Interview mit Kaufland-Nachhaltigkeitschefin Warum Kaufland die Herzfrequenz seiner Kunden messen will

Hintergrund

Kaufland will über nachhaltigeren Konsum seine CO₂-Emissionen senken. Was die Herzfrequenz der Kunden damit zu tun hat.

Montag, 28. April 2025, 05:40 Uhr
Bettina Röttig
Wie Kaufland mit Herzfrequenzdaten Kaufverhalten analysiert
Kaufland setzt auf die Planetary Health Diet und nachhaltige Verpackungen.
Ines Rottwilm steuert die Nachhaltigkeitsstrategie von Kaufland. Bildquelle: Kaufland

Frau Rottwilm, Sie sind verantwortlich für die Nachhaltigkeitsstrategie von Kaufland Deutschland und international. Warum diese Doppelrolle?

Ines Rottwilm: Seit dem Frühjahr 2024 bin ich Teil unserer Stiftung und verantworte den Bereich, der die Strategie in Zusammenarbeit mit den internationalen Fachbereichen definiert. Gleichzeitig betreue ich weiterhin unser deutsches Unternehmen operativ und kann diese Erfahrung in die strategische Arbeit einbringen. So stellen wir sicher, dass wir eine übergeordnete Nachhaltigkeitsstrategie haben, die realistisch umsetzbar ist.

Was steht aktuell im Fokus Ihrer Nachhaltigkeitsaktivitäten auf nationaler und internationaler Ebene?

In den vergangenen Monaten haben wir intensiv daran gearbeitet, unsere bisherigen Aktivitäten in eine Strategie zusammenzufassen, um den Status quo darzustellen und mit unseren gruppenweiten Initiativen abzugleichen. Als Unternehmen der Schwarz-Gruppe bearbeiten wir spartenübergreifend Themen wie Plastikreduktion, Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz. Bei anderen Themen, wie zum Beispiel Regionalität, arbeiten wir sehr autonom und individuell auf Kaufland zugeschnitten. Unser Ziel ist es, die Anforderung in der Basis anzuheben und so Nachhaltigkeit zum neuen Normal zu entwickeln. Es geht uns um eine Integration von Nachhaltigkeit in unser Geschäftsmodell.

Sie haben sich vor Kurzem verpflichtet, bis 2050 die Netto-Emissionen von Kaufland auf null zu senken. Welche Hauptmaßnahmen ergreifen Sie dafür?

Wir kennen noch nicht jedes Detail für die nächsten 25 Jahre, haben allerdings die Hebel und Möglichkeiten identifiziert, um langfristig unsere Ziele zu erreichen. In den letzten Jahren haben wir uns in der operativen Umsetzung von Maßnahmen stark auf Scope 1 und 2 konzentriert, weil wir dort einen direkten Einfluss haben und schnell Veränderungen bei unseren betrieblichen Emissionen umsetzen konnten. Ein Großteil unserer CO2-Emissionen entsteht in den vor- und nachgelagerten Lieferketten – Ende des Geschäftsjahres 2022 lag der Anteil bei knapp 99 Prozent. Das gehen wir jetzt gemeinsam mit unseren Partnern und Lieferanten an. Das Klima wird sich verän­dern, die Welt wird sich verändern, entsprechend wird sich auch die Ernährung verän­dern müssen. Um unsere Klimaziele zu erreichen, müssen wir daher unsere Sortimente weiterentwickeln.

Aktuell zeigen Kunden laut Marktforschern kein gesteigertes Interesse an nachhaltigen Produkten. Ist dies bei Kaufland anders?

Letztlich hängt die Produktwahl natürlich mit der wirtschaftlichen Situation zusammen – denn Verbraucher sind eher preissensibel. Unsere strategische Herangehensweise und die Entwicklung unserer Sortimente bleiben davon aber unberührt. Wir streben an, diese nachhaltigen Produkte weiterhin anzubieten, und haben in der Vergangenheit bereits in die Entwicklung der tierwohlgerechteren Haltungsformstufen investiert, ohne die Kosten unmittelbar auf die Kundenpreise umzulegen.

