In der Kaffeepause hallen die Worte von Edeka-Chef Markus Mosa nach. „Wir merken, dass wir als Lebensmittelhändler nur schwer mit den Drogeriefachmärkten konkurrieren können“, hat Mosa kurz zuvor bei der Tagung der mittelständischen Lebensmittel-Filialisten (MLF) recht beiläufig gesagt. Die Feststellung deckt sich mit den Beobachtungen vieler selbstständiger Händler – umso mehr ist sie Diskussionsstoff in der Münchner SAP-Arena: Im Geschäft mit Drogerieartikeln fühlen sich selbst erfolgsverwöhnte Supermarkt-Inhaber von den Drogisten uneinholbar abgehängt.
Und nun, so sehen es einige, greifen die vermeintlichen Spezialisten für Seife und Co. auch noch auf dem ureigensten Feld der Vollsortimenter an: Der Umsatzanteil der Drogerien am Geschäft mit Food- und Nearfood-Artikeln steigt – zwar langsam, aber messbar (siehe Grafik). Nicht ausgeschlossen, dass das erst ein Anfang ist – denn Lebensmittel nehmen in den Regalen der Drogerie-Filialisten zunehmend Raum ein.
Manche selbstständige Händler sehen sich gewissermaßen umzingelt: Zum einen haben sie in der Phase heftiger Inflation Marktanteile an Discounter verloren, zum anderen treten nun Drogerien zunehmend ernsthaft als Konkurrenten auf. „Wenn Kunden mit den Füßen abstimmen, ist es schwer, sie wieder zurückzugewinnen. Ich möchte keine Kunden mehr verlieren. Wir brauchen Lösungen aus der Zentrale“, beklagt ein Selbstständiger aus dem Edeka-Universum, der aber nicht mit seinem Namen zitiert werden möchte. Er fügt noch hinzu: „Wir brauchen am besten alle Marken zurück im Regal.“ Der Händler spielt auf die Preisstreitigkeiten mit Markenherstellern an, die zu Auslistungen geführt haben. Sie sehen auch andere Selbstständige mit einer gewissen Ambivalenz: einerseits als Ausdruck respekteinflößender Durchsetzungsstärke ihrer Zentralen, andererseits als Wettbewerbsnachteil.
Vorteil Eigenmarke
Das wiegt besonders schwer, wenn die Konkurrenz auf Angriff schaltet – wie es etwa Rossmann gerade tut: 20 Prozent Rabatt gewährt der Drogerie-Filialist im Oktober seinen Kunden auf fast alle Lebensmittel. Damit zeige Rossmann zum wiederholten Mal, dass das Unternehmen auch für Lebensmittel „attraktive Angebote“ mache, erklärt Rossmann auf Anfrage der LP die Aktion. Die Rabattaktion ist offensichtlich ein Lockmittel, um wechselwillige Konsumenten als Rossmann-Neukunden zu ködern.
Gut möglich, dass das vielfach gelingt. Konsumenten seien „dem Lebensmitteleinzelhandel gegenüber heute weniger loyal“, sagt Daniel Rexhausen, Senior Partner beim Beratungskonzern McKinsey. Zwar sei nicht zu erwarten, dass Verbraucher auf Besuche bei Lebensmittelhändlern verzichteten. Auch stehe die Zahl der Besuche kaum infrage. Die meisten Haushalte besuchten weiterhin beide stationären Handelskanäle, sagt Rexhausen. Aber es gehe um den „Share of Wallet“: um die Frage, wie viele Drogerieartikel ein Haushalt beim Lebensmittelhändler kaufe – und wie viele Lebensmittel in der Drogerie.
Bislang, das sagt auch der McKinsey-Experte, sei die Umsatzverschiebung in Richtung Drogerie gering. Allerdings haben die Drogisten dm, Rossmann und Müller nach Meinung von Rexhausen gute Voraussetzungen: „Drogeriemärkte haben sich bereits eine hohe Käuferreichweite erarbeitet. Frequenztreiber sind unter anderem Babyartikel bei Familien mit Kleinkindern sowie Kosmetik-Innovationen bei der Gen-Z.“
Und das zeigt sich eben in Zahlen. Während die Vollsortimenter beim Marktanteil im Geschäft mit Lebensmittel- und Nearfood-Artikeln auf der Stelle treten, gewinnen die Drogeriemärkte in kleinen Schritten stetig hinzu. Drogeriemärkte nehmen vor allem Bioprodukte, die als Profilierungs- und Margen-Artikel gelten, sowie Süßwaren, die eine starke Warengruppe darstellen und Impulskäufe generieren, in das Sortiment auf. Die nötige Stärke für die Expansion in neue Kategorien verschafft den Drogisten ihr Stammgeschäft: Der Umsatz mit Drogerieartikeln wächst relativ konstant und stabil, wie etwa der Consumer-Index der GfK-Marktforscher aus dem August zeigt. Zwischen Januar und August legten beispielsweise die Segmente Körperpflege und Kosmetik beim Umsatz um 6,8 Prozent zu. Die Warengruppe Drogerie bietet zudem gute Margen und ist vergleichsweise wenig volatil: Bei manchen Körperpflegeprodukten winken nach Auskünften aus der Branche Gewinnspannen von 30 bis 50 Prozent.
