Social Media „Permanente Testphase“

Das soziale Netzwerk gewinnt für Handel und Industrie als interaktives Medium stark an Bedeutung. Professionell gestaltet, kann der eigene Auftritt auf Facebook & Co. von hohem Nutzen für ein Unternehmen sein. Derzeit stecken viele aber noch im Experimentierstadium .

Donnerstag, 17. November 2011 - Management
Brigitte Oltmanns
Artikelbild „Permanente Testphase“
Themen der Verbraucher
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dm weiß derzeit bei Facebook 350.000 Fans hinter sich, Rossmann 50.000, Schlecker gerade mal 2.000. Wirtschaftlich gesehen sind diese Zahlen nicht relevant, sagen aber einiges über Bekanntheit und Ansehen einer Marke aus. Gerade in den vergangenen beiden Jahren ist ein echter Hype um Facebook, Twitter & Co. entstanden. Zufriedenheit mit Einkaufsstätten, Produkten, Serviceleistungen, Einstellungen zu aktuellen Verbraucherthemen wie Regionalität, Nachhaltigkeit, sozialem Engagement von Unternehmen oder auch Lebensmittelskandale: Alles kommt bei den sozialen Medien „auf den Tisch“ und wird von der Community engagiert und schonungslos diskutiert. Immer mehr „Zaungäste“ aus Handel und Industrie wittern darin eine Riesenchance – und werden in der Folge zu aktiven Gestaltern, die sich mit einem eigenständigen Auftritt in diesen Portalen präsentieren.

Konsumenten zu Fans machen – wer will das nicht? „Bloß nicht zu spät auf den Zug aufspringen und den Anschluss verpassen“, sagen sich offenbar auch immer mehr Mittelständler. Schließlich will man sich als modernes, innovatives und natürlich kundenorientiertes Unternehmen im Wettbewerb positionieren. „Facebook bedeutet aus Sicht der Zielgruppe zwischen 18 und 35 Jahren eine junge Imagefacette, die einem verbrauchernahen Getränkefachmarktfilialisten wie Dursty sehr gut und glaubwürdig zu Gesicht steht“, sagt beispielsweise Geschäftsführer Rüdiger Berk. Seit rund sechs Monaten ist das Hagener Unternehmen dort aktiv und rundet damit die Verjüngung des Marktauftritts ab. „Ich finde das Engagement im Social Web sehr wichtig“, betont auch Susanne Ponick, Marketingleiterin Apetito Retail, „diese Kanäle eignen sich gut, um Kunden an unsere Marke zu binden.“ Rügenwalder hat es laut Godo Röben, Geschäftsleiter bei der Rügenwalder Mühle, mit s einen Aktivitäten auf Facebook geschafft, „innerhalb kürzester Zeit von einem ‚unbeschriebenen Blatt’ zu einem erfolgreichen Beispiel im Bereich Social Media zu werden“, das sich mit mehr als 26.000 Fans deutlich von den Wettbewerbern absetze. Tiernahrungsexperte Fressnapf „übte“ den Online-Dialog mit Kunden zunächst auf der eigenen Community-Plattform und ist bei Facebook ganz frisch dabei. „Wir haben den Start sorgsam geplant, die nötigen Infrastrukturen und Ressourcen geschaffen, um von Beginn an im Social Web so aufzutreten, wie die User es von uns erwarten“, sagt Daniel Euler, Ressortleiter Marketing.

