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„Butterberge“ und „Milchseen“ sind zwei Schlagworte, die sich im kollektiven Gedächtnis festgesetzt haben. Sie stehen für das Überangebot an Milch im Europa der 1980er-Jahre und einem daraus resultierenden, für die Milchviehhalter ruinösen Preisverfall. Die Europa-Bürokraten reagierten mit Regulierung, der sogenannten Milchquote. Durch dieses Instrument wurde jedem Staat eine bestimmte Produktionsmenge zugeschrieben und eine Überproduktion sanktioniert. Diese Quote wird in zwei Jahren nicht mehr existieren, was strukturelle Auswirkungen auf die deutsche Molkereiindustrie sowie die Milchviehhalter hat.
Udo Folgart, Präsident des Landesbauernverbandes Brandenburg und als „Milchpräsident“ für den DBV-Fachausschuss Milch zuständig, sagt: „Die Marktorientierung ist alternativlos. Auch wenn manche Berufskollegen lieber die Augen vor den Realitäten verschließen möchten, der Markt ist bei uns Milchviehhaltern und den Molkereien längst angekommen.“ Die Liberalisierung, da sind sich die meisten Experten aus unterschiedlichen Lagern einig, ist längst überfällig. Auch die Folge steht jetzt schon unumstritten fest: eine weiter voranschreitende Konsolidierung der Milchwirtschaft.
Bereits seit mehreren Jahren ist die Konzentrierung bei den deutschen Molkereien in vollem Gange. Prominentestes Beispiel ist der Zusammenschluss von Humana und Nordmilch zur Deutsches Milchkontor GmbH (DMK) im Frühjahr 2011. „Im Umsatzranking der größten europäischen Molkereien steht DMK damit auf einem guten sechsten Platz. Diese Größe ermöglicht es uns, international ein interessanter Spieler zu werden“, sagt Dr. Josef Schwaiger, Vorstandsvorsitzender bei DMK.
Export ist das Wort der Stunde, denn im Inland scheint kaum noch Wachstum möglich. „Die deutschen Absatzzahlen lassen langsam die Überalterung der deutschen Gesellschaft erkennen. Mit zunehmendem Alter nimmt der Pro-Kopf-Verbrauch bei Milchprodukten ab, und der Absatz sinkt. Umso wichtiger ist die Pflege des Exportgeschäfts“, heißt es in einer Mitteilung des Milchindustrieverbandes. Deshalb rüsten sich nahezu alle größeren Molkereien für eine stärker international ausgerichtete Unternehmensstrategie. „Wachstumspotenzial sieht Arla aktuell nur außerhalb der Europäischen Union, vor allem in Schwellenländern wie Russland, China, dem Nahen Osten und Afrika. Allein in Asien werden in den nächsten 10 bis 20 Jahren rund 2 Mrd. neue Verbraucher heranwachsen“, sagt Tim Ørting Jørgensen, Geschäftsführer Arla Consumer Germany & Netherlands. Die Mutter Arla Foods, ursprünglich ein rein skandinavischer Konzern, fusionierte im vergangenen Jahr mit der Milch-Union Hocheifel und ist damit in Deutschland unter die Top 3 aufgestiegen.
Vor allem in China sehen die europäischen Molkereien in Zukunft eine Goldgrube. Dazu tragen nicht nur die rasant wachsende Bevölkerung und deren steigender Lebensstandard bei, sondern auch diverse Lebensmittelskandale der vergangenen Jahre – allen voran der Melamin-Skandal, bei dem sechs Säuglinge zu Tode kamen und der ein nachhaltig schlechtes Image chinesischer Milchprodukte zur Folge hatte.
Bereits heute wird fast die Hälfte der deutschen Milch in Form von Käse, Milchpulver und Butter ins Ausland verkauft. Jørgensen von Arla ist sich sicher, dass die Nachfrage über Milchpulver und H-Milch hin zu Butter und Käse und anderen höher veredelten Milchprodukten auch deshalb wachsen wird, weil die chinesische Milchproduktion den Bedarf nicht decken kann
Das Markengeschäft spielt im Export ebenfalls eine Rolle. So ist DMK (Exportanteil knapp 40 Prozent) beispielsweise seit Jahren mit Käse der Marke Oldenburger in Russland erfolgreich. Gerade Russland bereitet den heimischen Molkereien aber auch Sorgen. Ende 2012 hatte der Föderale Aufsichtsdienst für Tier- und Pflanzengesundheit („Rosselchosnadsor“) in Moskau eine Importsperre für elf deutsche Unternehmen der Lebensmittelindustrie verhängt, darunter die Milchgenossenschaft Bayernland und die Neuburger Milchwerke GmbH Co. KG. Der Vorwurf: In Russland geltende hygienische Auflagen seien nicht eingehalten worden. „Es ist äußerst bedauerlich, dass seitens der deutschen Politik bislang keine Lösung gefunden wurde, die russische Importsperre für Milchprodukte aus Bayern, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen zu beenden. Das stärkt die Wettbewerber in Ländern wie Niederlande, Dänemark und Polen, die die Versorgungslücke schließen“, sagt Peter Stahl, Vorstandsvorsitzender von Hochland SE.
Trotz der anstehenden Liberalisierung ist die Stimmung bei den Bauern derzeit nicht schlecht. Laut Milchindustrieverband lag der von den Molkereien ausgezahlte Milchpreis im Mai bei 34,3 Cent je kg – 2 Cent mehr als im Vorjahr und weit über dem Niveau des Krisenjahres 2009, wo der ruinöse Preiskampf etliche wütende Bauern zu Protesten auf die Straße trieb. Damals lag der von den Molkereien ausgezahlte Preis teilweise um die 20 Cent. Zum Vergleich: Eine Kosten deckende Produktion ist ab rund 32 Cent realistisch. Laut Milchindustrieverband sind die derzeit steigenden Preise längst überfällig, wobei sie keine Garantie dafür seien, die Kostensteigerungen bei Energie und Futtermittel zu kompensieren.
Die aktuell positive Entwicklung hat ihre Ursache hauptsächlich in der globalen Ausrichtung. „Am Weltmarkt hat sich in Folge der Witterung die Steigerung der Milchproduktion abgekühlt. Die internationalen Notierungen belegen mit ihrem Preisniveau die solide Marktsituation und geben einen positiven Ausblick für die Milchbauern“, heißt es beim Milchindustrieverband.
Und was bedeuten Konsolidierung und Exportbestrebungen der Molkereien für die Preise auf dem deutschen Markt? „Aufgrund des anhaltenden weltweiten Bevölkerungswachstums rechnen wir damit, dass Lebensmittel insgesamt tendenziell im Preis steigen werden. Preisvolatilitäten wird es aufgrund zahlreicher Einflussfaktoren auf die Marktentwicklung weiter geben“, sagt DMK-Chef Schwaiger. Auch Hochland-Vorstandsvorsitzender Stahl sieht kein Ende der Preisschwankungen bei Milchprodukten: „Die Rohwarenmärkte bleiben volatil, und der Verbraucher wird auch zukünftig mit Preisschwankungen am Regal konfrontiert werden – selbst wenn Industrie und Handel einen Teil der Ausschläge bei den Rohwaren über die eigenen Margen abfangen müssen.“