den Quadratmeterumsatz steigern. Wir machen im Jahr pro Quadratmeter etwa 4.000 Euro Umsatz. Rewe macht etwa 5.000 pro Quadratmeter, und die meisten Edeka-Händler machen etwa 6.000 Euro. Da will ich hin. Gleichzeitig weiß ich, dass wir nicht die gleiche Kaufkraft haben wie etwa ein Edeka-Markt in Düsseldorf.

Wer kauft bei Wasgau?
Wir haben eine sehr heterogene Käuferschaft. Es gibt Kunden, die fahren mehr als 40 Minuten, um in unserer Weinabteilung einzukaufen. Gleichzeitig will ich auch, dass unsere Kunden jedes Mal durch den Markt gehen und sich denken: ‚Wow, das habe ich noch nie gesehen.‘ Es ist für uns wirklich wichtig, genau das richtige Sortiment für den jeweiligen Standort zu entwickeln und die Kunden jedes Mal auf eine Entdeckungsreise zu führen.

Trotz dieser Herausforderungen wollen Sie vier neue Filialen im Jahr eröffnen. 
Ja, und zusätzlich vier Renovierungen. Das ist aber eher ein grober Plan. Ich habe bei den Discountern gelernt, dass die Öl-Fleck-Theorie nicht verkehrt ist: Wir müssen in unserem Kern gut aufgestellt sein, um der Expansion ein gutes Rückgrat zu bieten. Trotzdem: Wenn mir jemand in Mainz ein gutes Projekt anbietet, bin ich der erste, der ja sagt.

Wie sieht es mit einem Standort in Berlin aus?
Nein, das kommt nicht in Frage. Alleine aus logistischen Gründen. Die Ware unserer Metzgerei und Bäckerei wird in Pirmasens produziert. Da fehlt uns irgendwann der geschmackliche Bezug zur Region und auch die Kapazitäten.

Die Eigenmarken spielen im Wasgau-Konzept also eine wichtige Rolle?
Wir haben eine eigene Bäckerei und Metzgerei, diese bilden die Basis unseres Erfolges. In diesen Bereichen wachsen wir auch. Außerdem gibt es zahlreiche konventionelle Wasgau- und Wasgau-Bio-Artikel durch alle Sortimente, die sich wunderbar drehen. Große Marken verlieren dagegen an Bedeutung – bei uns, aber auch im gesamten Handel.

Warum sind die großen Marken die Verlierer?
Natürlich sind große, bekannte Marken wichtig, durch die Einlistung bei jedem Discounter haben diese aber an Differenzierungskraft für die Profilierung des einzelnen Marktes verloren. Das wollen wir bei Wasgau durch Regionalität erreichen, aber auch durch Feinkost, kleinere Produzenten und Marken, die sonst nicht im Lebensmittel-Einzelhandel zu finden sind.

Wie vermeiden Sie, dass andere Märkte Ihre Entdeckungen übernehmen?
Wir prüfen es, Exklusivrechte zu erhalten. Ganz nach dem Motto: geben und nehmen. Wir haben ein Risiko mit der Einlistung genommen und würden dann gern damit verdienen können.

Wasgau-Produkte sind ja zum Beispiel auch bei Auchan in Frankreich gelistet. Können Sie sich vorstellen, Ihre Eigenmarke auch in Rewe-Märkten zu vertreiben?
Ja, auf jeden Fall und nicht nur bei Rewe.

Forssman-Trevedy ist seit Dezember 2018 Vorstandsmitglied und seit Januar 2019 Vorstandssprecher der Wasgau AG.