Logistik Vorfahrt für die Schiene

Die EU-Kommission in Brüssel schmiedet an Plänen, die Güterverkehrsnetze komplett neu zu strukturieren. Und die Konsumgüterindustrie arbeitet schon jetzt an europaweiten Kooperationsmodellen, um Energie- und Transportkosten zu senken.

Donnerstag, 12. Januar 2012 - Hersteller
Udo Mett
Artikelbild Vorfahrt für die Schiene
Dr. Christoph Windheuser. Bildquelle Oliver Schmauch
Bildquelle: Kraft Foods

Was Konsumgüterhersteller in Kooperation mit dem Handel zu erreichen versuchen, beschäftigt seit Langem auch die EU-Kommission, nämlich die Reduzierung des Energieverbrauchs bzw. der CO2-Emissionen in der Logistik. Das im vergangenen Jahr in Brüssel vorgelegte Weißbuch „Verkehr 2050“ bewertet der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) dennoch als „naiven Wunschzettel“. Die Kommission selbst bezeichnet ihre Vorgaben zur Mobilitätssteigerung und Emissionsminderung als „ehrgeizig“. Die Pläne der Brüsseler Eurokraten sehen vor, innerhalb der kommenden 20 Jahre mindestens 30 Prozent des Straßengüterverkehrs in Europa im Bereich der mittleren Distanzen, hiermit sind Strecken ab 300 km gemeint, auf das Schienen- und Wasserstraßennetz zu verlagern. Bis zum Jahr 2050 soll diese Quote dann auf mindestens 50 Prozent gesteigert werden. Der BGL kritisiert, dass die EU „die Öffentlichkeit bewusst über die gewaltigen Belastungen d er Weißbuchstrategie im Unklaren“ lasse. Allein die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene erfordere einen enormen Ausbau des Schienengüterverkehrs: „Das bestehende Netz in Deutschland müsste unter Berücksichtigung des von der EU erwarteten Wachstums in etwa verfünffacht werden. Und der Kombinierte Verkehr müsste auf das Acht- bis Zehnfache des heutigen Volumens steigen.“ Insofern sei die vorgesehene Verlagerung des Güterverkehrs von einem gigantischen Investitionsprogramm abhängig, das von kaum einem EU-Land aufgebracht werden könne. Völlig unberücksichtigt seien in den EU-Plänen außerdem die hohen volkswirtschaftlichen Kosten des Schienenverkehrs. Der BGL verweist auf unabhängige Wegekostenrechnungen für Deutschland, die belegten, dass der Bau und der Betrieb eines Netzkilometers Schiene volkswirtschaftlich gesehen viermal teurer sei als ein Netzkilometer Straße.

Auch wenn die Logistik-Branche das EU-Verkehrsweißbuch scharf kritisiert, müssen sich insbesondere Konsumgüterhersteller schon jetzt darauf einstellen, dass in der Transport-Logistik über kurz oder lang gesetzliche Vorgaben zu erfüllen sind. Vor dem Hintergrund dieses möglichen Szenarios und um möglichem Gesetzeszwang zuvorzukommen, haben sich im vergangenen Jahr führende Konsumgüterhersteller zur „Multimodalen Transport Sharing Initiative“ (TSI) zusammengefunden. In Anlehnung an die Nachhaltigkeitsziele der Future Value Chain (FVC) 2020 Studie des Consumer Goods Forums steht bei dem europaweiten Kooperationsprojekt die Einsparung von Energie und damit die Reduzierung von CO2-Emissionen im Mittelpunkt. Letztlich geht es aber auch darum, die Transportketten für Konsumgüter vom Hersteller bis zum Handel effektiver, sprich kostengünstiger zu gestalten. Erreicht werden soll dies im Kern durch die Bündelung von Transporten im Hauptlauf (von Umschlagplatz zu Umschlagplatz) und die damit verbundene primäre Nutzung von Schienen- und Wasserwegen. Wirtschaftlich machbar wird dies durch unternehmensübergreifende Kooperation nach dem Prinzip „Der Wettbewerb findet im Regal statt und nicht auf der Strecke dorthin“. Wichtig ist dafür der gemeinsame Zugriff auf alle für die Supply Chain erforderlichen Informationen.

