Bei Edeka Hayunga in Elmshorn herrscht hinter der Frischetheke noch immer geschäftiger Betrieb. Allein, die Arbeit machen nicht mehr nur die Mitarbeiter: Eine Schneide- und Verpackungsmaschine bewegt sich beinahe im Dauereinsatz. Die „Px 3“ bereitet automatisch 150 Sorten Wurst vor. Die Packungen, die sie herstellt, lässt Erich Arndt, der Leiter von Hayungas Frischeabteilung, in einer offenen Theke drapieren: Wurst und Käse verkauft Hayunga in der Regel vorverpackt. Nur die Fleischtheke kommt noch klassisch daher – geschlossen und mit Personal, das auffordert: „Der Nächste, bitte!“
Die Serviceabteilungen im Handel sind im Umbruch begriffen. Personal, das mit Wissen und Begeisterung an die Arbeit geht, ist in vielen Regionen allenfalls mit Mühe zu finden. Viele Supermärkte reduzieren deshalb die Bedienzeiten, verkleinern die Bedientheken. Für Vollsortimenter ist das eine riskante Entwicklung: Bedientheken sind ihr Alleinstellungsmerkmal. Sie seien „Umsatz- und Ertragsmotor im Markt“, sagte etwa Edekas Aufsichtsratsvorsitzender Uwe Kohler Ende vergangenen Jahres vor Managern und Kaufleuten des Verbunds. Handelsexperten wie Thomas Vogler, Professor an der Technischen Hochschule Ingolstadt, sehen ein Spannungsfeld: Kaufleute seien für derlei Hinweise nicht immer empfänglich. Viele handelten pragmatisch und effizienzorientiert.
Und einige sind längst einen Schritt weiter: Sie suchen nach der besten Lösung aus zwei Welten – bauen das Sortiment an verpackten Fleisch- und Käseprodukten aus, ohne die eigene Frischekompetenz zu verbergen. Manche sehen in sogenannten Prepack-Theken gar weit mehr als eine Notlösung: eine Chance auf zusätzlichen Umsatz.
Nur, wie lässt sich vorverpackte Ware verkaufen – und dabei Handwerkskönnen sichtbar machen?
In Hayungas Filiale am Wedenkamp in Elmshorn unterscheiden sich die Selbstbedienungstheken kaum von der Theke mit Bedienung. Dahinter ist Raum für Mitarbeiter, die beraten, und eben für die Verpackungsmaschine – deren Betrieb ständige Frische signalisiert. Auch bei anderen Händlern sind Mitarbeiter – wenn auch zuweilen eher theoretisch – ansprechbar, Edeka Hayunga aber fordert explizit dazu auf: „Sprechen Sie uns gerne an!“, steht auf einem Schild. Und: „Von uns können Sie sich jederzeit eine Scheibe abschneiden lassen.“
Arndt, der Frische-Chef des Händlers, sagt: „Wir merken, dass die Kunden immer weniger Zeit haben.“ Zudem würden sich vor allem Jüngere lieber „in Ruhe umsehen, als an der Theke zu warten“.
Wurst ist komplizierter
Käse in Vorverpackung ist mittlerweile praktisch überall etabliert: Ob Edeka, Rewe oder Globus – alle setzen auf Prepack und erzielen damit bedeutende Umsätze. Neu ist aber die Vielfalt in der Prepack-Theke: In vielen Märkten liegen bei weitem nicht mehr nur Schnelldreher wie Gouda und Parmesan griffbereit. Auch mit vorverpackter Ware können sich Märkte abheben, wie die Globus-Filiale in Braunschweig zeigt: Sie hat jüngst den Käsestar der Lebensmittel Praxis in der neu geschaffenen Kategorie „Beste Prepack-Theke“ gewonnen. „Wir beobachten im Wettbewerbsumfeld, dass die Bedientheken zurückgehen und der Anteil der Vorverpackungen steigt“, sagt Giovanni Rizzo, der Geschäftsführer des Marktes. Er gehe davon aus, dass sich dieser Trend bei Prepack-Käse fortsetze.
