Holzinger Markt München Mein veganes Paradies

Von der Steuerkanzlei zum eigenen Markt: Mit einem besonderen Konzept wagt Anette Holzinger den beruflichen Neuanfang. Im Münchner Westend macht sie vor, wie man bio-vegane Feinkost auf kleinster Fläche inszeniert.

Freitag, 11. März 2016 - Ladenreportagen
Bettina Röttig
Artikelbild Mein veganes Paradies
Eine Art Gewächshaus als Shop-in-Shop-Element präsentiert Obst und Gemüse.
Bildquelle: Martin Hangen, Holzinger

Alles begann mit einem Experiment: Vier Wochen lang wollten Anette Holzinger und ihr Mann auf alle Lebensmittel mit tierischen Inhaltsstoffen verzichten, sich vegan ernähren. Das war im März 2013. Den Impuls für die persönliche Herausforderung lieferte ein Interview mit Promi-Koch Attila Hildmann. Am Ende der Challenge stand eine veränderte Sicht auf unsere traditionelle Ernährungsweise und konventionelle Lebensmittelindustrie. Und einige lebensverändernde Entscheidungen: für die vegane Ernährung und für einen beruflichen Richtungswechsel.

Die einst omnivore Geschäftsführerin einer Steuerkanzlei hängte ihren „gut dotierten“ Job an den Nagel und eröffnete Ende November 2015 einen bio-veganen Feinkostladen im Münchner Westend, das Holzinger. Die Geschäftsidee hatte bereits kurz nach Start ihres Experiments festgestanden, denn die Beschaffung von speziellen Produkten und Zutaten hatte sich zu einer echten Herausforderung entwickelt, die sich stapelnden Kisten diverser Versandhändler zu einem Störfaktor. „Ich hatte zudem schon länger daran gedacht, mich irgendwann selbstständig zu machen. Aber nach 20 Jahren in der Steuerberatung wollte ich ein Produkt, das ich anfassen kann.“

Davon hat sie jetzt rund 3.000, allesamt vegan und bio-zertifiziert, hochwertig präsentiert auf einer Fläche von rund 200 qm. Die Einrichtung des Ladens auf dem ehemaligen Messegelände oberhalb der berühmten Theresienwiese ist edel, bestimmt durch metallische Töne, blaugraue Regale (die Farbvielfalt der Produkte soll dadurch besser wirken), Holz und Steinoptik. Ein gläsernes Gewächshaus mit leise plätscherndem Brunnen zieht Kunden in die Obst- und Gemüse-Auslage. Die lange U-förmige Bedienungstheke lockt mit frischen Back- und Konditoreiwaren, Antipasti sowie selbst hergestellten Aufstrichen, Salaten und Quiches. Produkte von kleinen Manufakturen und Regionalität bestimmen das Sortiment bei Holzinger. Schwerpunkte liegen im SB-Bereich unter anderem auf Superfoods, Convenience und Weinen.

Die Chefin erzählt gerne die Geschichten hinter den Produkten, die für sie möglichst Mehrwerte bieten sollen. Über die Marke Blömboom, die eine Aufzuchtstation für verwaiste Schimpansen im Norden Sambias unterstützt, die Murnauer Kaffeerösterei, die jeden einzelnen ihrer Kaffeebauern persönlich kennt, oder die Konditorin, die keine Lust mehr auf ein eigenes Café hatte, jetzt an Holzinger liefert und sogar ihre Soja-Margarine selbst herstellt.

Vielfalt und Genuss statt Entbehrung
Mit Verzicht hat die tierfreie Ernährung nichts zu tun. Diese Botschaft will Holzinger vermitteln. „Unsere Küche wurde unglaublich bereichert. Ich habe viele neue Produkte und Grundzutaten kennengelernt wie Hirse, Kichererbsen oder Quinoa“, erinnert sie sich an ihre ersten veganen Gehversuche. Aber auch über die zahlreichen Faktoren eines bewussten Konsums spricht sie gerne. „Als ich in Foren und Büchern immer mehr rund um die Argumente für eine vegane Lebensweise recherchierte, stürzten viele für mich neue Themen geradezu auf mich ein, sowohl ethische und gesundheitliche als auch Umwelt- und Sozialaspekte, die miteinander verknüpft sind“, erklärt die frisch gebackene Händlerin ihre Kehrtwende.