Der Lebensmitteleinzelhandel führt im Vergleich zu den Spezialisten gleichwohl nur ein Basis-Sortiment an Drogerieartikeln. Eben das gibt Drogerien Raum, Kunden an sich zu binden: Wer sich mit Kosmetik- oder Pflegeprodukten ausstatten will, ist beinahe gezwungen, eine Filiale der Spezialisten zu besuchen – und kommt damit zwangsläufig auch an deren raumgreifendem Lebensmittelsortiment vorbei.
McKinsey-Berater Rexhausen schließt aus den Marktdaten: „Lebensmitteleinzelhändler erzielen die stärkste loyale Kundenbindung dann, wenn sie ein gutes Preis- Leistungs-Verhältnis und eine hohe Eigenmarkenqualität aufweisen können.“ Und ausgerechnet auf diesem Feld sind Drogerien ausgesprochen erfolgreich: Ihre Eigenmarken gelten vielen Konsumenten als besonders hochwertig. Die Produkte mit den Namen der Drogeriefilialisten tragen nicht selten Siegel der Stiftung Warentest. Offensichtlich sehen Drogerien, ähnlich wie Lidl, große Bedeutung in den Siegeln, um schnell Renommee aufzubauen.
Balea von dm gilt in der Branche als Musterbeispiel: Die Marke binde Kunden und sei „längst dem Eigenmarkenstatus entwachsen“, sagt ein Kenner der Drogerieszene. Er sieht deshalb ein Versäumnis darin, dass etwa Edeka keine starke Eigenmarke für Körperpflege aufgebaut habe. Auch bei Rewe sei wenig Engagement zu sehen.
So legt dm auch immer wieder herausragende Zahlen vor: Der Marktführer wies für 2023 ein Umsatzwachstum von 14,8 Prozent auf rund 11,4 Milliarden Euro aus. Rossmann wuchs im selben Jahr immerhin um 10 Prozent – was Erlöse von 9,3 Milliarden Euro bedeutete. Beide Branchengrößen investieren und expandieren weiter: dm steckte im Geschäftsjahr 2023/2024 rund 170 Millionen Euro in sein deutsches Filialnetz, 40 neue Märkte sollen entstehen. Rossmann toppt das sogar: Mit einem Volumen von 230 Millionen Euro investiert das niedersächsische Unternehmen in die Erschließung von 75 neuen Standorten und die Generalüberholung bestehender Filialen.
„Der Branchen-Krösus konnte in Deutschland die Nummer eins werden, ohne je auf das Preismotiv zu setzen. Das ist wirklich bemerkenswert“, sagt Carsten Kortum, Professor an der Dualen Hochschule Heilbronn, über dm. Die Badener arbeiten mit einem Dauerpreis.
Ist das profitabel?
Rossmann sehen Experten kritischer. Dem Unternehmen gelinge es nicht, „die Filialumsätze seines wichtigsten Wettbewerbers mit seinem Kernsortiment zu erreichen“, sagt Handelsprofessor Thomas Roeb von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. „Stattdessen führt Rossmann immer mehr Randsortimente ein: Spielzeug, Wein, Non-Food-Aktionen.“ Auch die Rabattaktionen auf Lebensmittel sieht Roeb kritisch: Bei Lebensmitteln sei für Rossmann kein profitables Geschäft vor dem Hintergrund des eigenen Anspruchs auf Preisführerschaft vorstellbar. Roebs Heilbronner Kollege Kortum sagt es so: Über den Preis zu gehen, habe noch keiner Warengruppe langfristig geholfen.
