Interview mit Kai Hudetz „Ein bisschen wie Häuserkampf“

Kundendaten werden für den Lebensmittel-Einzelhandel immer wichtiger. Kai Hudetz, Geschäftsführer des IFH Köln, empfiehlt dem LEH vor allem Bonussysteme. Doch deren Betreiber fokussieren auf große Handelsketten. Kleinere Händler profitieren von individuellen Maßnahmen.

Montag, 26. Juni 2017 - Management
Martin Heiermann
Artikelbild „Ein bisschen wie Häuserkampf“
Bildquelle: Peter Eilers

Herr Hudetz, was ist Big Data?
Kai Hudetz: Big Data ist zunächst einmal ein Buzzword, das quasi jeder verwendet. Grundsätzlich versteht man darunter das Sammeln und die Analyse von großen Datenmengen aus unterschiedlichen Töpfen. Das Volumen steigt exponentiell an, und damit wachsen die Herausforderungen beim Strukturieren und Interpretieren der Daten.

Was sind die Besonderheiten von Big Data im Einzelhandel?
Im stationären Einzelhandel haben wir die Besonderheit des starken Bargeldgeschäfts. Dieses findet im Vergleich zu den bargeldlosen Rechnungskäufen der Onlinehändler anonym statt. Insofern ist der stationäre Handel vergleichsweise schlecht aufgestellt, wenn es darum geht, mehr über seine Kunden zu erfahren. Auch die Kundenkarten, einen andere Datenquelle, waren lange Zeit kaum verbreitet und gewinnen zumeist erst in den vergangnen Jahren an Fahrt. Die Analyse der Kundenkarten-Daten ist ein entsprechend großes Thema.

Vita

Kai Hudetz ist seit August 2009 Geschäftsführer des IFH Köln. Zuvor war er für die Digital-Brand ECC Köln verantwortlich. Mit seiner langjährigen Expertise ist Hudetz einer der gefragtesten E-Commerce- Experten Deutschlands und beliebter Speaker und Moderator auf hochkarätigen Branchenevents.

Der stationäre Händler hat zu seinen Kunden einen persönlichen Kontakt, der Onlinehändler nur einen Datensatz. Warum ist online erfolgreicher?
Die Algorithmen schlagen ganz einfach die klassischen Möglichkeiten. Inhabergeführte stationäre Geschäfte haben häufig noch einen engen Draht zum Kunden und können kundenindividuelle Maßnahmen ergreifen. Dem gegenüber sind Filialisten tendenziell deutlich schlechter positioniert. Grundsätzlich ist auch im stationären Handel eine Koppelung aller Daten nötig. Diesbezüglich ist online zurzeit aber überlegen.

Big Data verspricht Lösungen für praktisch alle Prozesse im Handel von Nachfrageprognosen bis zu Bonussystemen. Wo liegen aus Ihrer Sicht die größten Potenziale?
Für die Kundenorientierung besteht ganz klar das größte Potenzial. Dagegen ist zum Beispiel im LEH die Prozessoptimierung über die Nutzung der Produkt- und Verkaufsdaten schon weit fortgeschritten – ohne gleich den Status von Big Data zu erhalten. Interessant wird es erst mit der Verknüpfung von Kundendaten. Damit lassen sich dann unter anderem auch – sozusagen als Beifang – Out-of-Stocks vermeiden. Die Herausforderung besteht darin, die Prozesse in Richtung des Kunden voranzutreiben. Eine starke Basis für den stationären Handel sind die Kundenkarten. Einzelne Unternehmen wie zum Beispiel Breuninger sind da schon sehr weit. Mit der Nutzung dieser Daten lässt sich Kundenbindung gezielt aufbauen, und mit den Infos können neue Kaufimpulse – etwas ‚Kunden, die dieses gekauft haben, haben auch jenes gekauft‘ – generiert werden.

Was muss der Handel realisieren?
Er kann gar nicht alles auf einmal umsetzen. Das wäre allein schon wegen der erforderlichen komplexen IT-Voraussetzungen, dem entsprechenden Know-how und der personellen Ressourcen nicht zu stemmen. Eine Studie des IFH Köln hat ergeben, dass im Handel Data-Analysten am allermeisten fehlen. Ein erster Schritt sollte darin bestehen, gezielt die Daten an den Touchpoints zum Kunden zu erheben. Solche Touchpoints sind in erster Linie Kundenkarten, Gewinnaktionen oder auch Newsletter. Ganz wichtig dabei ist die Aktualität der Kundendaten, die nur mit kontinuierlichen Maßnahmen sichergestellt werden kann.

„Mittelstand 4.0 Agentur Handel“

Das Netzwerk Mittelstand- Digital, eine Förderinitiative des Bundeswirtschaftsministeriums, in dem das IFH Köln mit der „Mittelstand 4.0 Agentur Handel“ auch aktiv ist, hat 2015 einen Leitfaden zum Thema Big Data für KMU veröffentlicht. Das Medium stellt Ansätze vor, wie Händler große Datenmengen handhabbar machen und zeitnah auswerten können.

Woran müssen stationäre Händler bei der Optimierung ihrer Big-Data-Systeme vor allem arbeiten?
Sie müssen zunächst die Datenbasis schaffen. Erst dann folgt die Analyse. Viele Händler arbeiten mit Analysetools von spezialisierten Dienstleistern, haben aber keine gute Datenbasis. Nur das Zusammenspiel beider Komponenten kann zu guten Ergebnissen führen.


