Riskante Täterjagd Händler zahlen mutigen Mitarbeitern Fangprämien – ist das vernünftig?

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Im Handel sind Geldzahlungen an Mitarbeiter, die unehrliche Kunden ertappen, offenbar keine Ausnahme. Profi-Ermittler warnen.

Freitag, 08. November 2024, 07:00 Uhr
Thomas Klaus
Ladendiebstahl: Gestellte Szene - Mann im Geschäft lässt etwas unter seinem Mantel verschwinden
Massenphänomen: Diebstahl beschäftigt den Handel. Bildquelle: Getty Images

Beim Kampf gegen Ladendiebstahl setzt Kriminaloberkommissar Carsten Vogt seit Jahrzehnten auf Prävention: Vorbeugende organisatorische, logistische und technische Maßnahmen sollen dafür sorgen, dass Langfinger erfolglos bleiben und diese am besten von Anfang an abgeschreckt sind. Sogenannte Fangprämien für Ladendetektive, die für jeden ertappten Dieb eine Geldspritze vorsehen, sieht der Leiter der Kriminalprävention in der Polizeiinspektion Oldenburg-Stadt/Ammerland kritisch.

Doch richtig bedenklich findet er ein Phänomen, das er immer häufiger im Handel einschließlich Lebensmitteleinzelhandel beobachtet. Die Rede ist von Fangprämien zugunsten von Verkäufern und Kassenkräften. Hintergrund könnte sein, dass die wachsamen Augen der – nicht ganz billigen – Ladendetektive ersetzt werden sollen. „Bei Fangprämien an Mitarbeiter“, warnt Carsten Vogt, „besteht die Gefahr, dass sie sich riskanten Situationen aussetzen, für die sie nicht geschult sind.“

Nach Informationen der Lebensmittel Praxis zahlt insbesondere Aldi Nord in relativ großem Umfang Fangprämien sowohl an Verkaufs- und Kassenpersonal als auch an Detektive. Der Discounter will das auf Anfrage der Lebensmittel Praxis weder bestätigen noch dementieren: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns zu unseren Sicherheitsmaßnahmen öffentlich nicht äußern.“

Hohe Gewaltbereitschaft

Eine Auswertung von Polizeiberichten, bei denen Ladendiebstähle in Gewalt mündeten, zeigt: Die Fälle, in denen Verkäufer oder Kassierer tätlich angegangen werden, sind keine Ausnahmen. Wann womöglich Fangprämien im Hintergrund eine Rolle gespielt haben, ist Spekulation.

Drei Beispiele aus diesem Jahr: Im Juni beobachtete eine Mitarbeiterin in einem Einkaufsmarkt in Jena-Ost, wie ein „Kunde“ Waren in einem mitgebrachten Rucksack verstaute. Sie sprach ihn an und er reagierte mit Schlägen. Im August griff ein Mann in einem Markt in Nordhausen in einen Warenaufsteller und bediente sich an den Auslagen. Als sich ihm eine Mitar­beiterin in den Weg stellte, attackierte der Täter die Frau und flüchtete. Und im Oktober erwies sich ein ertappter Ladendieb in einem Mannheimer Supermarkt als rabiat. Die Filialleiterin hielt ihn an der Kapuze seines Pullovers fest. Der Dieb konterte mit geballten Faustschlägen gegen die Oberlippe der Frau.

