Kundenbindung Wie Rewe und Edeka der Totalumbau ihrer Treueprogramme gelingt

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Edeka und Rewe haben zum Jahreswechsel ihre Vorteilsprogramme umgebaut. Was der Kraftakt soll. Wo er für Ärger sorgt. Und warum Bonussysteme nie so wichtig waren wie heute.

Freitag, 17. Januar 2025, 06:40 Uhr
E. Kuss, T. Dünnebacke, M. Mahr, H. Mittler, B. Röttig
Bonusprogramme in der App
Edeka will Rewe-Payback-Kunden für 
sich gewinnen.
Bildquelle: Adobe Stock

Unter dem etwas sperrigen Titel „Forum Ware & Vertrieb“ lädt der Edeka-Vorstand regelmäßig Kaufleute aus ganz Deutschland nach Hamburg. Das Forum ist eine Art Eliteveranstaltung mit kurzweiligem Programm. So auch am 20. November vergangenen Jahres: Die Sängerin Blümchen gibt ihren Werbesong „Herz an Herz-Stücke“ zum Besten, ein 22-jähriger Unternehmensberater referiert über die Gen Z. Vor allem aber ist den Edeka-Chefs aus Sicht vieler Teilnehmer eine Botschaft wichtig: Die Frage „Sammeln Sie Payback-Punkte?“ soll künftig an möglichst jeder Edeka-Kasse zu hören sein.

Den Termin in Hamburg nehmen viele selbstständige Edeka-Händler als Startpunkt eines Kraftakts wahr: Die Kaufleute sollen den Totalumbau des Edeka-Bonusprogramms unterstützen, den Wechsel zu Payback – der praktisch zeitgleich zum Ausstieg von Rewe bei dem Bonuspunkte-Marktführer geschieht.

Zwei Monate später ist der Kraftakt weitgehend vollzogen: Seit dem Jahreswechsel fragen Edeka-Kassierer tatsächlich nach der Payback-Karte – und betreibt Rewe sein eigenes App-gestütztes Bonusprogramm. Die Umstellung wühlt trotzdem noch immer einige in der Branche auf. Strategieunterschiede innerhalb der Edeka treten vergleichsweise offen zutage: Kaufleute der Region Hessenring müssen sich vor ihren Kunden dafür rechtfertigen, dass sie anders als die übrigen Edeka-Händler keine Payback-Karten akzeptieren. Und Lieferanten fühlen sich über Gebühr an den Kosten der 
Bonusprogramme beteiligt. Das Kartellamt untersucht die Angelegenheit.

Es ist also Zeit für eine Bestandsaufnahme: Wie gelingt der Totalumbau der Vorteilsprogramme? Und was nützen Punkte und Boni überhaupt?

Enorm wichtig

Vor dem Termin in Hamburg ist Skepsis verbreitet unter den Edeka-Kaufleuten: „Wir bieten unsere App an und haben bisher zusätzlich auf die Deutschland-Card gesetzt. Dass ich meine Kunden jetzt zum dritten Mal umerziehen soll, geht mir gegen den Strich“, schimpft ein Händler im Gespräch mit der Lebensmittel Praxis, andere äußern sich ähnlich. Die Manager aus der Edeka-Zentrale aber finden offensichtlich die richtigen Worte: Slogans wie „Das beste Payback aller Zeiten“ oder „Endlich kommt zusammen, was zusammengehört“ verfangen bei vielen.

Kuchendiagramm: Für 63,6 Prozent der Handelsunternehmen ist es einfacher Bestandskunden zu binden.

Zumal die enorme Bedeutung der Vorteilskarten und -apps einen Kraftakt rechtfertigt: Allein die Payback-Karte zeigen rund 31 Millionen Menschen mindestens einmal im Jahr vor. Einige Edeka-Verantwortliche rechnen deshalb mit einem erstaunlichen Umsatzeffekt durch den Payback-Beitritt: Von rund 5 Prozent zusätzlichen Erlösen ist die Rede. Experten halten das für durchaus realistisch. In der Vergangenheit sollen Unternehmen, die sich Payback angeschlossen haben, auch schon mal 9 Prozent Umsatzsteigerung erzielt haben.

