Titelthema Respektlose Kunden

Sprachliche Entgleisungen und körperliche Gewalt – Mitarbeiter im Handel kennen das. Das gesellschaftliche Klima wird rauer, nicht nur in den Supermärkten. Gefragt sind Strategien, die die Beschäftigten schützen.

Dienstag, 17. Oktober 2023 - Management
Susanne Klopsch
Artikelbild Respektlose Kunden
Bildquelle: Adobe Stock

In jeder Arbeitskleidung steckt ein Mensch. Wir möchten es daher nicht mehr länger akzeptieren, dass unsere Mitarbeiter:innen von einer Minderheit unserer Kunden nicht gut behandelt werden.“ Statt die neueste Werbung für Aufschnitt, für die Aktion in der Käsetheke oder ein Trendgetränk zu zeigen, musste Anfang des Jahres auf den Aufstellern bei Edeka Baur (Bodensee) auf einen besseren Umgang miteinander aufmerksam gemacht werden. Denn Kunde König fällt gelegentlich aus der Rolle. Ist unhöflich, beleidigt und beschimpft Mitarbeiter. Beschwert sich rüpelhaft und unangemessen etwa über längere Wartezeiten an den Bedientheken. „Glücklicherweise gilt das nur für ein paar wenige unserer Kunden“, sagt Geschäftsführerin Sabine Seibl. Die Mehrheit sei gegenüber den Mitarbeitern höflich und respektvoll, schreite sogar mitunter bei deplatziertem Verhalten ein: „Der Kunde ist König, solange er sich auch wie einer benimmt.“

Die Aktion schlug Wellen: Die lokale Presse berichtete, Kunden teilten die Plakate über Social Media. „Wir wurden oft als mutig bezeichnet“, freut sich Seibl. Es habe aber auch „zwei, drei kritische Mails gegeben, dass doch die Mitarbeiter zuerst höflich und respektvoll sein sollten“. Spezielle Schulungen für den Umgang mit verbal übergriffigen Kunden hat es nicht gegeben: „Unsere Mitarbeiter werden jedoch beim Onboarding bezüglich der speziellen Herausforderungen, die die Arbeit im LEH mit sich bringen kann, gebrieft“, sagt Seibl. Für sie geht das Thema Respekt über den LEH hinaus: „Es ist leider ein allgemeines gesellschaftliches Thema. Vor allem mit Beginn der Corona-Pandemie erhöhte sich die Streitbereitschaft mancher Menschen sehr.“

Vorwiegend die Personalengpässe an den Bedientheken und die damit verbundenen etwas längeren Wartezeiten hatten bei Edeka Baur die unschönen Seiten von König Kunde gezeigt. Die Lage hinter und vor den Theken hat sich inzwischen etwas entspannt. Dennoch stehen in einigen Märkten die Aufsteller noch. „Uns war vor allem wichtig, unseren Mitarbeitern zu zeigen, dass wir hinter ihnen stehen. Wir unterstützen sie bei den Herausforderungen, die die tägliche Arbeit im LEH mit sich bringen kann.“

Manchmal ist es ganz einfach

Im Zuge des Projekts „#RespectWork“ wurde auch herausgearbeitet, wie Händler und ihre Mitarbeiter mit guter beruflicher Praxis Kunden so abholen, dass der Einkauf für alle ein positives Ergebnis bringt.

Guter erster Eindruck

„Respekt fängt auf dem Parkplatz an“, sagte Edeka-Kaufmann Stefan Grubendorfer bei „#Respect-Work“. Ist der Parkplatz am Markt, sind die Einkaufswagen sauber?

Ein freundliches Hallo

Der freundliche Gruß gehört dazu. Grüßt der Kunde nicht zurück, sollte sich der Mitarbeiter bewusst machen, dass das nichts mit ihm zu tun hat.

Suche erleichtern

Klare Kundenführung, übersichtlich gekennzeichnete Regale, gut erfassbare Preisschilder lassen bei Kunden erst gar keinen Unmut aufkommen.

Klare Regeln

Wann und bei wem kann ein Produkt umgetauscht oder reklamiert werden? Mitarbeiter müssen wissen, was sie antworten können.

Ein netter Abschied

Befragungen im Rahmen des Projekts „#Respect-Work“ zeigen: Kunden ist ein freundlicher Kassiervorgang sehr wichtig, für sie ein Ausdruck von Respekt. Begrüßung, Augenkontakt, ein Danke für den Einkauf, ein freundliches „Auf Wiedersehen“: Das rundet das Einkaufserlebnis für den Kunden positiv ab – und er kommt gerne wieder.

