Sehr viel mehr Demütigung kann ein Markenprodukt kaum erfahren: Die Aluminium-Pfanne des französischen Herstellers Tefal ist im Düsseldorfer Metro-Großmarkt geradezu zugestellt von Pfannen der Metro-Eigenmarke. Wer das Markenprodukt für 44,99 Euro kaufen möchte, ist gezwungen, sich über die Handelsmarke für 14,99 Euro zu beugen. Viele Kunden kommen offenbar nicht in die Verlegenheit: „Wenn die Preise so attraktiv sind, überlegen die Kunden nicht lange“, sagt Jens Bresler, der Vizechef von Metros Eigenmarkensparte.
In der Metro-Filiale in Laufweite zur Zentrale des Konzerns stechen Eigenmarkenprodukte an vielen Stellen hervor. Ob Food oder Nonfood: Metro rückt auf einmal die Produkte großer Markenhersteller zur Seite. A-Marken wirken bei den Düsseldorfern in manchen Kategorien momentan wie bloße Begleitmusik. B- und C-Marken werden es nach Angaben der Metro-Manager künftig gar nicht mehr in alter Breite ins Sortiment schaffen. Umso offensiver wirbt Metro für die Produkte mit eigenen Namen: Die Qualität der Metro-Eigenmarken orientiere sich am Originalprodukt, der Preis am Mee-too-Pendant, behaupten die Verantwortlichen des Unternehmens.
Metro richtet sich neu aus. Das Hochfahren des Eigenmarkenanteils ist eine Folge davon. Rund ein Jahr nach Amtsantritt von Steffen Greubel setzte sich der Konzern Anfang des Jahres 2022 mit der Strategie „Score“ ein Umsatzziel von 40 Milliarden Euro für 2030 – ausgehend von 30,5 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2022/2023. Vor allem der Ausbau des Belieferungsgeschäftes zulasten der stationären Flächen, die bereits deutlich geschrumpft sind, soll das möglich machen. Damit einher geht eine Fokussierung auf das Großkundengeschäft im Gastgewerbe. Im Foodservice ist Metro im Vergleich zum Wettbewerb ein Spätstarter.
Den zweiten wichtigen Wachstumsmotor sehen die Metro-Manager eben in den derzeit rund 6.500 Eigenmarkenprodukten. Neben „Premium“ („kulinarische Spezialitäten in High-End-Qualität“), „Professional“ (Nonfood) und der Preiseinstiegsmarke „Aro“ liegt der Schwerpunkt vor allem auf „Metro Chef“. Mit einem Umsatzanteil von 40 Prozent ist die Marke der mit Abstand wichtigste Name des einstigen globalen Retail-Krösus Metro.
Treue Markenkäufer zu Eigenmarkenfans zu machen – das geht bei Metro auch mit Überredungskunst: Die Kundschaft aus der Gastronomie bekommt immer öfter Besuch von Metro-Außendienstlern. Seit 2022 hat das Unternehmen die Vertriebsmannschaft um 2.000 auf 8.500 Außendienstler aufgestockt. Bis 2030 stehen 12.000 Metro-Vertriebler bei den Gastronomen auf der Matte – so die Planung in Düsseldorf. „Verkaufen und nicht bloß Bestellungen aufnehmen“, lautet die unmissverständliche Forderung von Vorstandschef Greubel, der einst bei der Vertriebsmaschine Würth gelernt hat, wie Verkauf zu gehen hat und Geld in die Kassen spült. Ein Mitarbeiter eines internationalen Kartoffelveredlers formuliert es im Gespräch mit der LP so: „Die Metro hat ihren Außendienst deutlich aufgestockt und die Vermarktung der Eigenmarke mittels hoher Provisionierung aus unserer Sicht aggressiv nach oben geschraubt.“
Alles auf die Gastronomie
Großhändler wie Metro sprechen drei Zielgruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen an. Das Segment Horeca (Hotels, Restaurants, Caterer) umfasst Gastronomiebetriebe, die bei dem Händler Waren einkaufen, um sie in ihren Küchen weiterzuverarbeiten. Sie verlangen Großpackungen und konstante Qualität – und sind in den vergangenen Jahren immer preissensibler geworden. Bei den Gastronomen hat Metro deshalb mit Eigenmarkenprodukten offensichtlich vergleichsweise gute Chancen – zum al die Artikel häufig das Kochen erleichtern: Angesichts der Personalnot in der Gastronomie sei die Nachfrage nach hochveredeltem Convenience-Food hoch, sagt etwa der Eigenmarkenexperte Kay Uplegger vom Beratungsunternehmen PLD Solutions.
