Kurzinterview mit Kerstin Erbe Vielfalt: Jetzt erst recht!

Warum dm auf identitäre Quoten verzichtet. Kurzinterview mit Kerstin Erbe, dm-Geschäftsführerin Ressort Produktmanagement. 

Donnerstag, 17. April 2025, 05:40 Uhr
Bettina Röttig
Kerstin Erbe, Geschäftsführerin bei dm für das Ressort Produktmanagement Bildquelle: dm

Welche Ziele haben Sie sich bei dm in Sachen Diversität und Geschlechtergerechtigkeit gesteckt und wo stehen Sie?

Wir sind ein Händler, der stark von Frauen geprägt ist: Unsere Kundenbasis ist überwiegend weiblich, ebenso unsere Belegschaft. Unsere Geschäftsführung hat bewusst entschieden, keine identitären Quoten zu setzen, da wir den Menschen als Individuum in den Mittelpunkt stellen. Wenn wir feststellen sollten, dass wir nicht divers aufgestellt sind, wäre das ein Zeichen dafür, dass etwas in unserer Unternehmenskultur nicht stimmt. In unserer Arbeitsgemeinschaft arbeiten Menschen aus über 140 Nationen und mehr als 2.200 Menschen mit einer Schwerbehinderung. In unserer Technikabteilung, dmTech, haben wir ein Verhältnis von 60 Prozent Männern zu 40 Prozent Frauen. Ich finde, das ist ein sehr guter Anteil. Auch in unserem Verteilzentrum ist der Anteil von Männern und Frauen nahezu ausgeglichen. In manchen Bereichen wie meiner Abteilung versuchen wir, mehr Männer zu integrieren.

Sind Sie bei dm in einer Luxusposition, dass es ohne Ziel-Quoten geht?

Ja, das sind wir vielleicht. Früher war ich strikt gegen Quoten. Mittlerweile denke ich persönlich, dass Quoten an manchen Stellen dringend notwendig sind. Aber sie sind auch ein zweischneidiges Schwert. Sie können polarisieren, weil sich manche dadurch benachteiligt fühlen. Zudem besteht die Gefahr, dass man den Fokus von der Qualifikation des Einzelnen ablenkt und nur noch auf die Quote schaut. Mir ist es wichtig, dass wir das Thema gelassener angehen können. Aber das erfordert einen gesellschaftlichen Wandel, nicht nur eine Veränderung in den Unternehmen.

Dennoch sind Sie die einzige Frau in der dm-Geschäftsführung…

Für dm-Deutschland stimmt das. Betrachten wir die dm-Geschäftsführungen aller 14 Verbundländer, sind wir inzwischen paritätisch. Es gab auch schon mal zwei weibliche Geschäftsführerinnen bei dm in Deutschland und es gibt Bestrebungen, die Geschäftsführung weiblicher zu gestalten, aber Frauen müssen sich diese Rollen auch zutrauen und wünschen. Das ist die erste Hürde. Wir werden natürlich auch keinen männlichen Kollegen entlassen, nur um eine Frau einzustellen. Grundsätzlich sollte ein Job von der Person gemacht werden, die am besten dafür geeignet ist.

Wie sieht es in den weiteren Führungsebenen aus?

Die dm-Märkte werden überwiegend von Frauen geleitet. 55,4 Prozent der Gebietsverantwortlichen bei dm sind derzeit männlich und 44,6 Prozent weiblich. Für diese Positionen möchten wir mehr Frauen gewinnen.

Was steht dem entgegen?

Einige Hürden sind bekannt: Frauen stellen oft höhere Anforderungen an sich selbst, besonders wenn es um Führungspositionen geht. Ein Klassiker ist, dass viele Frauen sich nur dann auf eine Stelle bewerben, wenn sie alle Anforderungen zu 100 Prozent erfüllen. Männer hingegen gehen oft selbstbewusster an solche Herausforderungen heran. In der Gesellschaft beobachten wir einen Trend zurück zu traditionellen Rollenbildern, was auch in unserer Marktforschung zum Beispiel zur dm-Marke Babylove sichtbar wird.

Welche Hürden haben Sie als weibliche Führungskraft selbst erlebt?

