Planet Retail Frische Brise

Nun ist Amazon Fresh also da. Wie sollte der Markt reagieren? Eines jedenfalls hilft nicht: Den Kopf in den Sand stecken, meint Planet-Retail-Analystin Tatjana Wolff

Montag, 29. Mai 2017, 22:55 Uhr
Tatjana Wolff
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Bildquelle: Amazon

Seit Anfang Mai vertreibt Amazon nun auch in Deutschland schnell verderbliche Lebensmittel über das Internet. Nach den USA, dem Vereinigten Königreich und seit einem Monat in Japans Hauptstadt Tokio, ist der weltweit zweitgrößte Online-Händler mit Amazon Fresh auch in Berlin tätig. Ein Zentrallager in München steht Berichten zur Folge ebenfalls bereits in den Startlöchern.

Doch was bedeutet dies für den deutschen Lebensmitteleinzelhandel? Muss nun jeder stationäre Lebensmitteleinzelhändler panisch reagieren? Die Antwort ist ganz klar: „Nein, aber“.

Amazon ist sicherlich Ernst zu nehmen – nicht zuletzt, weil es den eindeutigen Vorteil hat, Lebensmittellieferungen mit Non-Food kombinieren und auf einen gigantischen Pool von Kundendaten zurückgreifen zu können. Dies erlaubt es ein One-Stop-Shoppingerlebnis zu kreieren und auf der anderen Seite übergelagernde Kosten zu verteilen. Dies ist vor allem für Kunden attraktiv, die das Einkaufen von Lebensmitteln oder anderen Dingen eher als lästiges Übel anstatt als spaßigen Zeitvertreib verstehen.

Viele mögen sagen, Berlin ist nicht gleich ganz Deutschland. Und tatsächlich, auch wenn sich in den letztenMonaten so Einiges getan hat im Online-LEH von Ballungszentren – der Großteil der Republik geht aktuell noch brav selbst Tütenschleppen. Im Vergleich zu anderen Ländern, wie dem Vereinigten Königreich oder auch Südkorea, wo der Onlinehandel insgesamt einen deutlich größeren Anteil am Gesamthandel ausmacht, birgt die gegebene Infrastruktur zudem bessere Voraussetzungen. Somit haben Lebensmittel- Online-Formate wie Ocado oder Tesco.com generell bessere Voraussetzungen als Händler, die im deutschen Internet ihr Glück versuchen. Trotz alledem: Auch wenn der digitale Lebensmitteleinzelhandel aktuell nur ein kleinen Teil des LEH ausmacht, dieser Teil wird wachsen. Und zwar stetig. Ist der Online-Handel für Lebensmittel bisher noch nicht so groß und die Investitionen in dieses Feld national erst anlaufend, weil es bisher nicht flächendeckend gewagt wurde, oder weil der Bedarf bisher nicht bestand? Die Frage ist also, ob man das Ei oder das Huhn sein möchte. Und ja, nicht den ersten Schritt in ein unprofitables Feld zu machen ist sicherlich nachvollziehbar. Sicherlich ist es aber ebenfalls unratsam, den Kopf in den Sand zu stecken ob der komplexen und zunächst unprofitablen Dinge, die da kommen.

Wie viele Erfindungen der Menschheit wurden anfangs belächelt und als unnötig abgetan? Und sicherlich,schaut man sich an, wie hoch die Dichte des stationären LEH in Deutschland im Vergleich zum Beispiel zu den USA oder Australien ist, stellt sich die Frage, warum der Kunde denn noch mehr Service darin suchen kann, den Lebensmitteleinkauf direkt bis in die Speisekammer geliefert zu bekommen und gleichzeitig die Kontrolle über die Produktauswahl abzugeben, anstatt ein paar Schritte vor die Tür zu machen wo doch mehr oder weniger an jeder Ecke eine Einkaufsstätte zu finden ist.

Amazon erwartet effizienzsteigerung
Bekanntermaßen gehören zur FMCG-Industrie ja nicht nur der Einzelhandel, sondern auch die Hersteller von Lebensmitteln sowie anderen Produkten des alltäglichen Bedarfs. Auch hier übt der Internethandel direkten Einfluss aus. So hat beispielsweise Amazon in den USA im März einige Hersteller eingeladen um über Produkte der Zukunft zu sprechen. Nicht alles was im stationären Handel Erfolg hat, kann eins zu eins in die Weiten des Internetladens übertragen werden. Der Online-Riese ermuntert Hersteller dazu, ihre Produkte in Bezug auf Design, Beschaffenheit und vor allem aber auch auf die Verpackung hin anzupassen, dass Lieferkosten und Schäden am eigenen sowie anderen ebenfalls online bestellten Produkten gering gehalten werden können.

Der Start von Amazon Fresh in Deutschland muss nicht als absolute Revolution gesehen werden. Aber als unaufhaltbarer nächster Schritt in der fortschreitenden Modernisierung des (Lebensmittel)- Einzelhandels. In Ländern wie den USA, dem Vereinigten Königreich, Japan oder Deutschland, wo der moderne LEH weit mehr als 90 Prozent ausmacht, ist es logisch, dass die neuen Bedürfnisse des Konsumenten aufgegriffen und die Formate weiterentwickelt werden. In Gesellschaften in denen es kaum mehr die klassische Hausfrau gibt, die die Zeit hat den Einkauf zu erledigen, sind moderne, kleinflächige Nachbarschaftsläden oder eben das Bestellen im Internet die klare Antwort.

Aus der Perspektive des stationären Einzelhandels – und das eben auch im Lebensmittelbereich – kann nicht oft genug betont werden, dass dieser spannend sein muss – oder eben deutlich günstiger. Das viel besprochene sinnliche Erlebnis als Unterscheidung zum digitalen Einkauf ist ausschlaggebend, wenn Einzelhändler auch in mittlerer bis weiter Zukunft noch relevant für den Kunden sein wollen. Aber wo, wenn nicht eben im Bereich mit Essen, können so schön alle fünf menschlichen Sinne angesprochen werden?