„Zu sehr“ motivierte Mitarbeiter drohen

Fangprämien an Handelsmitarbeiter, wie von Kriminaloberkommissar Vogt kritisiert – sie sind auch Matthias Dreiucker wohlbekannt: „Es gibt zum Beispiel Verkaufspersonal, das in seiner Pause vor den Monitoren oder an bestimmten Positionen sitzt, damit es unter Umständen Kunden beim Diebstahl beobachten kann.“ Der Inhaber des DSD-Sicherheitsdienstes im niedersächsischen Neuenkirchen leitet die Sektion Kaufhausdetektive im Bundesverband des Detektiv- und Ermittlungsgewerbes (BUDEG). Auf Wunsch der Lebensmittel Praxis hörte er sich bei BUDEG-Mitgliedern um. Die bestätigen ebenfalls, dass Fangprämien an Mitarbeiter nicht selten vorkommen.
Für Dreiucker und seine Kollegen steht fest: Fangprämien sind ein absolutes No-Go. Mitarbeiter könnten „zu sehr motiviert“ sein, als unausgebildete „Hobby-Detektive“ die Straftäter falsch ansprechen, die Eigensicherung vernachlässigen. Außerdem seien sie in der Regel über die rechtlichen Bedingungen beim Festsetzen eines Ladendiebes nicht ausreichend informiert. Matthias Dreiucker nennt Fragen wie zum Beispiel: Wann darf ich eine vorläufige Festnahme aussprechen und was hat die für Konsequenzen? Wann darf ich den Täter stellen: an der Tür oder noch auf dem Parkplatz? Wie gehe ich mit Personen unter 14 oder bis 18 Jahren, also Kindern und Jugendlichen um?

Der BUDEG lehnt übrigens nicht nur Fangprämien für Mitarbeiter ab, sondern ebenfalls die wahrscheinlich erheblich weiterverbreiteten Zahlungen an Ladendetektive. Matthias Dreiucker argumentiert: „Die Detektive bekommen einen Stundenlohn und sollen nicht auch noch eine Erfolgsprämie erhalten. Diese würde über lange Sicht nur zu Unregelmäßigkeiten führen.“ Es sei nicht auszuschließen, dass Detektive aus Prämiengier womöglich den Kunden Artikel in die Tasche steckten. Ebenso wenig ausgeschlossen: Auch Handelsmitarbeiter könnten sich zu solchen Handlungen verführen lassen. Der Appell des BUDEG-Sektionsleiters: „Händlern darf es nicht um Fangprämien und Quoten gehen, sondern nur um das Reduzieren der Inventurdifferenz durch Prävention.“

Fangprämien für Personal sind verantwortungslos

Ein Kommentar von Thomas Klaus

Wer allen Ernstes Menschen ohne entsprechende Ausbildung und Schulung zur Auseinandersetzung mit Ladendieben verleitet, indem er sie finanziell belohnt ­– der handelt im besten Fall fahrlässig und im schlechtesten Fall verantwortungslos. Verkäufer und Kassenkräfte sollten darüber aufgeklärt werden, wie sie Ladendiebstähle verhindern oder richtig mit erwischten Tätern umgehen. Aber sie durch sogenannte Fangprämien in potenziell riskante Situationen zu bringen, hat mit der Fürsorgepflicht der Arbeitgeber nichts mehr zu tun.

Vielleicht ließe sich über Fangprämien für Mitarbeiter noch eher hinwegsehen, wenn sich inzwischen nicht so viel Negatives bei den Tätern getan hätte. Die aktuellen Kriminalstatistiken bestätigen eine deutliche Zunahme von Diebstählen durch gut organisierte und professionelle Tätergruppen.

Täter mit wenig Rücksicht

Diese Banden wählen gezielt hochwertige Waren aus und stehlen sie in großem Maßstab. Für die Einzelhändler geht es um erhebliche finanzielle Verluste und für die Täter um die Aussicht auf schnelles, nicht zu knappes Geld. Auf Verkäufer nehmen sie wenig Rücksicht.

Zur Prävention und Gefahrenabwehr ist technisch, organisatorisch und logistisch einiges möglich. Händler können hier wohl noch aufholen, sagen Experten. Doch Fangprämien passen in kein vernünftiges Konzept gegen Ladendiebstahl.

Thomas Klaus ist LP-Redakteur. 
Er weiß von Ladendetektiven, die aus Angst um ihre Gesundheit bei professionellen Tätergruppen lieber wegsehen als einzuschreiten. Er findet: eine Entwicklung, die große Sorgen machen muss.