Nachhaltigkeit versus Preis Den Deutschen ist nicht mehr danach, die Welt zu retten

Top-Thema

Nachhaltig denken und nachhaltig einkaufen? 2024 macht hier der Preis das Rennen. Das zeigt eine Studie der DHBW Heilbronn. Warum es gerade jetzt darauf ankommt, „grüne“ Sortimente zu pflegen.

Donnerstag, 03. Oktober 2024, 08:00 Uhr
Susanne Klopsch
Label machen nachhaltige Produkte sichtbar und liefern Kunden Orientierung. Bildquelle: Santiago Engelhardt

Für Nachhaltigkeit auf eigenen Wohlstand verzichten? Nein sagen hierzu fast 70 Prozent der für eine Studie der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Heilbronn Befragten. Die Studie „Attitude-Behavior-Gap im LEH“ wird herausgegeben von Prof. Dr. Ludwig Hierl, Prof. Dr. Oliver Janz und Prof. Dr. Stephan Rüschen. Die jetzt vorgestellte Untersuchung ist die vierte, die erste erschien 2021. Sie zeigt in insgesamt 13 Bereichen auf, wie weit Einstellung (engl. Attitude) und tatsächli­ches Verhalten (engl. Behavior) der Konsumenten beim Einkauf in Sachen Nachhaltigkeit auseinan­dergehen.

Der Ukraine-Krieg und die daraus resultierende Inflation haben im Konsumverhalten der Menschen, aber auch ihrer Einstellung, tiefe Spuren hinter­lassen. „Die Zustimmung, für Nachhaltigkeit auf Wohlstand zu verzichten, ist überraschend stark gesunken“, sagt Stephan Rüschen mit Blick auf die Zustimmungsquote von 30,6 Prozent. Konsumenten verspürten zunehmend eine persönliche wirtschaft­liche Unsicherheit, blieben sehr preissensibel. Eine Konsequenz für den Wissenschaftler: Nachhaltige Produkte sind nicht geeignet, um Marge zu machen.

Für die Studie wurden im August online jeweils mehr als 1.000 Bundesbürger zu Attitude sowie Behavior befragt. In der ersten Studie 2021 wurden zudem Experteninterviews mit 14 Vertretern der Lebensmittelbranche geführt. Die daraus entstan­denen zehn Handlungsempfehlungen sind 2024 aktualisiert worden.

Statistisch gesehen hat sich die Lücke zwischen Einstellung und Einkaufsverhalten mit einem Durchschnittswert von -9 nicht signifikant verändert (siehe Grafik).

Nachhaltiger Einkauf

Insgesamt ist aber zu sehen, dass nachhaltige Kriterien über die Jahre immer seltener für Entscheidungen am Regal und an der Bedientheke relevant sind. Die drei wichtigsten Erkenntnisse für den Handel aus der Befragung? „Vermeidung von Lebensmittelverschwendung, Regionalität und Tierschutz beziehungsweise Tierwohl sind die für die Kunden wichtigsten Kriterien der Nachhaltigkeit“, sagt Rüschen. Am weitesten klaffen Einstel­lung und Tun auseinander bei den Themen faire Lohn- und Arbeitsbedingungen, transparente Informationen sowie dem verantwortungsvollen Handeln der Hersteller. Nicht relevant ist zudem das Thema CO2 für den Kunden. Rüschen greift daher eine der Handlungsempfehlungen auf: „Handel und Hersteller sollten in einer gemeinsamen Initiative ein CO2-Kennzeichen für Lebensmittel konzipieren und umsetzen.“

„Der Gedanke an Nachhaltigkeit beeinflusst mein Ernährungs- und Kaufverhalten“: Diesem Satz stimmten 2024 noch 39,3 Prozent der Befragten zu. Der Wert sank seit 2021 (43,2 Prozent) kontinuier­lich. Zurückgegangen ist auch der Anteil derer, die die angestammte Einkaufsstätte wechseln würden, wenn eine andere ein größeres nachhaltiges Sortiment biete: 2024 galt dies für 33,5 Prozent, ein Jahr zuvor waren es noch 39,7 Prozent. Diese Kundengruppe nimmt Wissenschaftler Stephan Rüschen strategisch in den Blick: „Es gibt Kunden, die nachhaltig orientiert einkaufen und auch die Bereit­schaft haben, dafür die Einkaufsstätte zu wechseln. Daher sind der Aufbau und die Pflege eines Nachhaltigkeitsimages dauerhaft relevant. Nachhaltiges Einkaufen ist kein Selbstläufer.“ Allerdings muss dies tatsächlich „im Einklang mit einem zur Positionierung des Händlers passenden Preisimage sein.“ Das scheine ein Spagat zu sein, „aber die Kunden machen diesen Spagat bei ihren Einkäufen letztendlich auch“.

Die Top 3 der Handlungsempfehlungen:

  • Nachhaltigkeit muss in Unternehmen eine Grundhaltung, ein Bestandteil des Purpose sein und nicht an die Nachhaltigkeitsabteilung delegiert werden.
  • Die Branche braucht ein einheitliches Verständnis und eine einheitliche Definition von Klimaneutralität.
  • Es fehlt ein branchenübergreifender, umfassender Nachhaltigkeits-Score für alle Produkte.

Einkaufskriterien