Bürokratie-Abbau Interview mit BVE-Geschäftsführerin Stefanie Sabet

Zusätzlich zu unserer großen Titelgeschichte in der LP Ausgabe 2/2024 lesen Sie hier das ausführliche Interview mit Stefanie Sabet, Geschäftsführerin bei der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, über die schlimmsten Bürokratie-Monster, die die deutsche Lebensmittel-Industrie bedrohen.

Mittwoch, 31. Januar 2024 - Management
Tobias Dünnebacke
Artikelbild Interview mit BVE-Geschäftsführerin Stefanie Sabet

LP: Bitte nennen Sie mir 2-3 konkrete Beispiele für überbordende bürokratische Anforderungen an die deutsche Ernährungsindustrie, bei denen Sie sich Verbesserungen von der Politik wünschen.
Sabet: Aufgrund ihrer KMU-Prägung ist die deutsche Ernährungsindustrie auf einen effizienten und kostengünstigen Rechtsrahmen angewiesen. Überflüssige Bürokratie verursacht Kosten, erschwert Innovationen und stellt einen Standortnachteil dar. Insbesondere der Mittelstand ist aufgrund seiner begrenzten finanziellen und personellen Kapazitäten in erheblicher Weise von staatlicher Regulierung betroffen. Bürokratieabbau stellt deshalb zielführende Mittelstandspolitik dar.

Der nationale Normenkontrollrat (NKR) beziffert den jährlichen laufenden Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft aus Gesetzgebung mit 14,4 Mrd. Euro im Berichtszeitraum 2022/23, hinzu kam ein einmaliger Erfüllungsaufwand von 20,2 Mrd. Euro. Unter den laufenden Erfüllungsaufwand fallen die Bürokratiekosten, sie umfassen die Verpflichtung der Unternehmen, Informationen für Behörden oder Dritte zu beschaffen, verfügbar zu halten oder zu übermitteln. Der Bürokratiekostensaldo steigt laut NKR jährlich um 164 Mio. Euro für die Unternehmen.

Für die Ernährungsindustrie waren die größten Belastungen mit Bürokratiekosten im letzten Jahr mittelbar und unmittelbar auf das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, die ESG Reportingpflicht, die Änderungen im Energieeffizienzgesetz und Immissionsschutz, die verbindliche Tierhaltungskennzeichnung, die Umsetzung der Einwegkunststoffrichtlinie und das Gebäudeenergiegesetz zurückzuführen.

LP: Gibt es möglicherweise regulatorische Anforderungen, die Sie regelrecht absurd finden?
Sabet: Besonders stechen immer wieder die unverhältnismäßig langen und immer umfangreicheren Planungs- und Genehmigungsverfahren hervor. Je nach Größe des Planungs- und Genehmigungsverfahren gibt es eine besonders für KMU schwer zu überschauende Anzahl von Verpflichtungen. Für die Unternehmen ergeben sich insbesondere in den Verfahren für Baugenehmigung/ Bebauungsplanverfahren/ Flächennutzungsplan Verfahren/ Änderung des Regionalplans, Umweltrecht und Immissionsschutz bspw. im Rahmen von Kapazitätserweiterungen zahlreiche Verpflichtungen zur Beibringung von Gutachten. Teilweise wurde von den Unternehmen der Ernährungsindustrie bestätigt, dass es zu Doppelungen bei den in Gutachten abgefragten Informationen kommt.

So gibt es Redundanzen in den Verfahren für Baugenehmigungen und nach BImSchG, wo für die gleichen Informationen gesonderte Formulare ausgefüllt werden müssen. Weiter gibt es auch Redundanzen bei Bodengutachten zusätzlich zum Ausgangszustandsbericht. Auch können Doppelungen aufgrund unterschiedlicher Betrachtungs- und Herangehensweisen entstehen, z.B. Brandschutz:  Brandschutzsachverständiger/ Prüfingenieur für Brandschutz, Belange der Feuerwehr, Bauordnungsbehörde und Versicherung. Zum Teil werden Gutachten aber auch als überflüssig bewertet, sofern sie ausschließlich auf anderen Gutachten beruhen. Bei der Vorprüfung der Umweltverträglichkeit im Einzelfall werden im Grund die bereits durchgeführten Untersuchungen und Gutachten zusammengefasst. In der Praxis gibt es im Rahmen dieser Untersuchung in der Regel keine neuen Erkenntnisse oder Schlussfolgerungen. Auch werden Gutachten mitunter unverhältnismäßig oft doppelt abgesichert, bspw. wird bei der Erstellung einer Prüfstatik ein Statiker beauftragt, der mit vierfacher Sicherheit rechnet, das Bauamt prüft das Ergebnis dann auf Plausibilität und ein vom Bundesland zugelassener Statikprüfer überprüft nochmals die Ergebnisse des Statikers.