Was also sollte gegen einen Beitritt der Edeka zum Payback-System sprechen?

Womöglich die Gründe, aus denen Rewe austritt. Seit dem 29. Dezember setzt der Händler auf ein rein digitales und komplett eigenständiges Kundenbindungsprogramm. Die Kunden sammeln nun „Knete statt Punkte“, wie die Handelsgruppe intensiv bewirbt. Soll heißen: Es gibt Cashbacks in Eurobeträgen. Rewe-Chef Lionel Souque postet auf der Plattform Linkedin: „Ich bin überzeugt: In Zukunft werden sich nur noch solche Vorteilsprogramme durchsetzen, die wirklich maßgeschneiderte Angebote machen.“ Mit der eigenen App sei es Rewe möglich, „Kunden mehr und für sie relevantere Vorteile zu unterbreiten“, erklärt die Handelsgruppe auf LP-Anfrage. „Jetzt wird es endlich für die Rewe möglich, echte Mehrwerte wie eine kostenlose Fahrt mit dem öffentlichen Nahverkehr zum Rewe in Berlin anzubieten oder einen kostenlosen Abholservice für eine Großfamilie auf dem Land“, sagt der Unternehmensberater Markus Wuebben, der auf das Management von Kundenbeziehungen spezialisiert ist.

Grafik: Anteil an Loyality Programm Nutzern an Bestandskunden

Am marktspezifischen Couponing, wie manche die auf einen einzelnen Markt zugeschnittenen Rabatte nennen, arbeitet auch Payback. Doch unter anderem durch die Datenschutzbestimmungen des gemeinsamen Vorteilsprogramms gebe es Schwierigkeiten bei der Umsetzung, sagt Florian Wolfframm, der das „Partner-Management“ bei Payback leitet, im Podcast „Asap Digital“. „Alle Einkaufsdaten werden streng vertraulich und gemäß den Datenschutzbestimmungen behandelt; ein Austausch personenbezogener Daten zwischen den Payback-Partnern findet nicht statt“, teilt etwa dm auf LP-Anfrage mit.

Deshalb gilt laut Experten: Wenn ein Händler eine Payback-Karte ausgibt, gehört diesem gleichsam die Kundenbeziehung. Nutzt ein Kunde etwa bei Aral eine Payback-Karte, die dm ausgegeben hat, erhält der Kunde zwar ­Bonuspunkte, Aral aber kaum Informationen über die Identität des Kunden. Für Rewe war das ein offensichtliches Problem: 4,5 Millionen Karten hatten Rewe und Penny ausgegeben. Die übrigen Rewe-Kunden, die ihre Payback-Karte an der Kasse vorzeigten, blieben für die Kölner weitgehend anonym – und das waren viele: Branchenkenner gehen von 17 Millionen Payback-Karten-Nutzern bei Rewe und dem Discounter derselben Handelsgruppe aus.

Notlage genutzt?

So ähnlich geht es nun Edeka – weshalb die Kaufleute der Handelsgruppe möglichst viele Kunden überzeugen müssen, gewissermaßen über Edeka an Payback teilzunehmen. An anderer Stelle ist Payback für Edeka aber wohl günstiger für die Hamburger, als es das Vorteilsprogramm für Rewe war: Es sei sehr wahrscheinlich, dass Edeka die Notlage des Multi-Partner-Programms für sich nutzen konnte, um bestmögliche Konditionen auszuhandeln, sagt Experte Wuebben. Denn als Lionel Souque im Mai 2024 auf einer Tagung in Neuwied ankündigte, dass Rewe zukünftig ausschließlich auf die eigene App zur Kundenbindung setzen werde, steckten Payback und Edeka vermutlich noch tief in den Verhandlungen. „Die Lücke musste gefüllt werden“, sagt Wuebben. Lebensmittelhändler seien durch die hohe Einkaufsfrequenz sowie die vergleichsweise großen Warenkörbe für Datendrehscheiben wie Payback oder die Deutschland-Card immens wichtig. Das illustrieren die Schwierigkeiten der Deutschland-Card: Durch den Edeka-Ausstieg sah sich die Deutschland-Card gezwungen, ihr Geschäftsmodell zu ändern. Sehr verkürzt dargestellt: Die Nutzer sollen zukünftig Kassenbons einscannen und bekommen dafür Rabatte.

