Interview mit Dr. Volker Lange Ein Schritt zurück zu den Kernkompetenzen

Die aufwendige und teure Filiallogistik rückt in den Fokus: Wegen des aufstrebenden Online-Marktes soll das Personal künftig weniger mit Verräumen beschäftigt sein und sich stärker um die Kunden kümmern.

Donnerstag, 29. August 2013, 22:00 Uhr
Tobias Dünnebacke
Artikelbild Ein Schritt zurück zu den Kernkompetenzen
Dr. Volker Lange, Abteilungsleiter Verpackungs- und Handelslogistik, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik in Dortmund (Bildquelle: Mugrauer)
Bildquelle: Mugrauer

Die Filiallogistik war viele Jahre lang ein eher stiefmütterlich behandeltes Thema, obwohl nach neuesten Erkenntnissen hier bis zu 53 Prozent aller Kosten in der Lieferkette anfallen. Im Rahmen der „Trendstudie Handelslogistik 2013“ wurden Logistik-Manager und Marktleiter zu einer möglichen Effizienzverbesserung bei der Filiallogistik befragt. Der Autor der Studie, Dr. Volker Lange, beantwortet unsere Fragen im Interview.

Die persönliche Beratung wird bei den Teilnehmern Ihrer Befragung als wesentlicher Vorteil des stationären Handels gegenüber dem Online-Handel gesehen. Wenn Mitarbeiter an der Rampe oder im Stauraum eingespannt sind, bleibt weniger Zeit für die Kundenbetreuung. Welche Möglichkeiten gibt es also, die Filiallogistik effizienter zu gestalten?
Dr. Volker Lange: Die Vergabe von Zeitfenstern und eine strukturierte Organisation der Warenannahme kann Effizienzvorteile bringen. Auch die Warenverräumung ist aktuell in vielen Fällen noch nicht optimiert, sowohl was die bestellten Mengen angeht, dass Restware noch ins Lager zurückgeräumt werden muss, als auch was die Verräumprozesse und die Unterstützung durch entsprechende Regaltechnik angeht. Wenn wir allerdings heute noch immer Personal antreffen, dass aus Zeitgründen eine Fifo-Verräumung nicht beachtet, dann haben wir da wenig Verständnis.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Kostenblöcke innerhalb der Filiallogistik?
Zur Filiallogistik zählen die logistischen Prozesse innerhalb eines Handelsgeschäftes wie etwa Warenannahme mit Wareneingangskontrolle, Zwischenlagerung, etwaige Warenaufbereitung, Warenverräumung auf die Verkaufsfläche, die Warendisposition sowie die Abwicklung von Leergutrücksendungen und Warenretouren. Weitere im Markt anfallende Tätigkeiten wie Kunden- bzw. Verkaufsgespräche, Kassiervorgänge oder administrative Tätigkeiten werden im Allgemeinen nicht zur Filiallogistik gerechnet, dabei haben sie zum Teil einen starken Einfluss auf die Effizienz logistischer Tätigkeiten, z. B. wenn von ihnen wichtige Informationen für Disposition und Logistik ausgehen.

Abhilfe können automatische Dispositionssysteme schaffen. Sie gelten als Instrument zur Verringerung von Out of Stocks. Was kann ein solches System leisten und wo liegen die Grenzen?
Out of Stock wird seit Jahren untersucht und optimiert, aber es bleibt schwierig. Automatische Dispositionssysteme sind sicherlich sinnvoll, können auch nur für einen Teil der Gründe Hilfestellung geben. Wenn Kunden Ware aus dem Regal nehmen und woanders wieder ablegen, ist der Buchbestand der Ware vielleicht noch nicht für einen Nachschub unterschritten. Auch Diebstahl oder ineffiziente Verräumung können hier Gründe sein, die Ware ist also nicht im Regal aber schon noch im Laden vorhanden. Das kann man auch mit der besten Autodispo nicht lösen.


