Interview zur EU-Berichtspflicht Nachhaltigkeit light? Experten warnen vor Rückschritt

Hintergrund

Die EU will Nachhaltigkeitsberichtspflichten reduzieren, verrechnet sich aber, analysiert Experte Prof. Dr. Andreas Rasche.

Dienstag, 29. April 2025, 05:40 Uhr
Bettina Röttig
Prof. Dr. Andreas Rasche lehrt am Zentrum für Nachhaltigkeit an der Copenhagen Business School, Dänemark Bildquelle: CBS

Weniger Bürokratie: Dieses Versprechen will die Europäische Kommission mithilfe des sogenannten Omnibus-Verfahrens einlösen und die Pflichten der CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive), der Lieferkettenrichtlinie (CSDDD - Corporate Sustainability Due Diligence Directive) und der EU-Taxonomieverordnung bündeln. Setzt Brüssel den Vorschlag durch, gelten höhere Schwellenwerte für den Geltungsbereich der CSRD. Damit könnte ein Großteil der Unternehmen aus der Berichtspflicht herausfallen. Anfang April wurden bereits Fristverlängerungen für CSRD und CSDDD beschlossen. Prof. Dr. Andreas Rasche von der Copenhagen Business School bewertet im Gespräch mit der Lebensmittel Praxis den Vorschlag der Kommission.

Herr Rasche, die EU-Gesetze zu Nachhaltigkeitsberichtspflicht und Sorgfaltspflichten, als Bürokratiemonster kritisiert, sollen mit der sogenannten Omnibus-Verordnung entschlackt werden. Was lief schief?

Prof. Dr. Andreas Rasche: Zunächst einmal ist es wichtig zu erkennen, dass Nachhaltigkeitsberichterstattung nicht einfacher sein muss als Finanzberichterstattung, die unglaublich komplex ist. Wenn man Nachhaltigkeitsberichte so gestalten will, dass sie wirklich aussagekräftige Daten liefern, dann ist das ebenfalls aufwendig. Vor der CSRD hatten wir oft freiwillige Berichterstattung mit Frameworks, die viel Spielraum ließen. Das führte zu Berichten, über die sich Investoren zu Recht beschwerten, weil die Daten nicht detailliert genug oder nicht geprüft waren. Die EU hat versucht, das zu standardisieren und Nachhaltigkeits- und Finanzberichterstattung gleichzusetzen. Sie hat die Regularien jedoch ohne gute Implementierungsrichtlinien eingeführt. Das frustrierte viele Unternehmen, die sich dann an teure Berater wenden mussten.

Welche weiteren Fehler wurden gemacht?

Der Fokus lag zu sehr auf Compliance und die Vorteile der Regularien wurden nicht klar genug kommuniziert. Das hat Lobbyisten in die Hände gespielt, die seit Ende 2023 das Narrativ der hohen Kosten propagieren. Interessanterweise hat die Kommission in ihrem Vorschlag dieses Narrativ übernommen und nur die Kosten analysiert, nicht aber die Vorteile oder den Impact.

Welche Vorteile bieten die Regularien dennoch für Unternehmen?

Wenn sie gut umgesetzt werden, bieten sie viele Vorteile, wie besseres Risikomanagement und motivierte Mitarbeiter durch erfasste Aspekte wie Work-Life-Balance und faire Bezahlung. Die CSRD fungiert als eine Art Filter, der Unternehmen hilft, Chancen und Wachstumsmöglichkeiten zu identifizieren. Sie ist ein Management-Tool. Das Reporting ist nur das Endprodukt.

Wie bewerten Sie den aktuellen Omnibus-Vorschlag und das schnelle Vorgehen?

Die EU steht unter enormem Druck. Mario Draghi hatte letztes Jahr recht, als er sagte, dass wir international nicht wettbewerbsfähig genug sind und etwas tun müssen. Die Vorschläge sind jedoch extrem. Es ist wichtig zu überlegen, inwieweit die vorgeschlagenen Maßnahmen wirklich helfen, unsere Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Meiner Meinung nach sollten wir auf andere Faktoren setzen, zum Beispiel gut ausgebildete Arbeitskräfte, funktionierende Wertschöpfungsketten und innovative Lieferanten. Mehr Innovation in den Unternehmen ist entscheidend. Ein bisschen beim Nachhaltigkeitsreporting zu sparen, bringt uns da nicht weiter.

Inwiefern würde der Erhalt dieser Instrumente tatsächlich zur Innovationskraft und Leistungsfähigkeit beitragen?

Es könnte passieren, dass wir Daten verlieren, die entscheidend für die Weiterentwicklung und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen sind.

Wo bringt der Vorschlag Vereinfachungen?

Ich sehe in großen Teilen des Vorschlags keine echte Vereinfachung. Wenn man 80 Prozent der Unternehmen von einer Regulierung ausnimmt, macht das die Dinge nicht einfacher. Vereinfachung bedeutet, Prozesse zu optimieren und besser aufeinander abzustimmen, nicht einfach zu sagen, dass Unternehmen sich nicht mehr daran halten müssen.

Laut EU soll durch den Omnibus rund 6 Milliarden Euro eingespart werden. Wie realistisch ist diese Rechnung?

