Herr Fuchs, der Handel hat überall mit Personalmangel zu kämpfen. Wie beeinflusst das Ihre Food Akademie?
Nun, einerseits positiv, weil der Lebensmitteleinzelhandel erkannt hat, dass er Nachwuchskräfte nur dann gewinnen kann, wenn er ihnen attraktive Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten bietet. Das tun wir mit unserem Abiturientenprogramm Handelsfachwirt. Andererseits sehen wir in unseren Fortbildungen, dass es den Handelsunternehmen sehr schwerfällt, ihre Mitarbeiter zu Seminaren zu schicken. Da gibt es dann schon mal die eine oder andere Ausrede, warum ein Teilnehmer nicht erscheinen kann.
Enorme Schwierigkeiten hat der Handel im Bereich Nachwuchsgewinnung. Das schlägt sich bei Ihnen doch direkt nieder?
Ja, das merken wir deutlich. Teilweise erreichen die Handelsunternehmen die gewünschten Teilnehmerzahlen nur schwer.
Die Corona-Pandemie hat das Leben vieler Jugendlichen stark beeinträchtigt. Spüren Sie und Ihre Dozenten noch die Nachwehen des schulischen Lockdowns?
Im positiven Sinne. Was wir während der Pandemie schnell einführen mussten – virtuelles Lernen, virtuelle Klassenzimmer, synchrones und asynchrones Lernen – ist mittlerweile Standard geworden. Das, was wir in Coronazeiten umgesetzt haben, wird jetzt erfolgreich von den Teilnehmern und unseren Dozenten genutzt. Darüber sind wir sehr glücklich.
Was genau verstehen Sie unter synchronem und asynchronem Lernen?
Blended Learning oder asynchrones Lernen bedeutet, dass die Teilnehmer sowohl im Präsenzunterricht als auch online lernen. Im Klassenzimmer werden Inhalte vermittelt, es gibt Gruppenarbeit und soziales Lernen. Gleichzeitig arbeiten die Teilnehmer eigenständig mit Online-Medien für Klausuren und Prüfungen. Synchroner Online-Unterricht ist im Grunde ein Videocall, bei dem das Klassenzimmer ins Internet verlegt wird. Mit Kamera und Gruppenarbeit ist alles möglich, was man auch aus dem Präsenzunterricht kennt.
Schule hat einen Bildungsauftrag und soll die Schüler auch erziehen. Was ist aus den Tugenden geworden, die man früher einem guten Kaufmann zugeschrieben hat?
Ich denke, diese Tugenden sind nach wie vor wichtig. Dazu gehören Eigenmotivation, die Bereitschaft, mehr zu leisten als andere, und Verlässlichkeit. Pünktlichkeit, Freundlichkeit und Eigenverantwortung sind ebenfalls entscheidend. Diese Eigenschaften eines erfolgreichen Kaufmanns haben weiterhin Bestand.
Heute spricht man ja eher von Skills als von Tugenden. Welche Fähigkeiten muss sich denn ein junger Kaufmann oder eine junge Kauffrau Ihrer Meinung nach aneignen?
Es geht vor allem darum, Zahlen zu verstehen und Menschen zu führen. Und natürlich auch darum, über den Tellerrand hinauszuschauen und weiter zu denken als nur bis zur eigenen Ladentür.
Was muss ein junger Händler grundsätzlich lernen, um morgen im Wettbewerb bestehen zu können?
Er muss natürlich die klassischen betriebswirtschaftlichen Grundlagen beherrschen. Aber er sollte auch ein Netzwerk aufbauen, in dem er mit vielen externen Dienstleistern zusammenarbeitet. Für mich ist der Kaufmann wie eine Spinne im Netz, die viele unterschiedliche Menschen im Sinne des Unternehmens zusammenbringt.
Mit welchen Dienstleistern sollte der Kaufmann zusammenarbeiten?
Zum einen arbeitet er natürlich mit der Großhandlung zusammen. Aber auch mit Dienstleistern wie Steuerberatern und Logistikunternehmen. Und nicht zu vergessen: die IT. Die Schnittstellen in seinem Markt werden immer zahlreicher. Da kommt schon einiges auf ihn zu.
