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Aktienanalyst Dr. Jürgen Elfers von der Commerzbank beobachtet und begleitet den Lebensmittel-Einzelhandel seit vielen Jahren. Er erklärt, warum er glaubt, dass der Online-Handel in Deutschland Zukunftsmusik ist und Preiseinstiegsartikel nicht überall die gleiche Qualität haben.
Herr Dr. Elfers, wenn ein Banker und Analyst wie Sie sich den deutschen Lebensmittel-Einzelhandel und seine Perspektiven ansieht, was sehen und denken Sie dann?
Dr. Jürgen Elfers: Wer altert, isst weniger, aber gesünder. Deutschland altert und hat einen Bevölkerungsrückgang. Konsequenz ist, dass der Absatz im deutschen LEH rückläufig ist. Ein Beispiel: Per Jahresende 2012 und basierend auf 2007 = 100 Prozent, ist es zu einem Absatzrückgang um 5,0 Prozent gekommen. Wenn man das bisherige diesjährige positive Wachstum als Jahresentwicklung unterstellen würde, ergäbe sich über die beobachtete Zeitspanne ein Indexwert von 95,6, und damit ein aufgelaufener negativer Mengeneffekt von 4,4 Prozent. Diesen Negativtrend kann der Handel durch stark angestiegene Inflationsraten für Lebensmittel und nichtalkoholische Getränke überkompensieren. Für die Jahre 2008 bis 2012 beobachten wir eine durchschnittliche jährliche Inflationsrate von 2,5 Prozent. Der deutsche LEH braucht Umsatzwachstum, um den Anstieg der Aufwandspositionen Personal und Energie abfedern zu können. Auch das Einkaufsverhalten verändert sich, und vielleicht wird es auch irgendwann in Deutschland erfolgreiche Modelle für den Online-Einkauf geben. Aber das ist noch Zukunftsmusik. Kunden bevorzugen heute gut geführte Vollsortiments-Supermärkte, idealerweise in Wohnortnähe. Die großen SB-Warenhäuser stehen vor Herausforderungen, ebenso wie alle Verkaufsflächen, die weniger als 1.000 qm Verkaufsfläche haben – mit Ausnahme des Discounts.
Aktienanalyst mit Fokus Einzelhandel
Dr. Jürgen Elfers hat nach dem Abitur in Hamburg eine Ausbildung zum Bankkaufmann absolviert, im Anschluss studierte er Betriebswirtschaftslehre. Seit 1992 arbeitet Dr. Elfers als Aktienanalyst und betreut seitdem die Branche Einzelhandel. Als Spezialist steht er institutionellen Investoren für die Anlageberatung zu den großen börsennotierten Handelsunternehmen Deutschlands zur Verfügung. Nach Studium und Promotion folgte der Berufseinstieg bei der Dresdner Bank und führte über die Deutsche Bank zur Commerzbank, wo Elfers seit 1999 für den Sektor Einzelhandel verantwortlich ist.Das passt zur Aussage von Edeka-Chef Markus Mosa, der als Zielgröße für Supermärkte der Edeka 1.500 qm ausgerufen hat?
Ja.
Glauben Sie, dass sich Discounter und Supermärkte weiterhin immer ähnlicher werden? Und wird das zum Problem?
Der Discount hübscht sich auf, modernisiert seine Filialen, vergrößert sie, listet Marken ein, arbeitet an der Präsenz von Frische, vor allem bei Obst und Gemüse, aber auch durch das Installieren von Backautomaten. Gleichzeitig bieten die klassischen Supermärkte immer mehr Eigenmarken und Discount-Artikel an – mit der Folge, dass sich beide Formate in der Tat ähnlicher werden. Kaufland vereint beides heute schon und steht sehr gut dar. Ohne Kaufland hätten die Verkaufsflächen ab 2.500 qm, also die SB-Warenhäuser und die großen Verbrauchermärkte, von 2004 bis 2012 nicht nur ein Minus von 0,1 Prozentpunkten bei der Veränderung der Marktanteile zu verzeichnen. Das Minus wäre ohne Kaufland wesentlich ausgeprägter. Kaufland hat kräftig expandiert, und Expansion kann keiner so gut wie Kaufland mit seiner aggressiven und schlanken Struktur – organisch und über Akquisitionen, wie etwa die Famila-Märkte von Lupus oder die Schleckerland SB-Warenhäuser.
Hinter Kaufland steht die Kraft und Größe der Schwarz-Gruppe…
Ja, aber Größe ist per se kein Erfolgsgarant. Sehen Sie, es gibt unverändert erfolgreiche regionale Unternehmen wie z. B. Bartels-Langness, Bünting oder Dohle, die sich mit einer „local hero“-Strategie exzellent positioniert haben. Für Größe als Kriterium spricht aber auch einiges: günstigere Einkaufskonditionen, bessere Konditionen am Kapitalmarkt, die Aussicht auf erfolgreiche Eigenmarken, kurz die Tendenz zur Rentabilität. Kleinere Marktteilnehmer tun sich z. B. viel schwerer, bei ihren Eigenmarken auf eine attraktive Losgröße zu kommen. Im Handel gab es ja Beispiele von Premium-Eigenmarken bei kleineren Handelsunternehmen. Von diesen Beispielen hören und sehen Sie heute nur noch wenig.
Welche Optionen haben die kleineren Marktteilnehmer?
Eine Option, die derzeit etwa die Coop in Kiel und die Wasgau in Pirmasens für sich gewählt haben, ist die Anlehnung an einen größeren Marktteilnehmer. Die Frage dabei ist nur, wie lange man in solchen Szenarien wirklich unabhängig bleibt und bleiben kann. Große Deals sind auf dem deutschen Markt nicht mehr möglich. Selbst wenn die Metro Group Real verkaufen wollte, würde das Bundeskartellamt eine Übernahme durch ein großes deutsches Handelsunternehmen vermutlich untersagen. Das Metro-Management hat auch deshalb entschieden, Real selbst wieder auf die Spur zu bringen.