Wurst und Schinken lässt sich weniger leicht vorverpacken – weil die Produkte unter Umständen nur kurz haltbar sind (siehe Kasten). In großen Verbrauchermärkten gehören Prepack-Fleischprodukte trotzdem zum Konzept: Bei Globus etwa ist die vorverpackte Wurst am Stück nicht mehr wegzudenken. An einigen Standorten hat der Großflächen-Händler die Bedientheken zur Hälfte durch Prepack-Theken ersetzt – oft mit gut einsehbarem Vorbereitungsraum: Kunden sollen den Mitarbeitern beim Verpacken von Lyoner, Leberwurst und anderem zuschauen können. Ähnlich ist es bei Kaufland: Auch für den Händler der Schwarz-Gruppe spielen vorverpackte Produkte eine bedeutende Rolle.
Die Industrie passt sich an
Anderswo dagegen ist Prepack-Wurst weniger verbreitet – und zuweilen gar auf dem Rückzug. In einigen Leuchtturmmärkten von Rewe oder Edeka, vor allem solchen mit großen Flächen, spielen vorverpackte Wurstwaren eine Rolle. Präsenter ist bei den Vollsortimentern aber industriell vorverpackte Ware. Diese verarbeiten die Hersteller oft unter besonderen Bedingungen – damit sie länger haltbar ist.
Der Trend zu Prepack verändert deshalb auch das Geschäft der Industrie. Der Osnabrücker Wurst- und Schinkenspezialist Bedford etwa reagiert: Für Prepack-Theken hat das Unternehmen jüngst ein neues Sortiment auf den Markt gebracht. Osnabrücker Friedensschinken, Trüffelsalami, Pasteten- und Aspikscheiben zum Beispiel verpackt der Hersteller jetzt portioniert. Entsprechende Produkte machen nach Angaben des Unternehmens schon 10 Prozent des Umsatzes von Bedford aus.
Auch für den Premiumanbieter Dicke Food spielt Vorverpackung eine Rolle: „Wir haben uns in der Corona-Zeit stark entwickelt, vor allem im Prepack-Bereich“, sagt Manfred Müller, „Thekencoach“ bei Dicke. Die Pandemie gab der Entwicklung hin zu vorverpackter Ware einen Schub: Viele Kunden mieden aus Sorge vor Ansteckung die Bedientheken. „Da mussten wir umdenken und unsere Strategie anpassen“, sagt Müller. Als Beispiel für die entstandenen Produkte nennt er italienische Spezialitäten in der Vorverpackung. Dicke habe bei seinen Lieferanten Einheiten von etwa 70 bis 80 Gramm bestellt – weile solche Mengen den Kundenwünschen entgegenkämen.
Es gibt einen Kipppunkt
Bei Vollsortimentern allerdings suchen Kunden eben auch ein Einkaufserlebnis – „attraktive Wohlfühlwelten, Bedientheken, Genusserlebnisse und vor allem Sortimentskompetenz“, wie Edekas Marketing- und Vertriebsvorstand Claas Meineke jüngst sagte. Wie viel Selbstbedienung also können Kaufleute und Filialleiter ihren Kunden zumuten?
Carsten Kortum von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Heilbronn beschreibt einen Kipppunkt: Er hält Hybridtheken mit einem Fünftel bis zu einem Viertel Prepack-Anteil für eine gute Lösung. Der Umbau einer Bedientheke in eine sogenannte Cabriotheke – die einige Händler so nennen, weil den Möbeln gewissermaßen das Dach fehlt – sei vergleichsweise einfach. Ein Prepack-Sortiment lasse sich an jedem Standort im Feldversuch testen. Steige der Prepack-Anteil zu sehr, drohe eine Abwanderung der relevanten Zielgruppen.