Erste Versuchstransporte mit Containern von Großbritannien, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Deutschland in Richtung Osteuropa (Polen, Ungarn, Österreich) im vergangenen Jahr erbrachten sehr zufrieden stellende Ergebnisse. So konnten die Kohlendioxid--Emissionen um bis zu 46 Prozent gesenkt werden. Gleichzeitig wurden die Ladekapazitäten der Lkw, die nur noch im Vor- und Nachlauf (jeweils maximal 125 km Entfernung zu den Hauptumschlagplätzen, z. B. Container-Bahnhöfe und Häfen) eingesetzt werden, optimaler ausgenutzt (um 2 bis 4 t je Lkw). Und nur in Einzelfällen war die Ladung über den gesamten Transportweg länger unterwegs als bei sonst üblichen Direkttransporten. Der multimodale Transportweg, z. B. Straße-Schiene-Straße, profitiert maßgeblich davon, dass es im Hauptlauf auf Schienen- und Wasserwegen in der Regel keine zeitlichen Einschränkungen gibt, wie z. B. das Sonntags- und Feiertagsfahrverbot auf Straßen und Autobahnen. „Diese Ergeb nisse haben die beteiligten Unternehmen überzeugt, weiterzumachen und als nächsten Schritt in die Pilotphase zu gehen“, freut sich Dr. Christoph Windheuser, Logistik- und Handels-Experte bei der Capgemini Deutschland GmbH, die die Initiative begleitet und moderiert (siehe Interview). Beteiligt an den ersten Versuchen waren u. a. die Konsumgüterhersteller Bacardi, Colgate-Palmolive, Kraft Foods, Nestlé und SC Johnson und zudem der britische Lebensmittelhändler Tesco. Auf der Liste der potenziellen weiteren Kooperationspartner stehen Größen wie Beiersdorf, Danone, Freudenberg, Mars, L’Oréal, Sara Lee, SCA und Unilever.


Die Idee der Kooperation in der Logistik ist nicht grundsätzlich neu. Abgesehen von einzelnen Versuchen ist ein größerer Durchbruch aber vor allem an wettbewerbsrechtlichen Bedenken, einem fehlenden Geschäftsmodell und der fehlenden Möglichkeit, die IT-Systeme der einzelnen Unternehmen effizient zu koppeln, gescheitert. „Hier hat sich inzwischen einiges geändert“, bestätigt Windheuser. Die heutigen IT-Systeme und -Standards ermöglichten eine weitgehende Vernetzung und übergreifende Planung der Warenströme. Durch die erzielbaren Kosteneinsparungen könne sich eine Kooperation für alle Beteiligten durchaus rechnen.

Im Rahmen der demnächst startenden Pilotphase wird ein neutraler Partner (ILO – Independent Logistics Optimiser) eingesetzt, der die internationalen Transporte der TSI nach wettbewerbsrechtlichen Kriterien in Zusammenarbeit mit der Industrie und Logistik-Dienstleistern koordiniert und über Ausschreibungen Logistik-Dienstleistungen einkauft. Die Initiatoren erhoffen sich von dem Piloten neue, überzeugende Ergebnisse, um weitere Unternehmen für eine Beteiligung an der TSI zu motivieren. Für Ende 2012 ist die Ausweitung der Transport Initiative auf den Massenbetrieb geplant. Angedacht ist zudem, weitere europäische Routen zu entwickeln, so dass künftig z. B. auch Transporte von Nord- nach Südeuropa und umgekehrt gebündelt werden können. Die Initiatoren denken sogar noch weiter: Auch die Beschaffungslogistik von Industrie und Handel sowie die Lagerhaltung, Kommissionierung und Auslieferung an den Handel ließen sich über funktionierende Kooperationsmodelle deutlich kostengünstiger gestalten.

www.capgemini.com
www.consumergoodsforum.com
www.futurevaluechain.com

{tab=Interview}

"Warenströme in alle Richtungen"

Dr. Christoph Windheuser, Head of Sector Retail & Logistics bei Capgemini Deutschland, zum Stand und zu den Perspektiven der multimodalen Transport Sharing Initiative der Konsumgüterindustrie (TSI).

Welche Voraussetzungen muss ein Hersteller erfüllen, um an der TSI teilnehmen zu können?
Eine Teilnahme macht vor allem für die Hersteller Sinn, die heute ihre Ware im Full-Truck-Load-Modus vorwiegend auf der Straße quer durch Europa transportieren.

Welche Probleme waren im Vorfeld des ersten Versuchs zu überwinden?
Es mussten zum Beispiel im Konsens mit den beteiligten Unternehmen die zu bedienenden Routen durch Europa festgelegt werden. Dann musste das optimale logistische Netzwerk bestimmt werden, bestehend aus Vor-, Haupt- und Nachlauf und den Umschlagsplätzen für die Verladung auf die Bahn und zurück auf den Lkw.

Welche wesentlichen Vorteile ergeben sich für die an der TSI beteiligten Konsumgüterhersteller?
Die Unternehmen versprechen sich vor allem eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes beim Transport und entsprechende Einsparungen bei den Transportkosten.

Worin besteht unabhängig von der Kohlendioxid-Einsparung der Nachhaltigkeitsaspekt der TSI?
Über die TSI hinaus kann ein Erfolg der Initiative ausschlaggebend sein für weitere Kooperationsmodelle in der Konsumgüterindustrie und im Handel. Ich denke hier zum Beispiel an den gemeinschaftlichen Betrieb von Warenlagern oder eine gemeinsame Innenstadtversorgung.

Was erwarten Sie von der demnächst beginnenden Pilotphase der TSI?
Wir rechnen mit weiteren belastbaren Aussagen zu den Einsparmöglichkeiten von Kosten und CO2 -Emissionen. Durch eine Erhöhung der Warenströme in alle Richtungen – Ost-West, West-Ost, Süd-Nord, Nord-Süd – soll auch die Rückführung von Leer-Containern reduziert werden.

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