Das heißt, Sie subventionieren nach­hal­tige Produkte. Zahlt sich das aus?

Wir wollen, dass Nachhaltigkeit zur neuen Norm wird. Dazu muss sich die Basis weiterentwickeln, sodass Kunden nicht zwischen teuren, nachhaltigen Produkten und günstigeren, weniger anspruchsvollen Alternativen wählen müssen. Zu unserem Ansatz, das allgemeine Niveau zu heben, gehört der kontinuierliche Ausbau von pflanzenbasierten Proteinen und Vollkornanteilen.

Die Planetary Health Diet ist wie bei Lidl ein zentraler Bestandteil Ihrer Strategie?

Genau, die Planetary Health Diet soll die Grundlage für die Entwicklung unseres Sortiments bilden.

Kaufland

Welche Ziele haben Sie sich bei Kaufland zur Umgestaltung des Sortiments gesteckt und welche CO2-Einsparungen erwarten Sie von den Maßnahmen?

Unser Sortiment zeichnet sich durch eine vielseitige und große Auswahl aus. Auf das Kilogramm genau zu sagen, welche CO2-Einsparungspotenziale sich ergeben, wenn mehr Alternativen, zum Beispiel im Bereich der Proteine, angeboten werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt allerdings schwierig. Wir arbeiten sehr eng mit unseren Lieferanten zusammen und setzen uns gemeinsam für eine Ernährung ein, die die Gesundheit von Umwelt und Mensch berücksichtigt. Aber das geht nicht von heute auf morgen. Die Essgewohnheiten der Kunden, aber auch Strukturen in der Landwirtschaft und in den Lieferketten hängen ja damit zusammen, und alle Beteiligten müssen hier mitgenommen werden. Deshalb schreiben wir niemandem vor, wie er sich zu ernähren hat – aber wir machen einen nachhaltigen Ernährungsstil attraktiv und letztlich auch bezahlbar.

Welche Nudging-Methoden setzen Sie konkret ein?

Wir experimentieren mit verschiedenen Ansätzen, sei es die Platzierung von Produkten, deren Bewerbung, die Gestaltung unserer Märkte oder unser Loyalty-Programm, die Kaufland-Card. Wir haben beispielsweise auch einen Kaufland Innovation Hub, der sich intensiv mit digitalen und innovativen Ansätzen beschäftigt. Im Laufe dieses und des nächsten Jahres werden wir verschiedene Ansätze ausprobieren, um herauszufinden, was am besten funktioniert und wo wir unsere Kunden am besten mitnehmen können.

Welche Ansätze kommen aus dem ­Innovation Hub?

Auf der Grünen Woche haben wir beispielsweise eine Ausschreibung über unseren Innovation Hub gestartet, bei der Start-ups ihre Ideen im Bereich Nudging für bewusste Kaufentscheidungen einreichen konnten. Die besten drei Ideen wurden Teilen unseres Vorstands präsentiert. Daraus sind Tests entstanden, die wir derzeit vorbereiten. Eines dieser Start-ups verfolgt einen ganz neuen Ansatz: Es misst die Reaktionen der Kunden auf unsere Kommunikation oder Produkte, indem es Herzfrequenz, Atmung und Temperatur der Kunden erfasst, während sie vor dem Regal stehen. So können wir sehen, wie sie auf das reagieren, was sie sehen. Das lässt sich mit verschiedenen Themen verknüpfen, sei es die Akzeptanz von nicht perfekt aussehenden Bananen oder die Auszeichnung regionaler Produkte. Und das alles, ohne die Kunden zu filmen, was ja ohnehin nicht erlaubt wäre. Stattdessen werden Frequenzwellenmessungen genutzt. Wir sind offen für alles, von bewährten bis hin zu etwas ausgefalleneren Ansätzen.

Wo sind in den vorgelagerten Bereichen der Wertschöpfungskette die größten Herausforderungen, um Ihre Klimaschutzziele zu erreichen?

