Energiekosten Gegensteuern und sparen

Wer jetzt erst sparen will, der ist zu spät dran. In der Energiekrise sind auf einmal Schirme gefragt. Sie sollen Rettung bringen. Auch genossenschaftliche Gedanken sind plötzlich wieder in. Energiesparen auch.

Freitag, 04. November 2022 - Management
Susanne Klopsch und Matthias Mahr
Artikelbild Gegensteuern und sparen
Bildquelle: Getty Images

Die horrenden Energiekosten sorgen im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) für schweren Atem. Öffentlich wurde die angespannte und herausfordernde Lage durch Mechthild Möllenkamp. Die Edekanerin, die auch Vizepräsidentin des HDE ist, machte auf ihr Dilemma im Handelsblatt aufmerksam: Die Stadtwerke Osnabrück hatten sich am Energiemarkt verzockt und ihr deshalb die stichtagsbezogenen Verträge nicht verlängert. Neues Angebot? Fehlanzeige. Möllenkamp betreibt fünf Edeka-Märkte im Raum Osnabrück, kurzzeitig standen bei ihr Filialschließungen im Raum. Ein Vertrag in der Grundversorgung hätte nämlich Mehrkosten von mehr als 1 Million Euro im Jahr verursacht – im LEH nicht zu stemmen.

Schutzschirme sind spätestens seit der Finanzkrise das Instrument der Wahl. Dass die Edeka einen solchen aufspannt, wurde und wird weiterhin in der Branche unter den Kaufleuten diskutiert. Schließlich gibt es doch die Edeka-Versorgungsgesellschaft (EVG), die seit bald zwei Jahrzehnten unter anderem die Beschaffung von und Versorgung mit Strom und Gas innerhalb des Verbundes anbietet. Die EVG ist jedoch dem Anschein nach nicht jedem der selbstständigen Genossen ein Begriff. Das sei ein Versäumnis der jeweiligen regionalen Großhandelszentralen, die zwischen Kaufmann und der hansestädtischen Zentrale stehen, war aus dem EVG-Vertrieb zu vernehmen. Dort ist die Taktung der Anfragen im Moment hoch, das bringt täglich neue Herausforderungen mit sich. Jetzt nämlich ist die EVG zum Rettungsanker geworden, da sie genossenschaftlich aufgebaut ist, Kostendeckung stets die Maxime war und eben nicht die Gewinnmaximierung.

Viele der Edeka-Genossen haben bis zur Energiekrise die Dienste ihrer Versorgungsgesellschaft nicht in Anspruch nehmen wollen. Stadtwerke oder Spotmärkte waren günstiger und verführten dazu, am genossenschaftlichen Gemeinsinn vorbeizudenken. Gut und günstig ist ja Teil der gelebten Edeka-Strategie. Beim Thema Energiebezug führte das nicht dazu, die eigene Versorgermarke zur ersten Wahl zu machen. Inzwischen gilt die Eigenmarken-Losung allerdings aus der Not heraus für deutlich mehr Edekaner: Der interne Strom- oder Gasbezug durch die Tochtergesellschaft der Zentrale sichert Gegenwart und Zukunft. Der Energiemarkt ist in puncto Preise außer Rand und Band und nicht mehr vorausschauend kalkulierbar. Die EVG schon. Sie ist der Rettungsschirm.

Energiesparen gehört zur DNA des Händlers

Wer wirft schon sein Geld zum Fenster raus? Und nichts ist doch spannender, als zu sehen, wie es die Konkurrenz macht, oder? „Energiesparen macht Spaß. Es macht Spaß, sich mit anderen zu vergleichen“, sagt Rewe-Kauffrau Sonja Lischka. Statt nur auf die Umsatzzahlen zu gucken, könnte man doch mal über die Kilowattstunden reden. Lischka führt gemeinsam mit Mann Markus in Landsberg drei Märkte. Dank des technischen Fortschritts „können wir gerade richtig etwas ändern“. Die Lischkas waren – anders als viele Kollegen – in Sachen LED zeitig dran: Ihre drei Märkte laufen mit LEDs. Lischka: „Mein Beitrag hat Einfluss, nicht nur in dieser Zeit.“

Vom Trittbrettfahren in der Not
Nicht jedem der annähernd 3.500 selbstständigen Kaufleute der Edeka gefällt diese Entwicklung. Beim Thema Energie sind die Meinungen verschieden und unversöhnlich. Ein Inhaber, der nicht genannt werden will, betont gegenüber der LP: „Jetzt, wo es hakelig wird, wollen alle in den sicheren Hafen einlaufen. Unser Edeka-Versorger hätte schon in der Vergangenheit günstiger Energie einkaufen können, wenn alle Genossen ihre Mengen über die EVG bezogen und gebündelt hätten.“ Das sitzt. Für diesen Edekaner war die EVG als sein Versorger schon immer ein sicherer Anker und kein Notnagel. Ärgerlich wäre es für ihn, wenn die Kollegen, die jetzt schnell auf den Sozius wollen, seine Energiekosten kurzfristig in die Höhe trieben, sagt er.