Zu einem ernst zu nehmenderen Konkurrenten für den Lebensmittelhandel macht Rossmann die Preisaktion trotzdem. Ein Insider berichtet: Mit den Rabatten erziele Rossmann derzeit enormes Wachstum. Überhaupt seien die Drogerieketten vorbildlich darin, ihr Sortiment ständig anzupassen – zum Beispiel an die Bedürfnisse gesundheits- und schönheitsbewusster Kunden. „Sie bieten viele Bio- und vegane Produkte an, die bei den Kunden, die Wert auf Nachhaltigkeit und gesunde Ernährung legen, sehr gut ankommen. In den großen Vollsortimenten der Supermärkte gehen solche speziellen Artikel oft unter“, sagt der Kenner des Drogeriegeschäfts.
„Kunden wollen ungern in mehrere Läden gehen“, sagt Retail-Profiler Frank Lehmann, der lange Kaufland-Vorstandsvorsitzender war. Für Vollsortimenter ist das eine Chance: Um erfolgreich zu sein, müssen sie nach Meinung von Lehmann „die Kundenbindung in den Sortimenten stärken, die eigentlich die Fachmärkte anziehen“. Mehr Erfolg mit Drogerieartikeln würde Vollsortimentern nach der Logik helfen, die Lebensmittelumsätze zu sichern.
Die Drogerieketten schaffen es nach Ansicht von Experten, ihre Warengruppen optimal zu präsentieren und eine hohe Warenverfügbarkeit sicherzustellen, ohne sich durch hohe Preise selbst aus dem Markt zu drängen. Das gelinge den Vollsortimentern im Geschäft mit Fachmarktartikeln längst nicht immer – wenngleich etwa Kaufland mit ausgeklügeltem Preis-Marketing die dm-Preise abbildet und zum Beispiel Globus und Hit ihre Flächen für bestimmte Fachsegmente erweitert haben, wie es in der Branche heißt.
Edeka hat mit der norddeutschen Drogeriekette Budnikowsky vor Jahren eigentlich den idealen Partner gefunden. Die strategische Partnerschaft zwischen den Unternehmen wird nun auch durch ein Shop-in-Shop-Konzept sichtbar: Die Budni-Beautybox soll Edeka- und Marktkauf-Standorte aufwerten. Auf dass Edeka doch noch mit den Spezialisten konkurrieren kann.
3 Fragen an
Prof. Dr. Martin Fassnacht, Direktor des Lehrstuhls für Strategie und Marketing an der WHU – Otto Beisheim School of Management.
Rossmann greift nach Umsatzanteilen bei Lebensmitteln. Ist das eine sinnvolle Strategie?
Martin Fassnacht: Der Lebensmitteleinzelhandel ist stark umkämpft, besonders durch Discounter wie Aldi und Lidl sowie Supermärkte wie Rewe und Edeka. Mit Rabatten auf Lebensmittel könnte Rossmann in direkte Konkurrenz mit diesen etablierten Playern treten. Die Entscheidung, Lebensmittel stärker in den Fokus zu rücken, erweitert das Portfolio und eröffnet eine zusätzliche Einnahmequelle. Durch attraktive Angebote und Rabatte könnte Rossmann ein neues Kundensegment erschließen, muss sich jedoch auch auf Preisdruck und Margenverlust einstellen. Lebensmittelrabatte könnten das Image von Rossmann als günstigem Anbieter stärken – ein Vorteil in einem preissensiblen Markt.
Welche Kundenerwartungen bedient Rossmann, indem der Händler das Lebensmittelangebot erweitert?
Konsumenten erwarten zunehmend ein „One-StopShopping“-Erlebnis, bei dem sie eine Vielzahl von Produkten an einem Ort kaufen können. Wenn Rossmann Lebensmittel anbietet, insbesondere rabattierte Produkte, könnten Kunden ermutigt werden, häufiger den Drogeriemarkt aufzusuchen, was auch den Verkauf von Non-Food-Artikeln ankurbelt. Gleichzeitig könnte dies die Wahrnehmung von Rossmann als vielseitigem Einzelhändler stärken.
Von welcher Art Lebensmittel im Sortiment profitiert Rossmann am meisten?
Der Erfolg von dm könnte als Benchmark dienen. Durch die Fokussierung auf nicht verderbliche Lebensmittel, die länger haltbar sind und weniger logistischen Aufwand erfordern, könnte auch Rossmann von einer stabileren Kostenstruktur und geringeren Risiken profitieren. Nicht verderbliche Lebensmittel passen zudem gut zu Drogeriemärkten.