Berufsgenossenschaft kann helfen

Die zunehmende Respektlosigkeit auf Kundenseite passt zu den Berichten über Gewalt gegen Polizeibeamte, Feuerwehrleute und Rettungskräfte, die sich häufen. Das gesellschaftliche Klima ist anscheinend insgesamt rauer geworden, die „Zündschnur“ bei vielen Menschen kürzer. Auch die Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) muss sich vermehrt mit dem Thema befassen. Eine Erklärung sieht sie im Onlinehandel, bei dem Reklamationen in der Regel ohne große Nachfragen erledigt werden, während das im Präsenzhandel meistens nicht ohne Weiteres möglich ist. Bei der BGHW weiß man allerdings auch: Das übergriffige Verhalten kann zum Beispiel ebenfalls durch Wartezeiten an den Kassen, Platzmangel in den Gängen oder Lücken in den Regalen ausgelöst werden. Und manchmal sucht der Kunde einfach nur einen „Blitzableiter“. Die Werbebotschaft vom „König Kunde“ erweist sich da an mancher Stelle als konfliktverschärfend.

Die Mitarbeiter reagieren unterschiedlich. Was den einen nicht ernsthaft belastet, kann bei dem anderen zu psychischen Folgen führen – verbunden mit Fehlzeiten, Verlust des Selbstbewusstseins oder dem drängenden Wunsch, die Tätigkeit, den Arbeitgeber oder die Branche zu wechseln. Die BGHW will unter anderem mit ihrem Seminar „Konfliktbereite Kunden“ gegensteuern. Dieses richtet sich insbesondere an Unternehmen, Führungskräfte, Betriebsräte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit. Ein anderes Angebot ist die Akutintervention. Haben Mitarbeiter seelische oder körperliche Gewalt erlebt, können sie sich über ihren jeweiligen Mitgliedsbetrieb an die BGHW wenden. Innerhalb von 24 bis maximal 48 Stunden meldet sich dann ein Psychologe ihnen.

Das Problem besteht weltweit

Respektlose Kunden sind kein deutsches Phänomen, sondern eine weltweite Erscheinung. Das betont Christine Porath, Management-Professorin an der Georgetown University in Washington. Sie stützt sich auf ihre Interviews aus dem vergangenen Jahr. Die Wissenschaftlerin aus den USA versucht sich an Erklärungen, die auch auf die Situation in Deutschland zutreffen könnten. Unter anderem führe moderne Technologie zu Abschottung und Unfreundlichkeit, ist sie überzeugt. Christine Porath beobachtet: „Wir sind zu sehr von Instagram oder der Musik aus dem Kopfhörer abgelenkt, um mit denjenigen zu interagieren, die uns bedienen oder unsere Einkäufe abkassieren. Es reicht nicht einmal für ein einfaches Hallo, Bitte oder Danke.“

73%

der Befragten berichteten: Schlechtes Benehmen von Kunden ist nicht ungewöhnlich. In einer Porath-Umfrage aus dem Jahre 2012 hatten sich 61 Prozent so geäußert.

2.000

Menschen aus 25 Branchen auf der ganzen Welt, die direkten Kundenkontakt haben, wurden 2022 zu ihren Erfahrungen mit respektlosem Verhalten von Kunden befragt.

78%

der Befragten glaubten, dass respektloses Verhalten von Kunden häufiger vorkommt als noch vor fünf Jahren. 2012 waren 49 Prozent der Befragten dieser Ansicht gewesen.

 „#RespectWork“: Mitarbeiter stärken

„Arbeitgeber sind gesetzlich dazu verpflichtet, ihre Mitarbeiter vor Gefahren und Belastungen zu schützen. Dies umfasst auch den psychischen Schutz und erfordert entsprechende Maßnahmen, um ein gesundes Arbeitsumfeld zu schaffen“, sagt Elif Yüzer. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Forschung und Entwicklung bei der Deutschen Angestellten-Akademie (DAA). Das Projekt „#RespectWork“ verantworten neben der DAA der Handelsverband Nordrhein-Westfalen (Westfalen-Münsterland), die Sozialforschungsstelle der Technischen Universität Dortmund, die B. Frieling Service- und Dienstleistungs GmbH & Co. KG (Hagebau Frieling-Märkte, Münsterland) und der Hamburger Verein Arbeit und Gesundheit. Das Projekt setzt laut Yüzer an der Schnittstelle zwischen Mitarbeitern und Kunden an. Dafür wurde etwa die „Respektwoche“ entwickelt: Kunden und Mitarbeiter sollen über Fragebögen oder Interviews zwanglos über das Thema reden, Erwartungen und Probleme ansprechen. Eine Online-Schulung mit der Weiterbildung zum Respektbeauftragten gehört dazu. Apps wie „ResKOMP“ sollen erste Bildungsinhalte spielerisch und niederschwellig vermitteln.

1,4

Respektlosigkeiten pro Tag für jeden Mitarbeiter ergab eine Umfrage von „#Respect-Work“. Im Jahr sind dies mehrere Hundert von Respektlosigkeit geprägte Begegnungen mit Kunden.

32

von 84 Teilnehmern einer Umfrage für „#RespectWork“ gaben 3,4 Respektlosigkeiten von  Kunden pro Schicht an.

