Herr Fromm, Handel und Landwirtschaft rücken enger zusammen. Ist die neue Gemeinschaft von Dauer oder nur eine vorübergehende Erscheinung?
Björn Fromm: Sie sprechen konkret die Verbände-Allianz an, die wir zur Grünen Woche vorgestellt haben. Der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels hat sich mit dem Raiffeisenverband und dem Bauernverband zusammengeschlossen. Die Herausforderungen im Lebensmittelsektor sind enorm. Viele notwendige Entscheidungen wurden von der Ampelregierung und auch von vorherigen Regierungen nicht getroffen. In den vergangenen Jahren haben wir erkannt, dass Konflikte und gegenseitige Schuldzuweisungen nicht helfen. Heute suchen wir den Dialog, da wir die großen Herausforderungen wie Nachhaltigkeit, Tierwohl und Versorgungssicherheit nur gemeinsam bewältigen können. Wir entwickeln Lösungen und vertreten diese gemeinsam gegenüber der Politik. Diese Zusammenarbeit ist langfristig angelegt.
Warum funktioniert Kooperation heute besser als früher?
Das liegt an der veränderten politischen Situation und der Erkenntnis, dass die Politik in den vergangenen Jahren keine klaren, umsetzbaren Rahmenbedingungen geschaffen hat. Stattdessen erleben wir kleinteilige, oft praxisferne Vorgaben, die Bürokratie erzeugen und uns von unserer eigentlichen Arbeit abhalten. Diese Schwierigkeiten führen zu einem stärkeren Zusammenhalt von Handel und Landwirtschaft.
Dennoch kritisieren Landwirte regelmäßig auch den Lebensmittelhandel. Tragen auch Sie Verantwortung für die Lage in der Landwirtschaft?
Ich verstehe die Sorgen der Landwirte, halte die Kritik an uns aber meistens für unberechtigt. Faktisch nimmt der Lebensmittelhandel nur einen kleinen Teil vieler landwirtschaftlicher Erzeugnisse direkt ab – etwa 13 Prozent der Trinkmilch und rund 23 Prozent des Frischfleischs. Viele Probleme der Landwirte hängen vielmehr mit dem starken Exportfokus und den extrem hohen regulatorischen Anforderungen zusammen. Wir stehen als Handel mit regionalen Partnerschaften und Direktverträgen stabilisierend an der Seite der Landwirte, bieten Sicherheit und Transparenz und sind damit Teil der Lösung und nicht Teil des Problems.

Zukunftsappell: Franz-Josef Holzenkamp (links), DRV, und Björn Fromm (rechts), BVLH, nehmen „CDU-General“ Carsten Linnemann in ihre Mitte.
Als Allianz den Agrarstandort stärken
Unter dem Motto „Gemeinsam für eine starke deutsche Landwirtschaft“ haben der Deutsche Raiffeisenverband (DRV), der Deutsche Bauernverband (DBV) und der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH) vor der Bundestagswahl eine gemeinsame Positionierung vorgelegt. Zentrale Forderungen der Verbände-Allianz betreffen insbesondere den Bürokratieabbau, praxistaugliche Regelungen für die Tierhaltung und die klare Kennzeichnung heimischer Produkte.
Die Allianz fordert eine stärkere politische Unterstützung für privates Agrar-Marketing, den Abbau von Innovationshemmnissen sowie einen wissenschaftlich fundierten Umgang mit nachhaltiger Landwirtschaft. Besonderes Augenmerk liegt nach Angaben der Verbände auf der Notwendigkeit, Berichtspflichten zu reduzieren und stattdessen bewährte Stufenverantwortung und Zertifizierungssysteme zu fördern.
Die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Landwirtschaft solle durch steuerliche Anreize, verbesserte Rahmenbedingungen im Bereich Logistik und den gezielten Einsatz von Saisonarbeitskräften erhöht werden.
Nationales „Goldplating“ – die Praxis, EU-Richtlinien über das notwendige Maß hinaus umzusetzen, indem Staaten zusätzliche nationale Regeln einführen oder bestehende strenger anwenden als vorgeschrieben – lehnt die Allianz ab, weil dies zu erhöhten Bürokratiekosten und Belastungen für Unternehmen und Bürger führe.
Bildquelle: BVLH
Wie antworten Sie auf Vorwürfe unfairer Handelspraktiken?
Diese Vorwürfe treffen uns nur sehr vereinzelt. Bei unzähligen Einkaufstransaktionen jährlich sind die öffentlich diskutierten Fälle meist Einzelfälle, die von Einzelnen medienwirksam hervorgehoben werden, um von eigenen unfairen Industriepraktiken abzulenken. Der Handel setzt seinen Fokus zunehmend auf regionale Wertschöpfung und unterstützt damit kleinere und mittelständische Lieferanten partnerschaftlich und vertrauensvoll.