Sorgfältige Planung und Vorbereitung

Branchengrößen, darunter der Nestlé-Konzern, Coca-Cola, Dr. Oetker oder handelsseitig Rewe, Real oder dm sind im sozialen Netzwerk bereits gut organisiert unterwegs – mit entsprechender Manpower und interdisziplinärer Zusammenarbeit verschiedener Abteilungen. „Facebook als weltweit größte und Schüler-VZ als stärkste deutsche Community zählen zu den Online-Medien mit den meisten Seitenaufrufen, den aktivsten Mitgliedern aus allen Altersgruppen und der größten Reichweite. Reichweitenbezogen schlagen die großen Social-Media-Kanäle Print, TV und Hörfunk um Längen“, begründet Thomas Bonrath, Unternehmenssprecher Vollsortiment Vertrieb bei der Rewe Group, beispielsweise die Entscheidung, sich hier zu vernetzen. Bei Rewe konzentrieren sich die Aktivitäten auf die Interaktion mit Fans/Kunden mit den Schwerpunkten Service und Feedback. Intensive direkte Kommunikation macht Rewe aus Unternehmenssicht „als Marke bekannter, zahlt positiv auf das Image e in und erhöht die Kundenbindung – alles wichtige Zielsetzungen des Marketings.“ Das Feedback bei Facebook sei ehrlich und komme unmittelbar, es zeichne ein gutes Stimmungs- und Spiegelbild. „Geäußert werden unter anderem Ärgernisse im Markt und Wünsche nach bestimmten Artikeln wie auch Verbesserungsvorschläge – alles wertvolle und wichtige Hinweise zum Nutzen von Rewe.“

„Social-Media-Nutzer wollen vor allem Benefits, wenn sie mit Marken und Unternehmen interagieren“, weiß Hermin Charlotte Bartelheimer, Senior Manager Digital Engagement bei Coca-Cola Deutschland. Darauf hat das Unternehmen seine Strategie ausgerichtet und bedient die Fans mit exklusiven Informationen und News, Emotion und Dialog sowie speziellen Angeboten. Zur Strategie gehört im Konzern die enge Verzahnung aller Offline- und Online-Kommunikationsmaßnahmen, und mit dem Erfolg ist man mehr als zufrieden. „Wir gewinnen täglich Fans hinzu, und auch der Dialog mit den Usern hat quantitativ und qualitativ zugenommen.“

„In der Möglichkeit, Impulse aus unserer Kundschaft aufzunehmen, liegt für uns ein wesentlicher Wert von Facebook“, sagt dm-Chef Erich Harsch. Die Möglichkeit zur Interaktion werde von Tausenden von Fans genutzt, etwa bei der Mitgestaltung von Eigenmarken, so gerade geschehen beim Dusch-Saisonprodukt „Balea-Eisschimmer“. Die SB-Warenhauskette Real hat ihre Facebook-Fans kürzlich abstimmen lassen, welche Real-Quality-Eissorte 2012 ins Sortiment aufgenommen werden soll. Und öffnet ihr neues Eigenmarken-Bewertungsportal auch Verbrauchern, die nicht der Facebook-Community angehören.


Professionalität und Strategie

Marketing und Imagepflege rangieren an erster Stelle, wenn es um die Unternehmensaktivitäten von Handel und Herstellern geht. Viele tasten sich allerdings noch vorsichtig heran, häufig nach dem Prinzip„ trial and error“ (Versuch und Irrtum): „Wir befinden uns derzeit in einer permanenten Testphase“, bringt es Dursty-Chef Rüdiger Berk auf den Punkt. „Wir wollen einfach wissen: ’Was bewegt die Menschen, die bei Facebook zu Dursty kommen? Was hat für die User Relevanz?’ Social Media ist derzeit im Unternehmen allenfalls eine mediale Ergänzung und ein kleines Pflänzchen, was gehegt und gepflegt werden muss.“

Das ist jedoch nicht nur bei Dursty so – und deshalb fordern auch die Experten auf diesem Gebiet mehr Professionalität und mehr Planung: Viele Unternehmen experimentierten mit unterschiedlichen Plattformen und ohne konkrete Zielsetzungen, beschreibt beispielsweise Dr. Kai Hudetz vom Bitkom-Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien den Status quo. Er vermisst bei mehr als der Hälfte der deutschen Unternehmen eine Social-Media-Strategie. Und eine Handels-Studie (siehe S. 13) belegt: Es mangelt an Strategien und Aktivitäten, Fanzahlen, tatsächlich erzieltem Nutzen, Personalkapazitäten – und es wird viel Potenzial beim Umgang mit dem Medium verschenkt. Auch wenn der Hype um Facebook & Co. anderes suggeriert: Laut Studie ist 2010 erst jedes fünfte Handelsunternehmen in den sozialen Medien aktiv gewesen. Allerdings ist die große Mehrheit der befragten Händler überzeugt, dass Social Media weiter an Bedeutung gewinnen werden. 8 5 Prozent wollen ihre Budgets dafür entsprechend aufstocken.