Ich beobachte, dass Frauen oft mehr leisten und lauter sein müssen, um sich durchzusetzen, da sie anders führen. Ihre Netzwerke sind anders, und sie legen häufig mehr Wert auf Familie. Die Rollenerwartungen von außen sind ebenfalls andere, einschließlich der Frage, wie man auszusehen hat. In meinem Umfeld möchte ich Frauen daher vermitteln, sie sollten Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten haben, die eigene Stimme erheben, und die eigene Perspektive einbringen. So habe ich meine Karriere gestaltet, indem ich mir klar darüber wurde, was ich wirklich will, und das dann auch verfolgt habe.

Wie aktiv nutzen Sie Ihre Vorbildrolle, um andere Frauen zu fördern?

Als ich zu dm kam, haben mich viele Kolleginnen angesprochen und gebeten, sichtbar zu werden und für sie zu sprechen, weil ich ihre Stimme repräsentiere. Deshalb habe ich mich entschieden, auf Social Media aktiver zu werden. Nicht, weil ich unbedingt eine Plattform zur Selbstdarstellung brauche, sondern um zu zeigen, dass es möglich ist, Familie und Karriere zu vereinen und dabei Frau zu bleiben. Es ist wichtig, dass wir gesellschaftlich sowohl Männer als auch Frauen ermutigen, mehr Verantwortung zu übernehmen. Aber das ist nicht immer einfach. Ich kann das alles bewältigen, weil mein Mann beruflich zurückgesteckt hat, um mehr Care Arbeit zu übernehmen. Er unterstützt mich und hält mir den Rücken frei. Da braucht es als Mann schon eine gewisse Stärke.

Unternehmen wie Target oder Walmart haben sich von ihren Aktivitäten zur Förderung von Diversität, Gleichstellung und Inklusion verabschiedet. Wie nehmen Sie den aktuellen Backlash wahr?

Wir erleben immer wieder Trends und Gegentrends. Aktuell gibt es einen starken Gegentrend zur Woke-Bewegung, und darauf wird es wieder eine Gegenbewegung geben. Ich frage mich, ob aktuell die Unternehmen einknicken, die bisher nur aus Imagegründen gehandelt haben. Eine 'Häkchen-Mentalität' bringt niemanden weiter. Ich glaube, die Unternehmen, die aus Überzeugung und mit einer klaren Vision für die Zukunft handeln, werden ihren Kurs nicht ändern. Sie bleiben ihrer Linie treu. Ich bin da nach wie vor optimistisch.

3 Prozent der Mitarbeitenden in Deutschland waren laut Bericht zur Zukunftsfähigkeit 23/24 schwerbehindert. Welche Maßnahmen gibt es, um auf die Quote von 5 Prozent zu kommen?

Grundsätzlich richten sich unsere Stellenausschreibungen immer auch an Menschen mit Behinderung, die wir ausdrücklich dazu ermutigen möchten, Teil der dm-Arbeitsgemeinschaft zu werden. Die Kolleginnen und Kollegen aus der Schwerbehindertenvertretung sind regelmäßig eingebunden, um für jeden Menschen individuell passende Aufgabenbereiche bei dm zu identifizieren. In allen dm-Regionen gibt es zudem gewählte Interessensvertretungen, also Ansprechpartnerinnen und -partner, die den Kolleginnen und Kollegen mit Behinderung in unseren Verteilzentren und den dm-Märkten vor Ort beratend zur Seite stehen. Neben den Menschen in der Arbeitsgemeinschaft arbeiten wir bei dm aber auch seit Langem eng mit vielen Behindertenwerkstätten zusammen. Beispielhaft sind hier die Nordeifelwerkstätten zu nennen, die unter anderem Kontrollaufgaben bei Lagerrückläufen übernehmen, Arbeitskleidung und Tragetaschen prüfen oder die Instandhaltung unserer Mehrwegkisten für den Warenverkehr durchführen. Die für die Beauftragung der Behindertenwerkstätten anfallenden Ausgaben werden uns für die Erreichung der Quote angerechnet. Innerhalb der dm-drogerie markt GmbH + Co. KG, also unserem zentralen Unternehmensbetrieb inklusive der dm-Märkte, der Verteilzentren und Teilen der Menschen im Dialogicum, kommen wir heute auf rund 4,8 Prozent.