Weitere Großmarkt-Adressaten sind Händler wie Kioske, Tankstellen und kleine, unabhängige Flächenbetreiber. Etwa in Osteuropa gibt es noch viele dieser Kleinst-Einheiten. Ihre Inhaber kaufen Produkte, um sie unverändert in kleineren Mengen weiterzuverkaufen. Eigenmarken funktionieren in diesem Segment weniger gut: Konsumenten suchen in Kiosken bekannte Marken, Snickers zum Beispiel. Für Unternehmen wie Metro sind diese Kleinsthändler noch aus einem weiteren Grund eine vergleichsweise unangenehme Kundschaft: Sie sind keine treuen Großhandelskunden. Sie kaufen dort, wo es am günstigsten ist.
Eine dritte Käufergruppe bezeichnen Großhändler als SCO: Services, Companies, Offices. Diese Gewerbetreibenden, Handwerker und Dienstleister kaufen eher endverbraucherorientiert ein und achten weniger auf Eigenmarken. Der Preis spielt für sie oft eine untergeordnete Rolle.
Metros Fokussierung auf die erste Gruppe – die Gastronomen – berge Risiken, warnen Branchenexperten. So könnte die Metro durch die Horeca-Konzentration den größeren und strategisch wichtigen Anteil der SCO-Kunden vernachlässigen. Diese machen nach Insiderschätzungen noch immer rund 50 Prozent des Umsatzes aus. Mit Rechtsanwälten, Ärzten oder Optikern sind auch deshalb höhere Margen möglich, weil sie in der Regel – anders als Großgastronomen – ihre Preise nicht individuell verhandeln. Das sei das deutlich profitablere Geschäft für Metro, sagt ein ehemaliger Manager des Konzerns im Gespräch mit der LP.
Ein weiterer Metro-Kenner weist darauf hin, dass Eigenmarkenartikel für Händler zwar „meist eine höhere prozentuale Gewinnspanne bieten“, in absoluten Zahlen mit den teureren Markenartikeln aber oft mehr zu verdienen sei. Die markentreuen SCO-Kunden seien auch deshalb eigentlich besonders interessant.
Tatsächlich zeigen die Zahlen des Metro-Konzerns: So richtig zündet „Score“ noch nicht. Im Geschäftsjahr 2023/2024, das im September zu Ende gegangen ist, steigerte Metro zwar den weltweiten Umsatz trotz ungünstiger Wechselkurseffekte um 1,6 Prozent auf 31 Milliarden Euro. Der Gewinn in Form des bereinigten Ergebnisses vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) aber werde „am unteren Ende des Prognosekorridors“ liegen, warnte Metro vor wenigen Tagen. Genaue Gewinnzahlen teilt das Unternehmen erst später mit, die Aussage deutet aber darauf hin, dass sich die Entwicklung aus den ersten drei Quartalen des Geschäftsjahres fortgesetzt hat. Das bereinigte Ebitda ging in dem Zeitraum um rund 100 Millionen Euro auf 805 Millionen Euro zurück. Mehr noch: In Deutschland hat Metros Umsatz mit einem Plus von 0,7 Prozent im vergangenen Geschäftsjahr praktisch stagniert – trotz Inflation. Metro selbst berichtet von „anhaltendem Gegenwind im Horeca-Sektor“.
Risiko Russland
Zwei Jahre nach der Corona-Pandemie kommt die Gastronomie in Deutschland nicht aus der Krise. Laut einer Umfrage des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga setzten die Hoteliers und Gastronomen im ersten Halbjahr 2024 trotz gestiegener Preise nominal knapp 11 Prozent weniger um als im Vorjahreszeitraum. Der Gewinn brach demnach sogar um 22 Prozent ein. „Trotz größter Anstrengungen wird es für unsere Betriebe immer schwerer, wirtschaftlich zu arbeiten“, sagt Verbands-Präsident Guido Zöllick. Laut einer kürzlich veröffentlichten DIHK-Konjunkturumfrage sorgen sich 29 Prozent der Unternehmen in der Gastronomie um ihre Liquidität.
Auch die besten Staffelpreise scheinen in dieser Lage den Absatz der hiesigen Metro-Häuser nicht ankurbeln zu können. Einige Mitarbeiter hierzulande fühlen sich offenbar auch durch häufige Wechsel auf den Chefposten des Konzerns ausgezehrt. Strategien seien nicht immer konsequent umgesetzt worden, berichtet ein Insider. Mitarbeiter hätten in der Vergangenheit zuweilen geglaubt, „dass der nächste Chef alles wieder ändern würde“.
Etwas anders ist die Lage im Ausland: Weltweit wächst der Außer-Haus-Konsum nach Aussagen des Metro-Chefs jährlich um 5 Prozent. Das bietet Chancen. Allerdings lauert für Metro im Auslandsgeschäft auch ein bedeutendes Risiko: Russland. Obwohl sich das politische und wirtschaftliche Wagnis in Putins Reich seit der Krim-Krise 2014 und dem Ukraine-Krieg erhöht hat, halten die Düsseldorfer wohl aus gutem Grund am einst florierenden Russlandgeschäft fest: Ein Zwangsverkauf nach Putins Gusto wäre offenbar finanziell problematisch.