Aus Sicht von Edeka-Einzelhändler Sven Komp, selbst seit Mitte 2010 auf Facebook präsent, sollte man den Nutzen dieser Plattformen jedoch nicht überschätzen. Er sieht darin vorrangig eine One-way-Kommunikation und will so besorgte Kollegen beruhigen, die fürchten, mit Anfragen bombardiert zu werden und zusätzliches Personal dafür einstellen zu müssen. „Da wird viel übertrieben. Nach meinen Erfahrungen gibt es kaum Anfragen, nur überwiegend positive Kommentare; diese Reaktionen lassen sich auch über den entsprechenden Content steuern.“ Die derzeit 600 Fans der Edeka-Märkte Komp betreut er ohne großen Aufwand selbst. Ein weiteres Motiv, sich bislang nicht aktiv in den Dialog auf Facebook & Co. einzuklicken, ist bei vielen Händlern und Herstellern die Angst vor Kontrollverlust – zum Beispiel vor negativen Kommentaren, die sich in Lichtgeschwindigkeit im Netz verbreiten und dem Ruf des Unternehmens schaden könnten. Erfahrenere Social-Media-Prakt iker wie dm-Chef Erich Harsch winken hier allerdings ab: „Gerade in Facebook beobachten wir, dass andere Kunden sich bei kritischen Einträgen aktiv in den Dialog einschalten. Sie korrigieren einseitige oder unbedachte Äußerungen und tragen dadurch zu einer offenen, sachlichen Atmosphäre bei.“ Auf genau diese positiven Erfahrungen und regulierende Wirkung der Facebook-Community verweist auch der Real-Projektverantwortliche Philipp Blome.?

Nachgefragt

Welche Marketingziele verfolgen Sie mit Ihren Social-Media-Aktivitäten? Welchen konkreten Nutzen ziehen Sie aus dem Dialog mit den Kunden?

{tab=P. Blome}

Wir haben im Januar 2011 unseren Facebook-Auftritt gestartet und zählen aktuell mehr als 60.000 Fans. Damit sind wir sehr zufrieden. Wir schätzen das schnelle und direkte Feedback von den Kunden und reagieren ebenso: Innerhalb von zwei Stunden muss jeder Post von uns beantwortet werden. Wir signalisieren dem Kunden so: „Wir kümmern uns!“ Die Kunden reagieren sehr positiv auf unsere Problemlösungen, und wir erreichen eine hohe Multiplikation durch andere Facebook-Nutzer. Dies ist viel glaubwürdiger als wenn wir das selbst machen würden. Wir nutzen unsere Aktivitäten bei Facebook auch zur Imagebildung, um durch attraktive „Mitmach-Aktionen“ wie den Murmel-Creator mehr Traffic auf unsere Homepage und unseren Online-Shop zu lenken. Auf einem neuen Bewertungsportal unter www.real.de können Kunden zudem unsere Eigenmarkenlinien bewerten. Diese Angebote werden intensiv genutzt.
Philipp Blome, Hauptabteilungsleiter Neue Medien, Real

{tab=D. Euler}

Wir wollen in unserer Community Tierfreunde treffen und mit ihnen über Themen rund um ihr Tier diskutieren. Angereichert werden diese Diskussionen durch nützliche Ratgeberbeiträge und interessanten Content zum Thema. Wir zeigen spätestens dort, dass wir mehr sind als nur ein Handelsunternehmen: Wir sind alle Tierfans und wollen unsere Tierliebe und unser Know-how mit unseren Kunden teilen. Wir haben 260.000 Mitglieder und sind in offenem und regen Kontakt mit ihnen. Die eigene Community als Diskussionsplattform bietet bessere Möglichkeiten zum Austausch der Mitglieder untereinander. Seit einem Monat ist das Unternehmen auch bei Facebook präsent; wir betreiben beide Portale parallel. Mit Facebook machen wir interessante Themen bekannt und treten als Unternehmen intensiv mit den Fans in Kontakt. Beide Plattformen befruchten sich nach unserer Überzeugung gegenseitig.
Daniel Euler, Ressortleiter Marketing, Fressnapf