Welche Ansätze halten Sie für besonders wichtig, damit Händler aus Big Data echten Nutzen für ihre Kunden generieren können?
Den Großen im Handel bieten die führenden Kundenkarten-Anbieter tatsächlich interessante Optionen. Für die KMU im Handel ist es indes ein bisschen wie Häuserkampf. Es gibt kein Universalmittel, jeder muss seinen Weg individuell finden. Einfach umzusetzen und mit Aussicht auf eine gute Datenbasis sind Gewinnspiele. Wobei Händler hierbei bedenken sollten, dass Teilnehmer auch oft nur am Gewinnspiel, nicht aber am Unternehmen im Allgemeinen interessiert sind. Aber auch alle anderen Kontaktpunkte zum Kunden, etwa Verkostungen oder andere Events auf den stationären Flächen, eignen sich zum Aufbau einer Datenbasis und zur interaktiven Kommunikation. Auch soziale Medien wie Facebook bieten viele Anknüpfungspunkte und können die Kundenbindung über Content und Kompetenzprofile stärken. Die Nutzung von Social Media erfordert aber Professionalität sowie großen zeitlichen und personellen Aufwand. Wichtig beim Sammeln von Kundendaten aller Art ist immer auch die Sicherstellung der Rechtskonformität.

Der Vorsprung der Online Pure Player in Sachen Big Data scheint uneinholbar. Welche Optionen bleiben dem traditionellen Handel?
Der Vorsprung der Online-Player ist kaum noch einzuholen. Ein Problem für den stationären Handel stellt auch die Rekrutierung des IT-Personals dar, denn gute Informatiker ziehen die Online-Spezialisten häufig vor. Dessen Chance besteht darin, dass er die Kunden auf allen Kanälen abholen kann. Der stationäre Handel hat ja sehr viele Touchpoints zum Kunden. Großes Potenzial bietet die Verknüpfung von stationär und online generierten Kundendaten. Das ist eine Riesenchance, aber eben auch eine Riesenherausforderung.

Wo sehen Sie die größten Probleme: bei den technischen oder bei den personellen Ressourcen?
Bei den personellen Ressourcen. Die technischen Systeme sind alle am Markt vorhanden und auch gar nicht so teuer. Das für die Big-Data-Prozesse erforderliche Personal hingegen ist auf dem Arbeitsmarkt extrem knapp und begehrt. Erschwerend hinzu kommt, dass Einzelhändler außerhalb der bei IT-Experten bevorzugten Metropolen auch noch Standortnachteile haben.

Der Umgang mit Kundendaten ist ein sensibler Bereich. Halten Sie dennoch das Outsourcing von Big-Data-Prozessen für eine Option?
Ein komplettes Outsourcing halte ich für schwierig und auch gefährlich. Kundendaten aus der Hand zu geben, ist immer problematisch. Gleichwohl sind Kooperationen wichtig und nötig. Auch die Nutzung von Cloudlösungen ist heute sehr sicher und kostengünstig. Ein komplettes Outsourcing ist aber keine zukunftsgerichtete Option.

IFH-Studie zum Thema

Nur mit dem richtigen Personal ist die digitale Transformation zu meistern. Eine IFH-Schwerpunktstudie widmet sich dem Thema: www.ifhshop.de/ifhschwerpunktstudie-2016

Welche Rolle spielen nach Ihrer Erfahrung die Verbundgruppen im Einzelhandel in Sachen Big Data?
Generell können Verbundgruppen extrem hilfreiche Lösungen anbieten. Viele zentrale IT-Lösungen eröffnen den Mitgliedsunternehmen optimale Möglichkeiten. Dazu zählen auch Weiterbildung und Schulungen, die Auswahl von Dienstleistern oder die professionelle Umsetzung von Online-Themen. Alles in Sachen Big Data und IT selber zu machen, hat für einen Mittelständler keinen Sinn, zumal dies nicht seine Kernkompetenz ist.

Ein Paradoxon ist, dass der Verbraucher dem Online-Händler Daten aller Art zur Verfügung stellt, der stationäre Händler aber bei vergleichsweise unkritischer Datennutzung ins Kreuzfeuer gerät. Wie geht der Händler mit diesem Problem um?
Auf jeden Fall offen und authentisch. Es bringt nichts, Daten für etwas zu nutzen, womit der Kunde nicht einverstanden ist. Der einzig richtige Weg ist rechtskonformes Agieren und den Kunden dabei mitzunehmen. Wenn der Kunde den Sinn und Zweck versteht, warum er Daten zur Verfügung stellen soll, dann akzeptiert er es auch. Beispiel: Facebook ist kostenlos, wird aber über die Nutzerdaten finanziert. Analog dazu gibt es auch für Händler viele Optionen. Beispiel: Der Kunde nennt dem Händler seine Handynummer, aber nur für den praktischen Zweck, dass ihm per Anruf oder SMS der genaue Liefertermin mitgeteilt wird. Mehrwerte für den Kunden sind die Grundlage für Big Data oder Smart Data.

Was wäre für Sie eine rote Linie bei der Datennutzung?
Die rote Linie wird dann überschritten, wenn Daten nicht rechtskonform erhoben und genutzt werden. Sie ist aber auch dann erreicht, wenn kein Kundennutzen hinter der jeweiligen Aktion steht.

Wo sehen Sie Big Data 2027?
Es heißt heute, fünf Jahre sind das neue zehn Jahre, weil sich der Wandel so schnell vollzieht. Ich denke, es kommen Möglichkeiten der Datennutzung auf uns zu, die können wir uns noch gar nicht vorstellen. Aber: In fünf Jahren ist Big Data für jeden Händler entscheidend für seinen Unternehmenserfolg.