Klar ist: Die Partnerschaft mit Payback kostet auch Edeka viel – und zwar wohl deutlich mehr als die Zusammenarbeit mit den Deutschland-Card-Partnern. Edeka selbst will sich auf Anfrage dazu nicht äußern. „Durch Werbekostenzuschüsse können die Lebensmittelhersteller indirekt für die Mitgliedschaft zur Kasse gebeten werden“, gibt Wuebben zu bedenken. Edeka geht mit entsprechenden Forderungen gegenüber den Herstellern offenbar weit: Das Bundeskartellamt hat nach eigenen Angaben Untersuchungen wegen des Verdachts auf einen Verstoß gegen das sogenannte Anzapfverbot aufgenommen, welches es marktstarken Unternehmen verbietet, ihren Lieferanten ungerechtfertigte Vorteile abzuverlangen. Dabei gehe es auch um eine „Ausweitung der Rabattforderungen auf Handelsmarkenhersteller“, sagt ein Sprecher des Kartellamts.

Balkendiagramm: Payback ist das bekannteste und mit abstand am meisten genutzte Bonusprogramm in Deutschland

App laden, Geld kassieren

Rewe wiederum zahlt nicht mehr an Payback, hat nun aber den Aufwand, Millionen Payback-Nutzer von der eigenen App zu überzeugen. Ein Selbstläufer ist das nicht, wie Zahlen von Payback zeigen: Den 31 Millionen Payback-Plastikkarten stehen nur knapp 13 Millionen Payback-App-Nutzer gegenüber. „Am Ende des Tages bleibt die Frage: Wer lädt sich die App überhaupt runter?“, sagt Payback-Manager Wolfframm im Podcast. Rewe hat denn auch vorgebaut: Schon im Frühjahr 2023 startete die Gruppe erste Kampagnen für die eigene App. Es gab teilweise beachtliche Rabatte: App-Nutzer konnten beispielsweise bei einem Einkauf im Wert von 100 Euro 10 Euro sparen.

Die Rewe-Kundschaft nimmt die Umstellung denn auch vergleichsweise klaglos hin: Zwei Wochen nach der Veränderung ist auf Social-Media-Portalen hauptsächlich Positives über das neue Bonusprogramm der Kölner zu lesen. Erwartbare und eher leise Kritik gibt es beispielsweise dafür, dass es recht kompliziert ist, Payback-Punkte in das neue Bonussystem zu übertragen.

An Edekas Umstellung auf Payback gibt es etwas mehr Kritik – was an technischen Schwierigkeiten auf bestimmten Smartphones liegt, aber auch daran, dass sich manche Edeka-Kunden zu früh auf Payback gefreut haben: In sozialen Medien ist zum Thema geworden, dass die Regionalgesellschaft Edeka Hessenring nicht an Payback teilnimmt – wie sie auch nicht die Deutschland-Card akzeptierte. Auf der Plattform Change.org gibt es schon seit dem 20. November eine Petition, die sich dafür einsetzt, dass auch Hessenring Payback-Mitglied werden soll. Edeka Hartung aus der Nähe von Kassel, Teil der Regionalgesellschaft Hessenring, verteidigt die Entscheidung gegen den Payback-Einstieg auf Instagram: „Stattdessen konzentrieren wir uns auf unsere Stärken.“ Zum Beispiel gebe die Regionalgesellschaft anders als etwa Rewe nach wie vor einen Handzettel aus.

Was die Frage aufwirft: Brauchen Händler Vorteilsprogramme? Für sie spricht: Die Bonussysteme sind der vom Kunden akzeptierte Weg zu individualisierten Preisen. Das zeigen Studien seit fast einem Jahrzehnt. Und das wird immer bedeutsamer: Viele Händler sind dabei, bestehende Programme sowohl konzeptionell als auch technisch, zum Beispiel durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz, neu auszurichten. „Durch KI ist der Wert eigener Daten ins Unermessliche gestiegen“, sagt Wuebben. Es wird deshalb in Zukunft noch mehr Kundenbindungsprogramme geben, wie eine Studie des Handelsforschungsinstituts EHI zeigt: 65,5 Prozent der befragten Händler bieten demnach bereits ein Loyalty-Programm an, weitere 14,5 Prozent planen dessen Einführung (siehe Grafik).