Trittbrettfahren in der Not? Kein charmanter Gedanke! Diesbezüglich hakte die LP in Hamburg nach. „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir Sie bei Ihrer Anfrage aus Wettbewerbsgründen leider nicht unterstützen können“, heißt es wenig erhellend aus der Pressestelle. Wie viele der Selbstständigen sich aktuell von der EVG versorgen lassen, ließ die Zentrale leider ungeklärt. Klar ist jedoch, die Edeka hilft. Weder Zentrale noch Regionalgesellschaften haben ein Interesse daran, dass Kaufleute in die Knie gehen. In besonders harten Fällen hält die EVG den Schirm auf und bindet den genossenschaftlichen Neukunden auf längere Sicht zu einem festen Preis. Spannend ist ein Blick auf den „Preis-o-Meter“ der EVG (https://evg.edeka/), der den aktuellen Großhandelspreis zeigt. Die Energiebezugspreise der selbstständigen Kaufleute werden steigen und an die Kunden weitergegeben werden müssen. Am Ende werden aber alle die Zeche zahlen – Kunden und Kaufleute. Steigende Verbraucherpreise bedeuten sinkende Absätze. Ein Teufelskreis beginnt, und die Wettbewerbsfähigkeit der Edeka-Märkte sinkt, während sich Discounter freuen.

Aldi Nord bleibt (noch) die Ausnahme

Aldi Nord preschte vor in Sachen reduzierte Öffnungszeiten wegen hoher Energiekosten. Derzeit bleiben die Essener aber wohl noch allein. Edeka und Rewe werden flächendeckend nicht früher schließen. Gleiches gilt für Lidl und Norma. Bei dm bleibt es bei den grundsätzlichen Öffnungszeiten 8 bis 20 Uhr. Aber: „Je nach Lage und händlerischem Umfeld kann es sinnvolle Abweichungen geben“, sagt Christoph Werner, Vorsitzender der Geschäftsführung. Gleichwohl gibt es Selbstständige wie etwa Rewe-Händler Michael Glück (Rengsdorf), der nun um 21 statt wie bisher um 22 Uhr schließt.

Das Licht bleibt an in der ertragreichsten Zeit
Bleiben die naheliegenden Themen, die kurzfristig noch zum Energiesparen taugen: Öffnungszeiten reduzieren, Türen geschlossen halten, die Anzahl der Beleuchtungen reduzieren und der berühmte Deckel auf der Cabriotheke. Nicht alle Maßnahmen erfahren Unterstützung. „Öffnungszeiten zu minimieren, halte ich für eine grundlegend falsche Entscheidung. Wir machen auch kein Licht aus! Wir sollten unsere Kunden in der wichtigsten Zeit des Jahres nicht weiter verunsichern“, meldet ein anderer Kaufmann mit dem großen E. Die ertragreichste Zeit des Jahres steht an, das Weihnachtsgeschäft beginnt, und Märkte drehen das Licht herunter: Eine verkehrte Welt sei das. Schlecht für den Umsatz, der in den kommenden Monaten eigentlich winkt.

Aber es gibt auch andere Edekaner. Jan Meifert aus Neumünster denkt nicht erst seit der Energiekrise nachhaltig. Er weiß, dass das Energiesparen auch Gefahren mit sich bringt, weil zum Beispiel die Attraktivität der Warenpräsentation leidet, wenn die Anzahl der Leuchten auf der Fläche reduziert wird. Da seine Energierechnung erst noch kommt, spart er, wo und wie es geht, um die böse Überraschung möglichst klein zu halten. Meifert freut sich, dass die Kunden diesen Weg mitgehen und ihm bisher die Treue halten. „Sie kommen weiter zu Meyers“, berichtet er. Im Freesen-Center wurden die Öffnungszeiten reduziert und an Aldi und Rossmann angepasst, um 20 Uhr schließen die Kassen seit 1. November. Alle sonstigen Möglichkeiten des Energiesparens habe er ausgeschöpft. „Der Handlungsauftrag liegt nun bei der Politik. Wir sind Nahversorger und deshalb unersetzbar. Der Gas- und Strompreisdeckel muss schnellstens umgesetzt werden“, fordert Meifert.

