Interview mit Fritz Konz „Die neuen Gesetze werden die Lieferketten tatsächlich verändern“

Im Interview mit der Lebensmittel Praxis spricht Fritz Konz, Leitung Qualität und Nachhaltigkeit bei Tegut, über Konsequenzen der neuen Nachhaltigkeitsgesetze für das Lieferkettenmanagement des Handelskonzerns, über Chancen für die Transformation der Wirtschaft und Transformationsschmerzen.

Mittwoch, 22. Mai 2024, 05:04 Uhr
Bettina Röttig
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Bildquelle: Santiago Engelhardt

Herr Konz, wie ist Ihr Blick auf die turbulenten Verhandlungen zu neuen und künftigen Nachhaltigkeitsregulierungen auf EU-Ebene sowie in Deutschland?
Fritz Konz: Wir kommen aus einer Zeit, da Unternehmen freiwillig ihre eigenen Nachhaltigkeitsinitiativen gegründet und ihre Maßnahmen auch im Marketing genutzt haben. Die Freiwilligkeit hat nicht funktioniert und schönen Projekte über Pilotstatus kaum hinausgingen, mit Ausnahme der Bio-Bewegung. Wir haben zudem komplexe Siegelsysteme entworfen, die jedoch eine beschränkte Wirkung haben. Alle waren sich daher einig, dass es Gesetze braucht, um eine durchgreifende Wirkung zu erreichen. Und jetzt ist der Ärger groß, dass sie da sind. Ich sehe selbst, dass die Aufwände dahinter groß sind. Das waren sie auch schon zuvor, allerdings nur für die wenigen Pioniere. Jetzt können wir auch in Europa mit der CSDDD ein „Level Playing Field“ erreichen.

EU-Entwaldungs-VO, Anti-Greenwashing-Paket, Kompromiss zu CSDDD, abgeschwächte EU-Verpackungs-Verordnung, neue Gentechnik-Verordnung, Entgegenkommen für Landwirte bei Umweltauflagen etc. – Welche Chancen und Fortschritte bringen die neuen Nachhaltigkeitsgesetze unterm Strich?
Ich sehe eine ganze Menge Chancen. Gesetze wie die CSDDD und Entwaldungsverordnungen werden tatsächlich die Lieferketten verändern. Auch die aktuellen Fassungen. Wir kommen aus einem System der Stufenverantwortung und kommen jetzt zu einem System der Komplettverantwortung für die Lieferketten. Damit ist klar, dass die alten Lieferketten wahrscheinlich nicht mehr funktionieren können wie zuvor. Eine Transformation verursacht eben auch Transformationsschmerzen. Aber ich bin der Meinung: lieber mit Schmerzen zu einem besseren System kommen als dieses Hin und Her und Bremsen wie zuletzt. Was mir Sorgen macht: Kein Unternehmen wird Geld in die Hand nehmen für die Umsetzung von Gesetzen, wenn ein Stopp der Gesetzte politisch in Aussicht gestellt wird.

An welche Beispiele denken Sie, wenn Sie von Transformationsschmerzen sprechen?
Blicken wir auf die Entwaldungsverordnung: Soja und Palmöl beispielsweise handeln wir nicht durch. Der Markt für Palmöl funktioniert bisher über verschiedene Lieferkettenmodelle, man kann entweder am Spot-Markt kaufen oder man setzt auf RSPO-zertifiziertes Palmöl über Book and Claim, Massenbilanzierung oder segregierte Ströme. Jetzt wird im Grunde durchgängig segregiertes nachhaltiges Palmöl für den europäischen Markt erforderlich sein, ein Schiff darf quasi nur mit segregiertem Palmöl befüllt nach Europa gehen, das verändert Lieferketten.  Auch bei Rindfleisch konnte es bisher interessant sein, am Spotmarkt günstige Chargenware zu beziehen. Ohne Begleitpapiere wird dies nicht mehr gehen. Entweder ich muss künftig mit viel Mühe richtigen Papiere besorgen, oder ich verzichte auf das Geschäft und setze auf Lieferketten, die ich kenne. Damit werden Unternehmen von offenen auf geschlossene Lieferketten bis zum Ursprung umstellen. Auch bei Kakao werden wir dazu kommen müssen, segregierte Rohwarenströme zu etablieren. Wenn man die Anforderungen nicht erfüllt, drohen Strafen in Höhe von 4 Prozent des Jahresumsatzes - ein großes wirtschaftliches Risiko. Es wird also nicht mehr in der Breite möglich sein, einfach auf die günstigste, anonyme Ware zu setzen.

