Interview mit Renate Sommer „Ampel für Zucker oder Salz wird es nicht geben“ - Interview mit Renate Sommer: Teil 2

Warum es keine Ampel geben wird, und was sie von den Plänen zur Lebensmittelsicherheit hält, das verrät die Europa-Abgeordnete Renate Sommer im Interview.

Donnerstag, 09. August 2018 - Management
Thomas A. Friedrich
Artikelbild „Ampel für Zucker oder Salz wird es nicht geben“ - Interview mit Renate Sommer: Teil 2
Bildquelle: Europa-Parlament, Thomas A. Friedrich

Die Kennzeichnung alkoholischer Getränke unterliegt derzeit noch der Freiwilligkeit. Reicht das aus?
Die Hersteller alkoholischer Getränke hatten die Auflage, bis März dieses Jahres selbst einen gemeinsamen Vorschlag zur Kennzeichnung der Zutaten und Nährwerte vorzulegen. Aber es ist nicht so einfach, für alle drei Sektoren, Wein, Spirituosen und Bier, ein und dieselbe Regelung zu finden. Ich habe dazu im Frühjahr eine Anhörung im Europäischen Parlament durchgeführt. Dabei hat sich ergeben, dass die Forderung, die entsprechenden Angaben auf das Etikett zu drucken, besonders die kleinen Weinbaubetriebe vor Schwierigkeiten stellen würde. Die Flaschenetiketten werden weit im Voraus der Produktion gedruckt. Nährwertangaben zu machen, ist in dem Falle schwierig, weil der Zuckergehalt je nach Gärung und Reifebedingungen natürlich variiert. Deshalb wollen die Weinbauern die Werte nicht auf dem Etikett angeben, sondern online anbieten. Die Spirituosenhersteller schließen sich dem an.

Und die Bierbranche?
Die großen Bierbrauer mit industrieller Produktion drucken die Nährwertangaben ohnehin schon auf die Flaschenetiketten. Aber für kleine Brauereien wird dies nicht so einfach sein, wenn es verbindlich vorgeschrieben wird. Der europäische Bierbrauerverband ruft schon seit Längerem seine Mitglieder auf, die Nährwerte bei ihren Bieren anzugeben. Aber die Zutatenliste ist ja auch gefordert. Damit haben wir in Deutschland wegen des Reinheitsgebotes, auf das unsere Brauer stolz sind, kein Problem. Aber es dürfte interessant sein zu erfahren, mit welchen Inhaltsstoffen zum Beispiel belgische oder französische Biere hergestellt werden.

Briten, Franzosen und Italiener haben bereits eine Nährwertampel für Zucker und Salz eingeführt. Kommt die Ampel eines Tages europaweit?
Auch hier ist die aktuelle EU-Kommission, deren Mandat gleichzeitig mit den Wahlen zum EU-Parlament im Mai 2019 ausläuft, nicht tätig geworden. Ich hatte in dieser Angelegenheit mehrere Anfragen an die Kommission geschickt, denn nationale Nährwertampeln widersprechen der europäischen Gesetzgebung und stellen ein Binnenmarkthindernis dar. In den Antworten hieß es dann immer, es handele sich ja nur um Pilotphasen in einzelnen Mitgliedsländern über die Laufzeit von zwei Jahren, und die wolle man den Ländern zugestehen und abwarten. Das ist gegen den Willen des europäischen Gesetzgebers. Aber es gibt ein Schlupfloch in der europäischen Lebensmittel-Informationsverordnung, worauf die Mitgliedstaaten seinerzeit bestanden haben. Man muss abwarten, was die nächste EU-Kommission ab 2019 daraus macht.

Die Ampel-Kennzeichnung ist damit vom Tisch?
Eine verpflichtende Ampelkennzeichnung von Lebensmitteln wird es sowieso nicht geben. Denn sie ist rein rechtlich gar nicht möglich, weil sie der europäischen Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Werbeaussagen bei Lebensmitteln („Health-Claims-Verordnung“) aus dem Jahr 2006 widerspricht. Wegen dieser Verordnung wäre eine farbliche Kennzeichnung nur mit der Farbe Grün und mit dem Zusatz „geringer Gehalt an Zucker (oder Salz oder Fett)“ zulässig. Solange also die Health-Claims-Verordnung in Kraft ist, wird eine Lebensmittel-Ampel nicht möglich sein. Die EU-Kommission hatte dies bisher schlicht und ergreifend verschwiegen. Denn die Health-Claims-Verordnung beinhaltet mit ihren „Nährwertprofilen“ schon eine Art Ampel-Kennzeichnung, wenn auch ohne Farben. Zwar sind die Nährwertprofile bisher nur ein theoretisches Konstrukt. Es gibt sie bis heute nicht wirklich, weil sie aus ernährungswissenschaftlicher Sicht völlig unrealistisch sind. Aber sie stehen nun einmal im Gesetz. Deshalb hatte ich verlangt, die Health-Claims Verordnung im REFIT-Verfahren auf ihre Sinnhaftigkeit und Realitätsnähe zu überprüfen, und diese Prüfung findet seit Längerem statt. Es kann doch nicht sein, dass ein Gesetz seit 12 Jahren in Kraft ist, aber seine wesentlichen Inhalte noch immer nicht umgesetzt wurden. So etwas sollte man abschaffen.

Gibt es neben den Nährwertprofilen weitere Probleme?
Auch die sogenannten „Botanicals“, also Lebensmittel, die mit der gesundheitsfördernden Wirkung ihrer pflanzlichen Inhaltsstoffe werben, sind bisher nicht von der EFSA bewertet worden. Die EFSA sieht sich außerstande, hier Klarheit zu schaffen. Die Frage lautet: Wie bewertet man eigentlich die Erkenntnisse der Hildegard von Bingen*? Und wie soll belegt werden, dass sich ein Mensch nach dem Verzehr eines pflanzlichen Wirkstoffs noch besser fühlt, wenn es ihm vorher schon nicht schlecht ging? Die fehlende Bewertung der „Botanicals“ ist ein Problem, weil die Hersteller alles behaupten können, wenn sie ihre Produkte – in der Regel Nahrungsergänzungsmittel – über den Lebensmittel-Einzelhandel vertreiben. Dagegen müssen Hersteller, die vergleichbare Produkte über Apotheken vermarkten, mit teuren klinischen Studien belegen, dass die Werbetexte auf den Packungen wahrheitsgetreu sind, weil dies dann unter die EU-Pharmazeutika-Gesetzgebung fällt. Dies stellt also einen ganz klaren Wettbewerbsnachteil dar, weil hier identische Produkte auf dem Markt unterschiedlichen Regeln unterliegen.