Pragmatismus in schwierigen Zeiten
Die Situation bei der Rewe ist deutlich weniger angespannt. Bei der Energie-Handels-Gesellschaft EHA der Rewe sind wesentlich mehr selbstständige Kaufleute als beim Wettbewerber mit „eigener“ Energie versorgt. Zudem agiert der Energiedienstleister über den Rewe-Verbund hinaus. Es sind auch andere Unternehmensgruppen bei der EHA untergekommen, das stärkt die Einkaufsmacht und senkt den erzielbaren Preis.

Wohl dem, der beim Umrüsten auf LEDs rechtzeitig losgelegt hat. Denn die sind derzeit Mangelware. Rewe-Kauffrau Sonja Lischka und ihr Mann Markus haben schon vor drei Jahren in zweien der drei Märkte – „das sind keine Green Buildings, sondern ältere Märkte“ – die alte Beleuchtung durch LED-Retrofits ersetzt. „Das hat sich schon nach einem Jahr refinanziert.“ Den dritten Markt haben sie diesen Februar umgerüstet. Da in diesen viel Tageslicht fällt, haben die LEDs einen Helligkeitssensor: Scheint die Sonne, werden die Leuchten gedimmt.

Licht aus

Nach der Kurzfristenergiesicherungsverordnung ist dem Handel der Betrieb beleuchteter oder lichtemittierender Werbeanlagen von 22 bis 6 Uhr des Folgetages untersagt, soweit dies nicht aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder durch oder aufgrund einer Rechtsvorschrift oder behördlichen Anordnung vorgeschrieben ist. Schaufensterbeleuchtung fällt nicht darunter.

Angstraum Fußgängerzone?

Die reduzierte Beleuchtung des Handels sorgte zunächst für einen Aufschrei in den Städten: In einigen Kommunen kam die Sorge auf, dass Fußgängerzonen zu Angsträumen würden. Derzeit ist die Diskussion verstummt. Zumal die Städte und Gemeinden ja die Möglichkeit haben, aus Gründen der öffentlichen Sicherheit an bestimmten Orten mehr Licht zu erlauben.

Vor zwei Jahren begann die Planung für die Renovierung des Marktes von Michael Glück (Rengsdorf). Das war lange vor der Energiekrise, ist jetzt aber ein echter Glücksgriff für den Rewe-Kaufmann: „Ich will nächstes Jahr in Rente gehen und meinem Sohn einen gut aufgestellten Markt übergeben.“ Energetisch ist der Markt nun auf dem neuesten Stand. „Wir setzen jetzt komplett auf LED“, sagt er. „Das spart uns 85 Prozent der bislang für Licht gezahlten Kosten.“ Unterm Strich kompensiert der Kaufmann damit wenigstens zum Teil die 40-prozentige Erhöhung der Strompreise durch seinen Versorger.

85 %

der bislang für Licht gezahlten Kosten spart Rewe-Kaufmann Glück durch LEDs.

-20°C

beträgt jetzt die Temperatur in TK-Möbeln bei Rewe Lischkah

Energiesparen ist für den Kaufmann an sich nichts Neues. Das tut er aus betriebswirtschaftlichen Gründen schon immer. Dabei muss es nicht immer der große Wurf sein – Kleinvieh macht auch Mist. Denn auch mit auf den ersten Blick unspektakulären Schritten kann es gelingen, in dieser Hochpreiszeit die Kosten im Griff zu halten. Rewe-Kauffrau Sonja Lischka nahm sich gemeinsam mit ihrem Mann Markus die offenen Kühltruhen (Stolpertruhen) im Markt vor: „Zum Teil war das Sortiment viel zu breit aufgestellt, wir hatten zu viele Doppelbelegungen.“ Die Konsequenz: Die Produkte zogen in die Mopro-Schränke (Mopro-Truhen) um, die ihrerseits zusätzliche Böden erhielten. Acht Truhen sparen die Kaufleute so: „Das sind 950 Euro pro Truhe an Stromkosten, 7.500 Euro insgesamt und etwa 27.000 Kilowattstunden bei einem Preis von 29 Cent pro Kilowattstunde.“ Auch die Getränke-Kühlschränke, die die Industrie den Händlern zur Verfügung stellt, werden in Landsberg abgebaut: „Das sind zum Teil echte Energieschleudern.“

Rewe-Kaufmann Rainer Quermann (Bielefeld) holte gleich mal die Leiter raus und schraubte insgesamt 110 Birnen im Bielefelder Laden raus: Diese dienten „einfach nur der Atmosphäre“, wie er in einem kurzen Video-Clip (Reel) auf seinem Instagram-Kanal verrät.