IT ist ein gutes Stichwort. Sie arbeiten mit jungen Menschen, die mit dem Handy in der Hand aufgewachsen sind. Würden Sie sagen, dass sie dadurch heute technikaffin sind?
Vielleicht sogar eher das Gegenteil. Sie sind zwar handyaffin und erwarten eine sehr einfache, intuitive Benutzeroberfläche. Wenn sie ein Problem haben, möchten sie es ins Handy sprechen und sofort eine Antwort bekommen. Wir merken, dass unsere Studenten nicht unbedingt Excel oder Office-Pakete beherrschen, geschweige denn Programmierung. Auch bei der Recherche von Informationen aus dem Internet tun sie sich schwer.
Kommen wir zurück zur Frage wie Sie an der Akademie Wissen vermitteln: Wie wichtig ist Präsenzunterricht?
Extrem wichtig. Während der Corona-Zeit dachten wir, dass Präsenzunterricht keine Rolle mehr spielen würde. Aber das Gegenteil ist der Fall. Klassen, die viel Online-Unterricht und selbstständiges Lernen hatten, kehren zurück zum Präsenzunterricht. Sowohl die Unternehmen als auch die Studenten bevorzugen es, von einem Dozenten geführt zu werden und gut auf die Prüfungen vorbereitet zu sein.
Präsenzunterricht fördert auch soziale Kontakte. Hier in Neuwied entstehen viele Beziehungen, aus denen später sogar Ehen und Kinder hervorgehen. Ist das nicht auch ein starkes Argument für den Präsenzunterricht?
Ja, tatsächlich. Ein Beispiel ist ein Handelsunternehmen aus dem Norden der Republik. Die Teilnehmer werden dort sowohl vor Ort als auch online unterrichtet und haben nur wenige Seminare in Neuwied. Doch sowohl die Gruppe als auch das Unternehmen wünschen sich, die Seminare in Neuwied deutlich auszuweiten. Sie haben erkannt, welche Motivation und Möglichkeiten ein einwöchiges Präsenzseminar hier auf dem Campus bietet.
Was bieten Sie denn hier auf dem Campus?
Als wir 1995 unsere Vision für den Campus formulierten, wollten wir ein Umfeld schaffen, das den Lehr- und Lernerfolg besonders fördert. Damals dachten wir an schöne Zimmer und gutes Essen. Heute sind es Highspeed-WLAN, die Möglichkeit, auf dem Campus kostenfrei Handelsdatenbanken zu nutzen, eine Bibliothek mit Präsenzunterricht und Computern sowie unser Lehrsupermarkt, in dem wir die neuesten Techniken hautnah erlebt werden können.
Karriereschmiede und Treffpunkt der Branche
Fast 1.400 Schüler und Studierende aus ganz Deutschland besuchen zurzeit die Food Akademie. Das Besondere: Sie kommen aus allen Unternehmen des Lebensmittelhandels. Im Abiturientenprogramm erlangen die Teilnehmer in drei Jahren gleich drei Abschlüsse, darunter den Handelsfachwirt. Außerdem bietet die Akademie das Studium zum Handelsbetriebswirt an, in Vollzeit oder berufsbegleitend. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf Prüfungsvorbereitungen und kompakten Seminaren, in denen man die Ausbildereignungsprüfung ablegen kann.
Die Schule ist seit ihren Anfängen 1936 der Treffpunkt der Branche, hier wurde und wird der Grundstein für Karrieren im selbstständigen und filialisierten Handel gelegt. Sie hat darüber hinaus den Grundstein für die Lebensmittel Praxis gelegt: Vor 75 Jahren haben unter anderem Dozenten der Lebensmittelfachschule die „Neuwieder Hefte“ gegründet, weil sie kein geeignetes Lehrmaterial hatten. Aus den Neuwieder Heften hat sich das heutige Magazin entwickelt.
Um welche technischen Neuerungen geht es konkret?