Es ist eine sehr kurzsichtige Kostenrechnung, die die Vorteile des Reporting völlig außer Acht lässt. Außerdem, das höre ich immer wieder von Unternehmen, werden die bereits getätigten Investitionen der Unternehmen, die jetzt aus dem Geltungsbereich fallen, nicht berücksichtigt. Ich glaube nicht, dass die EU wirklich behaupten kann, damit über 6 Milliarden Euro einzusparen. Diese Zahl müsste stark nach unten korrigiert werden, wenn man alle Faktoren, mit einbezieht.

Selbst Nachhaltigkeitspioniere berichten, dass sie kaum noch in der Lage sind, echten Impact zu erzielen. Werden jetzt nicht wieder Kapazitäten frei?

Es gab tatsächlich eine Art „Over-Reporting“. In der ersten Welle der CSRD haben wir zu viele Daten gesammelt. Die Wirtschaftsprüfer waren extrem vorsichtig und haben die Berichte sehr gründlich geprüft, sogar gründlicher, als es für den Standard der „Limited Assurance“ nötig gewesen wäre. Das hat definitiv Probleme verursacht. Doch anstatt dem System Zeit zu geben, sich zu entwickeln mit schrittweiser Verbesserung der Leitlinien und klaren Standards, um die Kosten zu senken, schwächen wir es signifikant ab. Das ist ziemlich verrückt.

Sie gehen also davon aus, dass sich die Kosten auch ohne Omnibus reduziert hätten?

Aus der Wissenschaft wissen wir, dass die langfristigen Kosten, sobald ein System etabliert ist, durchaus tragbar sind, auch für kleinere Unternehmen. Es entstehen Routinen, Best Practices und es gibt Technologien, wie Softwarelösungen, die sich weiter verbreiten. Man hätte dem System einfach mehr Zeit geben sollen, anstatt überstürzt drastische Maßnahmen zu ergreifen.

Mit welchen Folgen muss die Ernährungswirtschaft rechnen?

Wer nicht berichtet, weiß nicht, wo er bei der Umsetzung seiner CO2-Ziele steht. Im Umkehrschluss könnte das bedeuten, dass einige Unternehmen ihre Klimaziele aufgeben oder abschwächen, weil sie keine Kontrolle mehr darüber haben, wo sie im Dekarbonisierungsprozess stehen. Wir laufen auch Gefahr, dass Lebensmittelkonzerne Schwierigkeiten haben werden, die notwendigen Daten für ihre Wertschöpfungsketten zu erhalten. Viele kleinere Unternehmen in diesen Ketten werden entweder freiwillig berichten oder gar nicht.

Das erfordert einen grundlegenden Wandel im Denken. Konzerne müssen künftig aktiv auf ihre Lieferanten zugehen und sie davon überzeugen, dass sie berichten sollen.

Wie wird es weitergehen?

Entscheidungen in Europa werden immer von diesen drei Institutionen – der Kommission, dem Parlament und dem Rat – getroffen, die sich einigen müssen. Der sogenannte ‚Stop the Clock‘-Teil zur Verschiebung der Fristen für die Unternehmen um zwei Jahre, wurde separat und im Schnellverfahren des Europäischen Parlaments behandelt. Hierzu brauchte es eine schnelle Entscheidung, da ansonsten die ursprüngliche CSRD mit ihren Fristen gegriffen hätte - die übrigens bereits in 20 Mitgliedsstaaten, allerdings bisher nicht in Deutschland, in nationales Recht umgesetzt wurde. Der eigentliche Omnibus, also die Änderungen der Regulierungen, muss durch das Parlament und den Rat. Im Parlament erwarte ich erheblichen Widerstand, da es Blöcke gibt, wie die Sozialdemokraten, die Grünen und Teile der Liberalen, die das Ganze überdenken wollen. Die EVP-Fraktion im Parlament muss sich genau überlegen, mit wem sie am Ende zusammenarbeitet, wenn es zur Abstimmung kommt. Will sie den Vorschlag mit rechtsnationalen Kräften durchsetzen? Diese Frage wird sicherlich diskutiert, besonders vor dem Hintergrund der kürzlich erfolgten Bundestagsentscheidung in Deutschland.

Was würden beide Szenarien bedeuten?

Sollte die EPP sich entscheiden, eine Mehrheit mit den rechtsnationalen Kräften im Parlament zu suchen, könnte das dazu führen, dass diese Gruppen noch mehr Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen. Diese rechtsorientierten Fraktionen im Parlament streben danach, den Green Deal stark abzuschwächen oder sogar abzuschaffen. Das könnte letztlich bedeuten, dass der Omnibus-Entwurf noch weiter verschärft wird. Sollte es hingegen zu einem Kompromiss mit den Sozialdemokraten, Grünen und anderen kommen, ist es gut möglich, dass einige der Änderungsvorschläge abgeschwächt werden. Das halte ich für ein realistisches Szenario. Im Europäischen Rat selbst erwarte ich nicht viel Widerstand, da die nationalen Positionen, wie man an den Briefen von Olaf Scholz und den vier deutschen Ministern sehen konnte, eine klare Richtung vorgeben.

Zur Person

Prof. Dr. Andreas Rasche ist Professor für Business in Society am Zentrum für Nachhaltigkeit der Copenhagen Business School und stellvertretender Dekan. Er untersucht in seiner Forschung die Überschneidung von unternehmerischer Nachhaltigkeit, nachhaltiger Finanzierung und der politischen Rolle von Unternehmen.