Eine große Herausforderung ist, die Daten zu bekommen: Woher kommen sie, welche Daten sind überhaupt verfügbar, welche Informationen haben Betriebe und Lieferanten selbst vorliegen, und wie steht es um die Datenqualität? Das ist eine Herausforderung, die alle an der Wertschöpfungskette beteiligten Unternehmen gleichermaßen beschäftigt.

Wie nehmen Sie Ihre Lieferanten und Partner dabei mit, Emissionen zu re­du­zieren?

Derzeit arbeiten alle daran, die Qualität ihrer Daten zu verbessern, da momentan noch überwiegend mit Sekundärdaten gearbeitet wird. Die Datensammlung funktioniert nur in Zusammenarbeit mit unseren Partnern und Lieferanten. Seit einiger Zeit arbeiten wir auf einer Plattform mit unseren Lieferanten zusammen. Diese bietet ihnen die Möglichkeit, sich kontinuierlich zu Klimazielen und Klimaschutz weiterzubilden. Sie können sich darüber informieren, welche Emissionen in ihrem Betrieb anfallen und wie sie diese messen können. Die Lieferanten sind dabei sehr unterschiedlich aufgestellt, je nachdem, wie intensiv sie sich bereits mit dem Thema auseinandergesetzt haben.

Wo unterstützen Sie in der Erzeugung?

Wir unterstützen zusammen mit Partnern zum Beispiel auch direkt an der landwirtschaftlichen Basis, indem wir regenerative Praktiken in der Landwirtschaft fördern. Die Maßnahmen, die derzeit unter dem Begriff verstanden werden, bieten enorme Potenziale für eine zukunftsgerichtete Landwirtschaft und helfen uns unter anderem, beispielsweise CO2 in unseren Lieferketten einzusparen.

Regenerative Landwirtschaft ist im Gegensatz zu Bio nicht definiert, die Bewertung der Maßnahmen schwierig.

Ja, das ist ein großes Thema. Es bedarf auf jeden Fall einer zusätzlichen Standardisierung, und dafür sind wir für jede Art von Austausch offen. Bei uns laufen gerade trotzdem schon einige Pilotprojekte wie die Zusammenarbeit mit Klim. Damit unterstützen wir die Entwicklung dieses Themenbereichs, weil wir davon überzeugt sind, dass es neue Lösungsansätze wie diese braucht, um eine zukunftsfähige Ernährung zu sichern.

Entwicklung der Treibhausgasemissionen bei Kaufland

Welche Rolle spielt dabei Bio? Klim ­arbeitet sowohl mit konventionellen 
als auch mit Öko-Betrieben …

Wir sehen im Bio-Bereich sowohl auf der Angebots- wie auch auf der Nachfrageseite große Fortschritte. Realistisch betrachtet müssen wir aber auch die konventionelle Landwirtschaft mit regenerativen Maßnahmen abholen. Beide Formen, konventionell und biologisch, sollten die Möglichkeit haben, diese Maßnahmen umzusetzen, um insgesamt eine flächendeckende positive Entwicklung im Umweltschutz, bei gleichbleibender Produktivität und Kosteneffizienz, zu erreichen.

Sie sind der Allianz der Pioniere beigetreten. Dabei geht es um Projekte wie die Wiedervernässung von Mooren. Wie fügt sich das in Ihre Gesamtstrategie ein, und was genau planen Sie in diesem Bereich?