Loyalty Programme

Etwa ein Fünftel der Befragten gibt an, dass ihr Handelsunternehmen bereits KI einsetzt, um die Kundenloyalität zu steigern. Mehr als die Hälfte berichtet, dass ihr Unternehmen dies für die Zukunft plant. Das EHI befragte 231 Entscheider aus 179 Handelsunternehmen im Herbst 2024. Dieselbe Studie zeigt, wie schwer es für Händler ist, Neukunden zu gewinnen. Der Edeka-Beitritt zu Payback ist daher für den Lebensmittelhändler wie für die übrigen Partner des Bonusprogramms eine womöglich einmalige Chance: Durch den Eintritt von Aral bei Payback – vor mehr als 15 Jahren – soll der Payback-Partner dm 7 Prozent und Aral selbst 12 Prozent Neukunden gewonnen haben.

Nur, was geschieht, wenn Edeka einmal alle wechselwilligen Payback-Fans für sich gewonnen hat? Überwiegen dann für die Hamburger die Vorteile eines eigenen Vorteilsprogramms? Michael Fischer, Manager bei dem Treueprogramm-Entwickler Knistr, hat dazu eine steile These: „Es ist eine Frage der Zeit, bis Edeka sich auch von Payback verabschieden und sich komplett auf die eigene App konzentrieren wird“, sagt er.

Edeka Hessenring macht nicht mit.

Wo die Edeka-Regionen Südwest und Hessenring im hessischen Wetteraukreis aneinandergrenzen, macht die LP-Redaktion den Payback-Test.

Im neuen Südwest-Markt der selbstständigen Kaufleute Habig in Büdingen ist „das beste Payback aller Zeiten“ in der Kassenzone ein Hingucker. Im LP-Ge­spräch freute sich Inhaber Jan Habig schon Anfang Dezember über den zu erwartenden Umsatzschub durch Payback in Ergänzung zur Edeka-App.

Rund zehn Kilometer nördlich liegt der Hessenring-Supermarkt von Jan Olbrich. Beim Vorlegen der Payback-Karte nach dem Einkauf verweist der Mitarbeiter auf ein Schild, das vorsorglich an der Kasse angebracht ist. „Wir sind kein teilnehmender Markt“ heißt es darauf.

Im rund zwölf Kilometer von Ortenberg entfernten Nieder-Mockstadt der nächste Versuch: Die junge Kassenaushilfe möchte die Payback-Karte scannen und sagt anschließend: „Die nimmt das System nicht an. Ich kann Ihnen da nicht helfen.“ Doch Kaufmann Mario Ascher ist glücklicherweise auf der Fläche zu finden. Annähernd jeder zweite Kunde frage nach Payback, bei der Deutschland-Card sei das nur jeder zehnte gewesen. Probleme habe er mit seiner Kundschaft aber nicht gehabt. Der Vorteil seiner Kunden sei im Vergleich zur Edeka-Südwest der Preis. Rund 5 Prozent sparten Hessenring-Kunden im Schnitt in dieser Region, wenn sie statt nach Büdingen ins nahe gelegene Ortenberg oder nach Nieder-Mockstadt führen. Da seien die Payback-Punkte doch aus Kundensicht verzichtbar. Ascher glaubt auch nicht, dass ihm Payback neue Kunden auf die Fläche oder zusätzliche Umsätze bringen würde. Er stehe voll hinter der Entscheidung seiner Edeka-Region Hessenring.

Bilder zum Artikel

Bild öffnen Edeka will Rewe-Payback-Kunden für 
sich gewinnen.
Bild öffnen Tschüss Payback! Rewe startet rein digitales Loyalty-Programm.
Bild öffnen Schon vor Weihnachten intensivierten viele Rewe-Händler die Werbemaßnahmen für die App.