Nun, es geht um die gesamte Customer Journey mit den aktuellen und zukünftigen Techniken. Dazu gehören die Kundenkommunikation, die Kundenführung im Markt, die Nachverfolgbarkeit der Ware und die Möglichkeiten eines Warenwirtschaftssystems. Außerdem Self-Scanning-Kassen, smarte Einkaufswagen, vernetzte Schneidemaschinen und Waagen. Nicht zuletzt arbeiten wir mit Robotern. Wir haben unseren humanoiden Roboter „Pepper“ im Einsatz. „Karl-Egon” arbeitet als Promoter, der Kunden spezielle Produkte anbietet. Und „Waltraud”, sie desinfiziert mit UVC-Licht und navigiert selbstständig durch den Markt.
Wie stark wird Ihrer Meinung nach künstliche Intelligenz den Arbeitsalltag beeinflussen?
Nun, für den Arbeitsalltag im Supermarkt wird es sicherlich noch einige Jahre dauern, aber ich bin überzeugt, dass das, was uns andere Branchen vormachen, auch im Handel Einzug halten wird. Künstliche Intelligenz kann das Thema Autodisposition und Kundenansprache schon heute gut abbilden. Und im Unterricht bei uns an der Akademie ist es wirklich beeindruckend, was KI und ChatGPT mittlerweile leisten können.
Können Sie ein konkretes Beispiel dafür geben?
Ja, wir haben bereits künstliche Intelligenz eingesetzt, um komplette Klausuren für die Studierenden zu erstellen. Und nicht nur das, die KI hat auch Klausuren der Studierenden vollständig korrigiert, mit vergleichbaren Ergebnissen zur händischen Korrektur.
Aber ChatGPT macht auch Fehler...
Und genau da kommen die Skills ins Spiel. Eine Führungskraft im Handel muss erkennen können, wo Daten möglicherweise fehlerhaft sind oder Quellen nicht ganz korrekt verwendet wurden. Ganz ohne den Menschen geht es aktuell und auch zukünftig nicht.
Welche Abteilungen im Markt werden sich Ihrer Meinung nach am meisten verändern und warum?
Eigentlich alle Abteilungen, außer vielleicht die Bereiche, in denen der Mensch direkt mit dem Kunden kommuniziert. Zum Beispiel die Frischetheke im Vollsortimenter – die wird wohl noch eine ganze Weile bestehen bleiben, vorausgesetzt, wir haben genug Personal, das dort arbeiten kann. Aber der Kassenbereich und die gesamte Logistik werden sich stark verändern. Ich kann mir einen Markt vorstellen, in dem ein Marktmanager von einem Leitpult aus die gesamte Logistik steuert. Der Kassenbereich wird komplett automatisiert, was ja heute schon möglich ist und bald Standard sein wird. Aber bei den Frischetheken habe ich noch etwas Hoffnung, dass sie bestehen bleiben.
Zum Schluss: Stellen Sie sich vor, Sie sind abends privat auf einer Party und jemand fragt Sie, ob eine Ausbildung im Lebensmittelhandel erstrebenswert ist. Was antworten Sie?
Ich liebe die Branche seit dreißig Jahren. Eine kleine Anekdote am Rande: Eine meiner Töchter hat gerade ihren Masterabschluss in Meteorologie gemacht und ist sich beruflich noch nicht sicher, wohin die Reise geht. Sie könnte sich aber gut vorstellen, in einem Supermarkt zu arbeiten, weil ich so oft davon schwärme. Das zeigt, wie attraktiv die Branche wirklich ist.
Kompetenzzentrum Supermarkt
Der Schulkomplex vereint neben der Schule einen modernen Lehrsupermarkt und ein Wohngebäude. Der Supermarkt ist einmalig in Deutschland. So können die Regale aufgrund von Kugellagern verschoben werden, so dass die Schüler verschiedene Ladenbau-Szenarien erproben können. Weiterhin kann der Handelsnachwuchs in der Lehrküche die Qualitätsunterschiede von Produkten erfahren und neue Konzepte für die Handelsgastronomie erarbeiten. Der Supermarkt ist mit erprobter und zukunftsfähiger digitaler Technologie ausgestattet: Dynamic Pricing, Smart Shelfs, digitale Regalerweiterung, Waagen- und Kassensysteme der neuesten Generation, Licht- und Sensortechnik sowie Lösungen zur Warenrückverfolgbarkeit.