In der Energiekrise lohnt sich noch mehr als sonst der Blick über den Tellerrand. Was macht der Kaufmann im Nachbarort anders und manchmal eben auch besser? So kamen etwa die Lischkas auf die Idee, in der kälteren Jahreszeit die Kühlung bei Obst und Gemüse auszuschalten, da die Markttemperatur die Produkte nicht beeinträchtige. Erst ab dem Frühling wird die Kühlung wieder zugeschaltet. In regelmäßigen digitalen Treffen bekommen die Kaufleute zudem Tipps und Hilfe von den Energieberatern der Rewe, die es in den Regionen gibt.

Temperaturen-Management
Auch an den Temperaturen lässt sich etwas drehen. Michael Glück und Ehepaar Lischka fuhren in der Plus- und der Tiefkühlung die Temperaturen nach oben. „Minus 20 Grad Celsius in den TK-Truhen sollten eigentlich reichen“, sagt Lischka. In den Schränken für gekühlte Getränke, etwa bei Bier, wurde die Temperatur von 10 auf 12 Grad Celsius leicht angehoben: „Bislang hat sich noch kein Kunde beschwert!“ Das geschah natürlich alles in Absprache mit dem Qualitätsmanagement. Für Rewe-Kauffrau Lischka ist klar: „Mein Beitrag hat Einfluss, nicht nur in dieser Zeit.“

Mit seiner Entscheidung, seinen Markt künftig schon um 21 Uhr statt wie bislang um 22 Uhr zu schließen, folgt Rewe-Kaufmann Michael Glück nicht der Rewe-Linie. Neben der Energieeinsparung sieht Glück den zeitigeren Ladenschluss aber auch als „Dankeschön an die Mitarbeiter, die immer bis 22 Uhr gearbeitet haben, natürlich auch in der Corona-Zeit“. Glück sagt zudem ganz pragmatisch: „Ich hoffe auch auf einen positiven Effekt in Sachen Personal-Recruiting, wenn wir etwas früher zumachen.“

Es gibt eine Menge Ideen und Motivation, auf der Fläche Energie zu sparen. Doch das allein wird nicht reichen. Der Handel muss wie andere Branchen auf praktikable Hilfen durch den Staat hoffen. Und weiter sparen.

Die Auftragsbücher der Lieferanten sind voll

Ob Kühlmöbel oder LED-Leuchten, die Auftragsbücher der Lieferanten sind voll. Reinhard Meyer, bei Aichinger für das Vertriebsgebiet im Norden zuständig, sagt: „Wir haben den großen Vorteil, dass wir unsere Kühlmöbel in Deutschland fertigen, lieferfähig sind und bleiben.“ Allerdings ist die Auslastung der beiden Produktionsstandorte Bischofsmais und Wendelstein sehr hoch. Vom Bestelleingang bis zur Lieferung einer Kühltheke dauert es normalerweise sechs Wochen, derzeit müssen bis zu vier Monate eingeplant werden. Die neue Sirius-3-Kühltheke sei im Vergleich zu anderen Modellen bis zu 30 Prozent effizienter im Energieverbrauch. Glücklicherweise sei bei Aichinger auch der Transport in eigener Hand, betont Meyer. Auch die Logistik ist aktuell ein großer Engpass-Faktor.

Die Politik reagiert, aber es dauert noch ...

... ein bisschen. Denn, so verkündete es Bundesfinanzminister Christian Lindner vergangene Woche, es werden erst einmal Arbeitskreise gegründet. Die stellvertretende LP-Chefredakteurin Andrea Kurtz staunte nicht schlecht, als der FDP-Mann während eines parlamentarischen Abends der AG Mittelstand in Berlin von 15 Arbeitsgruppen sprach, die sich jetzt erst mit den Themen Energie- und Strompreisbremse befassen sollen. Der Geräuschpegel unter den Besuchern ging in die Höhe, da schnelle Hilfe gefragt ist und auch regulatorische Hürden zügig über Bord geworfen werden sollten. Ein Beispiel: Fördergeld-Anträge für Fotovoltaik-Anlagen brauchen derzeit bis zu acht Monate je nach Amt.