In ihrem neuen Markt sollen auch solche Themen Raum finden. Vor allem jedoch berät sie mit ihrem achtköpfigen Team rund um die Gesundheits- und Genussaspekte einer bewussten bio-veganen Ernährung und bietet Kochkurse an. Viele junge Eltern, Allergiker und Diabetiker zählen zu ihren Kunden. Ergänzend wird sie in Kürze Vortragsveranstaltungen zu verschiedenen Themen anbieten mit Unterstützung von diplomierten Ernährungsberatern, erfahrenen Köchen und Heilpraktikern. „In Deutschland sind Titel noch immer wichtig“, meint sie. Eine Weiterbildung zur Ernährungsberaterin kommt für sie selbst dennoch nicht in Frage: „Das bringt mich nicht weiter. Warum sollte ich alles über Molkereiprodukte, Fleisch oder Fisch einstudieren?!“

Fakten im Fokus
  • Hauptabnehmer von Fleisch-Analoga sind demnach aktuell die Flexitarier.
  • Die Gruppe der Flexitarier macht nach Informationen des IfH rund 24 Prozent der Deutschen aus.
  • Vegetarier und Veganer sind zu 81 Prozent weiblich, eher jung (bis 29 Jahre) und gut gebildet.
  • Ethische und nachhaltige Themen sind ihnen wichtig.

Paten und Vorbilder aus dem Handel gesucht
Viel lernen möchte Holzinger stattdessen von gestandenen Händlern. Vor ihrem Start als Unternehmerin hatte sie u. a. ein Praktikum bei einer selbstständigen Bio-Händlerin absolviert, die heute noch als ihr Coach fungiert. Auch auf Branchen-Kongressen habe sie sich in den vergangenen Jahren informiert und Kontakte geknüpft. Die Offenheit einiger Unternehmen hat sie positiv überrascht: „Viele erfahrene Händler haben mir schon Tipps gegeben, z. B. für eine verbesserte Schaufensterbeleuchtung und Sichtbarkeit des Ladens. Ich habe ja das Konkurrenz-Problem nicht, da mein Konzept bisher einmalig ist.“

Auch der Austausch mit ihren Lieferanten ist Anette Holzinger wichtig. Und er bringt sie weiter in ihrer Sortimentsgestaltung. So erhielt sie über einen Chips-Hersteller den Hinweis auf das Produkt Ben’s Ginger – ein Bio-Ingwer-Konzentrat aus ausgewähltem peruanischem Ingwer – und startete über diesen Kontakt wiederum die Zusammenarbeit mit dem regionalen Bio-Obst- und -Gemüse-Händler Tagwerk. „Ich wollte den besten Ingwer und zudem möglichst viele Produkte aus dem Münchner Umland, beides liefert Tagwerk“, erzählt Holzinger. Bodan Großhandel für Naturkost und Weiling zählen darüber hinaus zu den Bezugsquellen.

Fertig ist das Konzept Holzinger noch nicht, die Ideen rund um das Motto „veganize life“ (veganisiere dein Leben) sprudeln weiter. So soll das Dienstleistungsangebot weiter wachsen. Ein Lieferdienst für München ist in Vorbereitung, Verhandlungen mit möglichen Partnern laufen bereits. Schon jetzt wird auf Anfrage so manches Päckchen verschickt. Daher wird, sobald eine geeignete Software angeschlossen ist, ein eigener Online-Shop folgen.

Veränderungen hat Holzinger schnell im nachbarschaftlichen Einzelhandel bewirkt. Aldi-Vertreter seien in der Eröffnungswoche vor Ort gewesen, um sich das Konzept anzuschauen. Kurz darauf wurde das vegetarisch-vegane Angebot ums Eck ausgeweitet. „Ich werte das positiv“, so Holzinger. „Man kann sich auch gegenseitig befruchten.“

Rund 1 Mio. Bundesbürger ernähren sich Umfragen zufolge vegan.

Laut „Branchenreport vegetarisch & vegan“ des IfH Köln wuchs der Umsatz in den Kernwarengruppen vegetarische und vegane Fleisch- und Milchalternativen sowie Frühstücksprodukte 2015 um 26 Prozent auf454 Mio. Euro – das bedeutet eine Verdopplung seit 2011.

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Bild öffnen Das Ladenkonzept wurde mit Innenarchitektin Britta van Mehren entwickelt.
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