Sie sehen den Lebensmittelhandel als Teil der Lösung für die Probleme der Landwirte. Steckt darin Kritik an der Industrie – etwa an den Fleischverarbeitern?
Zunächst möchte ich betonen, dass wir im Dialog mit der Politik bleiben und ihr klarmachen sollten, dass sie die Lieferkette verstehen muss. Es geht nicht darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern darum, zu begreifen, wie Milch und Fleisch vom Erzeuger zu uns gelangen, welche Zwischenstufen es gibt und dass neben dem Handel der Export und die Gastronomie zentrale Vertriebskanäle sind. Jeder Akteur in der Wertschöpfungskette trägt Verantwortung, dazu gehören ausdrücklich auch die Milch- und Fleischindustrie. Gemeinsam setzen wir uns intensiv für Verbesserungen im Bereich Tierwohl ein, etwa durch die Initiative Tierwohl (ITW) oder durch klare Kennzeichnungen der Haltungsformen. Der Lebensmittelhandel geht hier gerne voran. Aber entscheidend ist, dass alle anderen inländischen Vertriebswege – und nicht nur der Handel – verbindlich zu diesen Standards verpflichtet werden. Nur wenn alle mitziehen, entsteht weiterer Fortschritt, der letztlich auch beim Verbraucher ankommt.
Warum mangelt es noch immer an Investitionen ins Tierwohl?
Landwirte, die in bessere Haltungsbedingungen investieren wollen, stoßen auf erhebliche bürokratische Hürden. Genehmigungsverfahren sind zu komplex und dauern zu lang. Zudem fehlt bislang ein klares staatliches Signal, das die erforderlichen Investitionen gezielt unterstützt. Wir fordern daher dringend vereinfachte Genehmigungsverfahren und klare, staatlich unterstützte Finanzierungsmodelle, um Landwirten Planungssicherheit zu bieten, um die notwendigen Umbauten vorantreiben zu können.
Was kann der Handel zusätzlich tun, um die Landwirte stärker zu unterstützen?
Wir unterstützen die Landwirtschaft bereits massiv, etwa durch langfristige Verträge und Initiativen wie die ITW, die in zehn Jahren über 1,5 Milliarden Euro an Landwirte gezahlt hat. Allerdings: Wir brauchen eine verpflichtende und umfassende Anwendung dieser Standards auf allen Vertriebswegen. Wir könnten damit eine stabile Nachfrage nach tierwohlgerechten und regionalen Produkten sichern sowie das Vertrauen und die Planungssicherheit bei den Landwirten nachhaltig stärken.
Sollte der Handel durch Preisgestaltung Verbraucher zu nachhaltigeren Kaufentscheidungen bewegen?
Nein, es ist nicht Aufgabe des Handels, Verbraucher zu erziehen. Preise entstehen durch den Wettbewerb und Marktgegebenheiten. Unsere Aufgabe besteht darin, vielfältige und attraktive Angebote bereitzustellen. Die Kaufentscheidung trifft am Ende der mündige Verbraucher. Wir stellen jeden Tag die Waren bereit, die bei uns nachgefragt werden.
Wie beurteilen Sie den Einfluss der Politik auf Landwirtschaft und Tierwohl?
Die Politik reguliert zu viel und verliert sich in unnötigen Detailfragen. Statt detaillierter Vorgaben wäre es besser, klare globale Ziele zu definieren und deren Umsetzung praxisnah zu kontrollieren. Ziel sollte sein, Landwirte zu entlasten, damit sie mehr Zeit in ihre eigentliche Arbeit investieren können. Zu viele Vorschriften schaffen Unsicherheit, steigern die Kosten und belasten die gesamte Wertschöpfungskette.
Könnten deutsche Kooperationen zwischen Handel und Landwirtschaft ein Modell für Europa werden?
Definitiv, unsere intensive und konstruktive Zusammenarbeit könnte tatsächlich Vorbildcharakter für ganz Europa haben. Unsere praxisnahen, gemeinschaftlichen Lösungen könnten EU-weit übernommen werden und zu effektiveren und nachhaltigeren Ergebnissen führen.
Welche konkreten Forderungen haben Sie an die kommende Bundesregierung?
Wir erwarten schnelle, klare Entscheidungen von der neuen Regierung. Wichtig sind weniger Bürokratie, globale Nachhaltigkeitsziele mit klarer Stufenverantwortung und weniger Berichtspflichten, Investitionen in Infrastruktur und Arbeitsmarkt sowie praxistaugliche Gesetze. Nur durch diese Maßnahmen lässt sich langfristige Planungssicherheit herstellen und die Stimmung im Handel und in der Landwirtschaft verbessern.