LP: Lieferkettensorgfaltspflicht, Energieeffizienzgesetz und die Pflicht zum ESG-Reporting sind medial sicherlich die bekanntesten Beispiele für steigende bürokratische Anforderungen. Welche anderen, vielleicht in der Öffentlichkeit nicht so präsenten, bürokratischen „Ärgernisse“ tangieren das Geschäft Ihrer Mitglieder?

Sabet: Im Rahmen der Verbändeabfrage zum Bürokratieabbau wurde unter anderem eine Änderung der Umsatzschwellenregelung im Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetz als Maßnahme der Entbürokratisierung vorgeschlagen. Der Sonderbericht der Bundesregierung „Bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau in der 20. Legislaturperiode“ an den Bundestag verspricht hier Änderungen zu prüfen. Das AgrarOLKG schützt nur Lieferanten bestimmter Umsatzstufen, die Ermittlung der Umsatzstufen ist herausfordernd und mit hohem Aufwand verbunden, eine Ausweitung des Geltungsbereiches auf alle Unternehmen könnte Bürokratiekosten senken.

LP: Welche Forderungen haben Sie an die Politik und gibt es möglicherweise Ihrerseits Verbesserungsvorschläge?
Sabet: Der Referentenentwurf „Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft sowie der Verwaltung von Bürokratie“ (Viertes Bürokratieentlastungsgesetz – BEG IV) wurde am 10. Januar durch das Bundesministerium der Justiz (BMJ) vorgelegt. Mit diesem Paket zum Bürokratieabbau möchte das BMJ Entlastungen von rund 682 Millionen Euro erreichen. U.a. sollen die Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege im Handels- und Steuerrecht auf acht Jahre verkürzt werden. Das BEG IV ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung jedoch nicht der von den Unternehmen erhoffte Durchbruch für einen konsequenten Bürokratieabbau.

Der Umsetzungsaufwand für Gesetzgebung muss sinken, Gesetze die 100-seitige Umsetzungshilfen erfordern wie bspw. beim LKSG sind nicht praxistauglich. Das One-in-one-out-Prinzip muss konsequent und zielgenau umgesetzt werden, dort wo mit Bürokratie belastet wird muss auch spürbar wieder entlastet werden. Eine bessere und bürokratiearme Gesetzgebung heißt zudem vor allem eine bessere Folgenabschätzung und effiziente Digitalisierung der Verwaltung. Doppelte Erhebung und Sammlung von Informationen insbesondere im Bereich Umwelt und Energie sowie doppelte Berichterstattung insbesondere zu Nachhaltigkeitsleistungen muss zwingend vermieden werden. Staatliche Förderung stellt ein wichtiges Instrument dar, um Innovationspotentiale im Mittelstand umzusetzen. Vor diesem Hintergrund ist es ein wichtiges Anliegen, die Förderverfahren zu vereinfachen.

Schlussendlich bleibt Bürokratieabbau aber nicht nur eine nationale Aufgabe, sondern muss auch auf EU-Ebene konsequent verfolgt werden. Der Großteil der Bürokratielasten folgt aus EU-Gesetzgebung. Insbesondere im Lebensmittelrecht besteht die Notwendigkeit europäischer Lösungen statt nationaler Alleingänge (Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe; Mineralöl, Nährwertkennzeichnung) für einen bürokratiearmen Binnenmarkt.

Der Umfang und die Dauer von Zulassungsverfahren im Lebensmittelbereich, z. B. im Rahmen der Health-Claims Verordnung und der Novel Food-Verordnung, sind ebenfalls mit Blick auf bürokratische Hürden zu überprüfen.

Ein wirksames Mittel zum Bürokratieabbau für KMUs ist die Anpassung der europäischen und nationalen KMU-Definition an die Inflation bzw. wirtschaftliche Entwicklung. Mit der wirtschaftlichen Entwicklung verändert sich wohl die Bemessungsgrundlage für die KMU-Definition nicht jedoch zwingend die Wettbewerbsposition der betroffenen Unternehmen. Daher hält die BVE eine Anpassung der Bemessungsgrundlage in der KMU-Definition der Europäischen Kommission sowie die Einführung einer regelmäßigen Überprüfung der Definition für notwendig.