Das alles klingt pragmatisch und nicht nach Panik, die ja zuletzt geschürt wurde…
Die EU-Regulierungen sind aus meiner Sicht eher Entwicklungsgesetze, keine harten Erfüllungsgesetze. Es geht darum, dass Unternehmen sich bemühen, ihre Lieferketten zu verbessern und das auch darlegen können. Aktuell würde bei einer strikten Auslegung wahrscheinlich ein Großteil der deutschen Wirtschaft durchfallen. Es gibt noch keinen einzigen Experten, der wirklich eine Sorgfaltserklärung machen kann. Wir als Tegut sind auf einem guten Weg, haben einen guten Plan, der für unsere Unternehmensgröße angemessen ist. Jetzt geht es um die Budgetfreigabe.

Wie geht Tegut die Herausforderungen an? Setzen Sie auf Anbieter mit Softwarelösungen, die zum Teil mit Juristen an den Entwicklungen arbeiten?
Es gibt noch keinen Experten oder Software-Anbieter, der alles abbilden kann. Und Berater oder Software-Anbieter für LkSG und Co bieten zwar Informationen, Beratung oder Satellitenbilder beispielsweise zur Kontrolle zum Thema Entwaldungsfreiheit, damit man die Anforderungen der Gesetze besser managen kann. Die Bewertung und Entscheidungen muss jedes Unternehmen jedoch selbst treffen, diese werden uns nicht abgenommen. Dennoch sind wir gut vorbereitet und auskunftsfähig.

Wo sind Hürden, um die Anforderungen gut erfüllen zu können?
Was noch fehlt und uns daher ausbremsen könnte, ist die Datenbank der BLE, über die wir die Erklärungen für das Sorgfaltspflichtengesetz abgeben sollen. Uns ist noch nicht klar, wie das funktionieren soll. Wir haben es durchgerechnet und müssten schätzungsweise 180.000 Sorgfaltserklärungen pro Jahr abgeben. Wie viel Personal braucht es für die Kontrollen und Bearbeitungen? Wenn ich allein für das Lesen jeder Erklärung vielleicht eine Stunde ansetze, dann brauche ich bis zu 8 zusätzliche Mitarbeiter. Ich vertraue auf die Politik, dass die Ausgestaltungen und Kontrollen mit Augenmaß passieren werden.

Wo sehen Sie Herausforderungen in Bezug auf die Green Claims Verordnung?
Wenn wir einen Artikel einem Lifecycle Assessment unterziehen, diesen umweltverträglicher machen und für die verbleibenden Umweltkosten aufkommen wollen, dann zahlt man 10.000 bis 15.000 Euro fürs erste Assessment, 3.000 Euro für die Verifizierung und Umweltkosten pro Artikel von vielleicht 0,50 Euro pro Stück Verkaufspreis. Dazu kommen Siegelgebühren, wenn du deine Maßnahmen auch noch kommunizieren möchtest. Wenn ein kleines Unternehmen 100.000 Gläser Bärlauchpesto auf den Markt bringt und als nachhaltig bewerben möchte, muss es diese Kosten alle auf den Produktpreis draufschlagen. Damit müssen schon 0,70 Euro Mehrkosten pro Glas einkalkuliert werden, ohne dass etwas in die Verbesserung der Zutaten investiert wurde. Die Produkte konkurrieren aber mit Gläsern zu 1,99 Euro in Bio-Qualität. Der Green Claims-Verordnung gerecht werden zu wollen, bedeutet bei diesem Rechenbeispiel also ein echtes Innovationshemmnis und eine Eintrittsbarriere. Und dabei haben wir noch nicht berechnet, ob das Unternehmen vielleicht selbst abfüllen und in Maschinen investieren will.

Ein ähnliches Beispiel war schon die Health Claims Verordnung, die vor allem für kleine Unternehmen eine große Hürde darstellt…
Wir leben in einem Markt, da ein Preisabstand von 0,05 Euro einen Artikel aus den Markt drängen kann. Ich denke, die Green Claims Verordnung wird dazu führen, dass keine Nachhaltigkeitsclaims mehr gemacht werden oder man geht auf Bio-Qualität. Und alles, was als Nachhaltigkeits-Claims unterhalb von Bio steht, können sich nur die großen Hersteller mit hohen Stückzahlen leisten.