{tab=S. Komp}

Social-Media-Aktivitäten sind für uns vor allem eine Imagegeschichte. Wir nutzen unsere Präsenz auf Facebook seit gut einem Jahr, um unsere Freunde über das Unternehmen zu informieren, sie durch verschiedene Angebote, Gewinnspiele, neue Sortimente an uns zu binden und weitere Freunde zu gewinnen. Wir stellen unsere Mitarbeiter und Azubis, ihre Aufgaben und Erfolge vor, und versuchen darüber, das Unternehmen als sympathischen und innovativen Arbeitgeber darzustellen und neue Mitarbeiter zu gewinnen. Der Facebook-Auftritt ist ein Puzzle-Teil in unserem Gesamtauftritt als modernes Unternehmen, er fließt in alle möglichen Aktivitäten mit ein. Unser Fankreis wächst langsam, aber stetig. Unsere bisherigen Erfahrungen: Besonders soziale Themen und neue Sortimente bekommen ein positives Feedback. Bei Beschwerden pflegen Kunden den Kontakt aber nur via E-Mail.
Sven Komp, selbständiger Einzelhändler Edeka-Komp, Wesel

{tab=Literatur}

Leitfaden für Unternehmen: Der Umgang mit Facebook & Co. will gelernt sein und gut vorbereitet werden. Wer seinen Einstieg ins soziale Netzwerk strategisch planen will, dem sei hier der Leitfaden Social Media vom Bitkom empfohlen: Er informiert über Ziele, Organisation, Inhalte, Medienmix, Aufwand, Regelwerk für die Kommunikation (für die Mitarbeiter) und andere Aspekte. Schritt für Schritt legt er die einzelnen Aspekte, die für ein Engagement in Social Media wichtig sind, dar, und enthält zahlreiche Best Practices wie auch eine praktische Checkliste. Der Download ist kostenlos.
www.bitkom.org

{tab=Studie}

Social Media-Marketing: Wunsch und Wirklichkeit
Laut einer ECC-Studie nutzten im vergangenen Jahr 21 Prozent der befragten kleineren und mittleren Handelsunternehmen Social-Media-Anwendungen. Mehr als 70 Prozent dieser Unternehmen sind in sozialen Netzwerken wie Facebook aktiv. Bei den Zielsetzungen stehen Imageverbesserung, Erhöhung der Kundenbindung und Interaktion mit den Kunden ganz oben auf der Wunschliste. Die Mehrzahl der Befragten gibt jedoch an, dass gerade das besonders häufig genannte Ziel der Neukundengewinnung bislang nur unzureichend erreicht wird. Fast jedes zweite Unternehmen zählt weniger als 1.000 Fans, nur gut 10 Prozent kommen auf 10.000 Facebook-Fans. Nach Einschätzung von 85 Prozent der befragten Handelsunternehmen sind Social-Media-Aktivitäten eindeutig im Kommen. Vier von fünf Unternehmen sind bereit, ihre Budgets dafür aufzustocken. Mangelnde Ressourcen an Personal und fehlende freie Kapazitäten machen es derzeit vielen Händlern jedoch noch nicht möglich, Social-Media-Marketing ernsthaft zu betreiben. 28 Prozent wissen gar nicht, welche Möglichkeiten ihnen Social-Media-Marketing überhaupt bieten kann. Auch über die damit verbundenen Datenschutzrisiken ist sich jeder vierte Befragte der Studie zufolge nicht im Klaren.
Quelle: „Internet im Handel 2010“: Studie des E-Commerce-Center Handel am IfH Institut für Handelsforschung, Köln

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