Wir sind offiziell am 17. Januar der Allianz beigetreten. Ich bin wirklich begeistert von diesem Thema, auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht etwas ungewöhnlich erscheint, dass wir uns mit Mooren und deren landwirtschaftlicher Nutzung beschäftigen. Wissenschaftlich ist schon lange bekannt, welches Potenzial Moore haben. Aber es ist eben kein reines Naturschutzthema – denn wenn wir alle Moorflächen wiedervernässen und in Naturschutzflächen umwandeln wollen, wird das nicht funktionieren, weil die Fläche ja begrenzt ist. Viele entwässerte Flächen sind in Privatbesitz oder werden wirtschaftlich genutzt. Landwirte, die diese Flächen heute bewirtschaften, brauchen auch in der Zukunft eine Möglichkeit, diese Flächen wirtschaftlich sinnvoll zu nutzen. Es ist wichtig, dieses Wissen breiter zu streuen und nicht nur in Fachkreisen zu belassen. Viele Landwirte, mit denen ich spreche, haben das Thema Bewirtschaftung von Moorflächen noch gar nicht auf dem Schirm.

Um welche wirtschaftliche Umnutzung soll es gehen?

Auf solchen Flächen können beispielsweise Pflanzen mit hoher Wassertoleranz angebaut werden wie Rohrkolben, Schilf und Schwarzerle. Diese können in der Bau- und Dämmstoffindustrie, in der Papier- und Verpackungsbranche und bei der Herstellung von Holzwerkstoffen als wertvolle, regionale Baustoffe dienen. Das Schöne an der Allianz ist, dass verschiedene Partner das Thema vorantreiben, auf die Bedürfnisse der Landwirtschaft hören und prüfen, welche Flächen wofür geeignet sind. Unsere Immobilienkollegen sind beispielsweise sehr interessiert daran, nachhaltige Materialien zu testen. Und genau darum geht es: pragmatisch Lösungen zu testen und gemeinsam weiterzuentwickeln. Wer weiß, was wir in ein paar Jahren auf natürliche Weise auf den Flächen wachsen lassen und nutzen können.

Gibt es bereits erste konkrete Tests?

Wir sind aktuell in unterschiedliche Projekte involviert. Eines davon beschäftigt sich mit Dämmmaterialien für unsere Gebäude, sei es beim Neubau oder bei Renovierungen, um alternative Dämmstoffe zu testen. Das ist gerade in der konkreten Planungsphase. Zudem prüfen wir verschiedene Papier- beziehungsweise Papplösungen, die an unterschiedlichsten Stellen im Unternehmen Anwendung finden können. Prezero ist im Rahmen von Outnature beteiligt, die Silphie-Fasern herstellen, die wir auch in Verpackungen nutzen. Outnature produziert Fasern aus Moorgräsern, die dann vom Verpackungshersteller zu Pappe verarbeitet werden.

Wie geht es weiter?

Der nächste Schritt ist, verschiedene Lösungen im Vertrieb zu testen, wie zum Beispiel Zwischenlagen auf Europaletten. Das ist eine schnelle und einfache Möglichkeit, herauszufinden, ob die Beschaffenheit passt – ob sie zu dünn oder zu dick ist und wie sie sich bewährt.

Gibt es noch weitere Kooperationen oder Projekte, die wirklich einen Unterschied machen könnten?

Wir haben schon viel in Bewegung gesetzt. Die Welt und die Ernährungsweise verändern sich, und in den nächsten 10 bis 20 Jahren werden wir uns angepasst haben müssen. Themen wie regenerative Landwirtschaft und Schutz von Mooren müssen wir heute angehen, damit wir auch in Zukunft gut aufgestellt sind. Wir freuen uns auch, wenn wir solche Maßnahmen in Eigeninitiative umsetzen, ohne von gesetzlichen Vorgaben reguliert zu sein.

Das heißt, Sie sind eher für Freiwilligkeiten und gegen gesetzliche Vorgaben bei Nachhaltigkeit?

Nein, so sollte das nicht klingen. Nehmen wir das Pfandsystem als Beispiel. Es hat anfangs viel Aufwand und Mühe gekostet, aber heute sind wir überzeugt, dass die Einführung die richtige Entscheidung war. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre in Deutschland können wir nun auf andere Länder in Osteuropa übertragen, wo Pfandsysteme aktuell nach und nach eingeführt werden.

Bilder zum Artikel

Bild öffnen Kaufland setzt auf die Planetary Health Diet und nachhaltige Verpackungen.