Wo sagen Sie, sind die Abschwächung tatsächlich zielführend, da weniger Bürokratie und die Umsetzung wird machbarer? Wo sind verpasste Chancen aus Ihrer Sicht?
Das nun weniger Unternehmen direkt von den Lieferkettengesetzen betroffen sind, wird keinen Unterschied machen. Denn im Grunde wird es einen Trickle-Down-Effekt geben und alle sind in der Pflicht. Daher sehe ich keine wirkliche Abschwächung bei den Liefergesetzen. Das neue Gentechnikrecht ist jedoch eine Erschwernis, nachhaltig arbeiten zu wollen. Uns ist Gentechnikfreiheit aus Sicht der Nachhaltigkeit sehr wichtig. Wir führen keine ideologische Debatte und sind keine Wissenschaftler, aber uns ist Transparenz wichtig und die ist nach der neuen Regulierung klar eingeschränkt.

Wo greifen die Regulierungen noch zu kurz?
Die Lieferkettengesetze und das Entwaldungsgesetz haben ihren Sinn. Dass Menschenrechte und die Wälder geschützt werden ist wichtig, aber es braucht mehr Engagement, um Emissionen und vor allem die Energieverbräuche zu senken.

Die größte Herausforderung in Bezug auf CO2-Reduktionsziele liegt in den vorgelagerten Wertschöpfungsketten. An welchen weiteren Maßnahmen arbeiten Sie aktuell mit den Tegut-Lieferanten etc.?
Wir sind Mitglied der Science Based Targets Initiative, haben uns klare Ziele gesetzt und schaffen dadurch auch vor allem Transparenz nach innen und außen. Wir sprechen von 30 Prozent CO2 Reduktion im Sortiment, also in Scope 3. Gleichzeitig akzeptieren wir nicht blind, was da gegeben ist. Aktuell gibt es ja eine große Diskussion zu Milchprodukten und wir halten die ganzheitliche Betrachtung des Systems der Kuhweidewirtschaft und die Modellierung der CO2-Kosten in dem Bereich für nicht abgeschlossen. Die Bodenleistung ist zum Beispiel nicht mit eingerechnet. Somit wäre die Kuh klimafreundlicher, die auf Hochleistung gezüchtet in intensiver Stallhaltung gehalten wird, was mit Tierwohl nichts zu tun hätte.

Wettbewerber unterstützen zum Beispiel ihre Lieferanten aus der Landwirtschaft dabei, Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen und zu finanzieren. Für Tegut auch ein Hebel?
Ich befürchte, solche Programme wirken nicht schnell genug. Wir können einzelne Programme hinstellen und können die gut machen, sie konkurrieren aber mit allen anderen Programmen, die 0,20 Euro billiger sind oder noch billiger. Wir müssen über die Sortimentsgestaltung reingehen. Das heißt, wir müssen bestehende Programme nehmen und in den Vordergrund rücken, zum Beispiel Bio-Ware, aber auch so etwas wie eine Weidemilch. Oder wir stellen ein Milchprogramm auf Bio um. Auch bringt es mehr, die alternativen Proteine stärker nach vorne zu bringen.  Natürlich ist auch mal die Wirkung der entwaldungsfreien Lieferkette abzuwarten.

Das LkSG wurde ersten Tests unterzogen. Oxfam hatte Beschwerden gegen Rewe und Edeka wegen Verstößen im Bananensektor eingereicht. Hat Tegut bisher Beschwerden erhalten?
Wir haben keine Beschwerden reinbekommen von NGOS oder Betroffenen. Bei der Beschwerdestelle haben sich eher Kunden verirrt, die die Kundenhotline nicht gefunden haben, um sich über fehlende Angebote beklagt.Die größte Herausforderung für uns als Tegut ist es Mehrwerte zu kommunizieren, da die gesetzlichen Regelungen weitreichend sind. Eine gesetzliche Regelung kann eben auch eigene Programme obsolet machen, die man eigentlich gerne hatte und eigenständig anders gedacht hatte. Die eigenen Kriterien, die man selber als gut und richtig empfunden hat, werden jetzt durch Regulierungen ersetzt, bei denen von außen vorgegeben ist was gut und richtig ist.