„Thekencoach“ Manfred Müller rät zu einer „gesunden Mischung aus Bedienung und Prepack“. Er sagt außerdem: „Der Kunde muss wissen, dass er die gleiche Qualität bekommt, egal ob an der Theke oder vorverpackt.“ Die Vorverpackung der Ware habe mehrere Vorteile: An ruhigeren Tagen könne der Händler die Ware so vorbereiten, dass sie an Spitzentagen wie Freitag oder Samstag zur Verfügung stehe. Die Thekenmitarbeiter könnten sich stärker auf das konzentrieren, wofür sie eigentlich da seien: die Beratung. „Und genau das schätzen die Kunden.“
Jedenfalls manchmal. Viele Kunden wollten gar nicht mehr angesprochen werden, sagt Hartmut Holst, Marktleiter von Meyer’s Frischecenter in Stade. Die Personalnot des Händlers ist so groß, dass der Markt an manchen Wochentagen um 20 Uhr und die Bedientheke schon um 19 Uhr schließt. Die Entwicklung hin zur Vorverpackung sei nicht mehr rückgängig zu machen, sagt Holst denn auch. Zwar behalte die Theke mit Personal ihre Berechtigung: Je erklärungsbedürftiger ein Produkt sei, desto eher gehöre es in die Bedientheke. Das Mengenverhältnis der Produkte in Vorverpackung zu denen in der Bedientheke liege in seinem Markt aber schon bei 40 zu 60 Prozent.
Was funktioniert, ist von Markt zu Markt unterschiedlich. Für einheitliche Vorgaben sei „die Kundschaft an den Standorten viel zu heterogen“, sagt Hochschullehrer Kortum. Die Entscheidung über das Bedien- und Prepack-Sortiment müsse bei den Kaufleuten liegen.
Bei denjenigen also, die ihre Kunden täglich genau beobachten – so, wie Axel Schroff, selbstständiger Edeka-Kaufmann aus Kleve am Niederrhein: Supermärkte würden zu Erlebnisorten, „an denen Gastronomie und andere Angebote kombiniert werden“, prognostiziert er. Bedientheken halte er deshalb für besonders wichtig, sagt Schroff, aber: „Ich musste lernen, dass die Vorverpackung bei uns sehr gefragt ist.“ Besonders viele seiner Kunden aus den nahen Niederlanden kauften entsprechende Produkte. Und auch Schroff sagt, junge Kunden griffen auffällig oft zu verpackten Frischeartikeln.
Auf den Aufruf „Der Nächste, bitte!“ warten die Kunden der Zukunft offenbar vergleichsweise ungern.
3 Fragen an
Prof. Dr. Thomas Vogler, Handelsexperte an der Technischen Hochschule Ingolstadt
Sind Prepacking-Theken nur eine Unterstützung für die Bedientheke? Oder bringen sie zusätzlichen Umsatz?
Prepack-Theken können beide Funktionen erfüllen, je nach Kontext und Umsetzung. Einerseits entlasten sie Bedientheken bei Stoßzeiten oder bei Personalmangel, indem sie standardisierte Produkte ohne Wartezeiten anbieten. Andererseits eröffnen sie Chancen, zusätzliche Umsätze zu generieren, da sie spontane Käufe fördern und für Kunden attraktiv sind, die wenig Zeit haben. Dies ist besonders wichtig in Zeiten, in denen Flexibilität und Effizienz entscheidend sind. Die Kombination aus Bedientheken und Prepack-Theken kann also eine Win-Win-Situation darstellen.
Hat der Trend zu Prepack Auswirkungen auf die Fleischerzeuger?
Ein Wegfall der Bedientheken könnte erhebliche Auswirkungen auf die Landwirte haben, da sie weniger Differenzierungsmöglichkeiten haben. Ohne die Bedientheke fällt ein entscheidender Ort für die Präsentation hochwertiger Produkte weg. Zudem könnte es zu einem Preisverfall der Produkte kommen, da die Produkte in der Vorverpackung oft stärker standardisiert sind, was den Preisdruck erhöhen könnte. Außerdem verlieren die Landwirte die Möglichkeit, ihre Geschichte über das Verkaufspersonal an der Ladentheke zu vermitteln.
Haben Prepack-Theken auch Vorteile für die Lieferanten des Handels?
Die Vorteile liegen darin, dass durch die leichtere Verfügbarkeit der Produkte ein größerer Kundenkreis angesprochen werden kann. Die Herausforderung wird darin bestehen, Prepack so zu gestalten, dass die Wertschöpfung für Landwirte erhalten bleibt. Allerdings erfordert dies eine enge Zusammenarbeit zwischen Handel, Erzeugern und Verpackungsdienstleistern. Transparente Etikettierung könnte ein Schlüssel sein, um die Vorteile beider Ansätze zu kombinieren.