Das Verräumen durch externe Dienstleister soll den Prognosen nach abnehmen. Welche Gründe könnte dies haben?
Warenverräumung über externe Dienstleister ist bei den Befragten Händlern mit knapp 7 Prozent nur gering ausgeprägt, für die kommenden fünf Jahre erwartet der Handel sogar einen leichten Rückgang des Anteils auf knapp 5 Prozent. Hierunter sind grundsätzlich zwei Arten der Fremdvergabe zu verstehen. Zum einen gibt es externe Dienstleister, die durch den Markt für das Auffüllen der Ware beauftragt werden. Eine weitere Alternative, die häufig im Lebensmittel- und auch im Do-It-Yourself-Handel anzutreffen ist, betrifft nach Herstellern ausgerichtete Blockplatzierungen. Hierfür übernimmt der Merchandising-Service des Lieferanten die Verräum- und Platzierungspflegemaßnahmen. Gründe könnten in der Unzufriedenheit mit der Qualität des externen Regalservice liegen, weil beispielsweise Artikel falsch platziert, Verpackungen häufiger beschädigt werden oder das FiFo-Prinzip vernachlässigt wird. Ein weiterer Grund kann sein, das s sich der eingesparte Zeitaufwand des Marktpersonals bei den von Herstellern gepflegten Blockplatzierungen nicht als Kostenvorteil für den Händler erweist und keine zufriedenstellenden Verhandlungsergebnisse mit den Herstellern zu erzielen sind.

Solche Platzierungen werden von den Herstellern als Instrument der Vermarktung gerne eingesetzt aber vom Handel aufgrund des hohen Aufwands nicht immer geliebt. Welche Rolle nehmen Zweitplatzierungen innerhalb der Filiallogistik ein und schlummern hier womöglich Optimierungspotenziale?
Die befragten Marktleiter gehen davon aus, dass der mengenmäßige Anteil der Zweitplatzierung sich in fünf Jahren mit 12,9 Prozent nahezu auf dem gleichen Level wie aktuell mit 13,3 Prozent bewegen wird. Gleichzeitig gehen sie jedoch davon aus, dass sich der durchschnittliche Zeitaufwand für den Aufbau einer Zweitplatzierung von durchschnittlich 18 Minuten auf gut 14 Minuten im genannten Zeitraum reduzieren wird. Demnach werden in der Zweitplatzierungskonzeption und beim personellen Aufwand durchaus noch Einsparpotenziale vermutet.

In der Kassenzone scheint die Zukunft noch die stärksten Potentiale für eine effizientere Filiallogistik zu versprechen. Neue Technologien wie das kontaktlose Bezahlen per Smartphone könnten, falls sie sich etablieren, das Kassenpersonal entlasten und sogar ganz überflüssig machen. Könnte die gesparte Arbeitskraft in der Filiallogistik eingesetzt werden?
Sicherlich kann der Einsatz von Self-Scanning- oder kompletten Self-Checkout-Systemen zu einer nachhaltigen Entlastung des Ladenpersonals führen, damit diese für andere wichtige Aufgaben auf der Verkaufsfläche zur Verfügung stehen. Ihr Anteil am gesamten Kassenbestand wird sich nach Einschätzung der Befragten in den nächsten fünf Jahren allerdings auf gerade 14,6 Prozent erhöhen. Self-Checkout-Systeme werden demnach nicht die herkömmlichen Bedienungskassen ersetzen, sondern wohl auch aus Kundenakzeptanzgründen allenfalls als Ergänzung für besonders technikaffine Verbraucher installiert werden.

Warum hat man ihrer Meinung nach bisher vornehmlich die Supply-Chain „bis zur Rampe“ betrachtet?
Die Supply Chain bis zur Rampe ist einfacher erfassbar. Die Prozesse sind klar und die Kosten weitgehend transparent. Die Filiallogistik hingegen ist sehr individuell. Eine einheitliche und optimierte Filiallogistik kann der filialisierte Einzelhandel erstellen, selbständige Kaufleute hingegen haben noch hohe Freiheitsgrade in der Gestaltung ihrer Handelsstätten. Demnach ist auch eine vollständige Synchronisierung der zentralen Logistik im Lager und der Prozesse in der Filiale nicht immer machbar. Rund die Hälfte der befragten Logistikleiter gab aber dennoch an, eine Anordnung der Warensortimente im Lager und Kommissionierungsreihenfolge analog zum Filialbild vorzunehmen.

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Bild öffnen Dr. Volker Lange, Abteilungsleiter Verpackungs- und Handelslogistik, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik in Dortmund (Bildquelle: Mugrauer)
Bild öffnen „Self-Checkout-Systeme werden nicht die Bedienungskassen ersetzen“ Dr. Volker Lange (Bildquelle: Mugrauer)