Sarah Rethemeier ist derzeit wohl noch die einzige Respektbeauftragte hierzulande. In dieser Funktion hat sie bei Edeka Grubendorfer neben dem Beschwerdemanagement eine weitere wichtige Funktion. „Ich bin eigentlich im Büro tätig, nehme mir aber täglich die Zeit, rüber in den Markt zu gehen. Da kann ich im Team gleich mal nachhören, wie die Lage ist, ob alles in Ordnung ist.“ So hat sie einen guten Überblick darüber, wo sich Konflikte anbahnen könnten, und kann reagieren, bevor es kritisch wird. „Mitunter will jemand auch einfach nur Dampf ablassen“, sagt die 22-Jährige. Anderen helfe es, wenn sie mit jemandem reden können. Bei tiefer gehenden Problemen macht Rethemeier mit den Beteiligten Termine aus, sucht im Gespräch eine Lösung. Zufriedenheit im Team ist wichtig, gerade in Zeiten, wo es personell eng wird und alle angespannter sind. Mitarbeiter, die besser drauf sind, holen auch den Kunden ganz anders ab: „Wenn sie in einen Markt kommen, in dem die Mitarbeiter sie nicht grüßen oder übellaunig anschauen, kaufen sie ja auch nicht gerne ein“, sagt Rethemeier. Auch das ist Prävention, damit aus einem vielleicht nur schlecht gelaunten Kunden kein Rüpel an der Käsetheke wird.

SARAH RETHEMEIER Respektbeauftragte
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Die 22-Jährige ist quasi die Feuerwehr auf der Fläche bei Edeka Grubendorfer in Herdecke: Die Kollegen wissen, dass Sarah Rethemeier ihre Ansprechpartnerin ist, falls es Probleme mit respektlosen Kunden gibt. Sie können sie im Konfliktfall direkt erreichen und dazuholen. Als Assistentin der Geschäftsleitung signalisiert Rethemeier dem Kunden, dass sie die Kompetenz hat, das Problem zu lösen – und der Kollege ist aus der Schusslinie. „Das ist aber bislang noch nicht passiert, wir haben zum Glück nur sehr wenige Probleme mit Kunden“, sagt Rethemeier.

Das Problem nicht persönlich nehmen

Und kommt es mal zum Fall der Fälle, sei Selbstbewusstsein wichtig. Rethemeier hat eine klare Linie: „Die Mitarbeiter müssen sich ihrer Fähigkeiten, ihres Könnens bewusst sein. Dazu gehört, eine aufrechte Körperhaltung einzunehmen und auch zu ihren Tätigkeiten zu stehen. Nicht sagen, dass alles ihre Schuld ist. Vielmehr sollte der Mitarbeiter klar formulieren, dass ein Fehler gemacht wurde und dass daraus gelernt wird.“ Auch wenn es manchmal schwerfällt: Freundlichkeit ist gefragt, um die unangenehme Situation nicht eskalieren zu lassen. Ganz wichtig: das Problem nicht persönlich nehmen. Hier kommt wieder das Team ins Spiel. Rethemeier ist überzeugt: „Im Einzelhandel geht es nicht nur um Verräumung, Pflege und den Verkauf von Waren oder um Kundenbetreuung. Einzelhandel bedeutet auch, als Team stark und füreinander da zu sein sowie sich gegenseitig Halt zu geben.“

3 Fragen anMarcel Schäuble, Fachbereichsleiter Handel beim Landesbezirk Hessen der Gewerkschaft Verdi
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Herr Schäuble, im April haben Sie die Ergebnisse einer Online-Umfrage unter 1.400 Verdi-Mitgliedern zum Thema „Respektlose Kunden“ veröffentlicht. Können Sie die Ergebnisse zusammenfassen?
Marcel Schäuble: Die Ergebnisse fielen erschreckend aus. Denn 67,5 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass das Verhalten mancher Kunden respektlos, unverschämt und aggressiv ist.
Nur verhältnismäßig wenige der Beschäftigten hatten offensichtlich keine oder kaum schlechte Erfahrungen mit Kunden gemacht. Die Umfrage zeigt: Zahlreiche Verkäufer erleben immer häufiger Situationen, in denen sie von Kunden durch Worte beleidigt werden oder sogar direkten körperlichen Angriffen ausgesetzt sind.

Verdi forderte nach der Umfrage von den Arbeitgebern mehr Einsatz in dieser Frage. Was genau sollten die Chefs zum Beispiel tun?
Die Arbeitgeber sind gefordert, solchen unverschämten bis gewalttätigen Kunden eine klare Botschaft zu vermitteln. Das kann zum Beispiel durch Aufsteller, Plakate und Durchsagen im und am Geschäft sowie klare Bekenntnisse gegenüber der Belegschaft erfolgen. Auch strafrechtliche Schritte dürfen unter bestimmten Umständen kein Tabu sein.

Lässt es Verdi Hessen mit der Umfrage bewenden oder bleiben Sie bei dem Thema auch in der nächsten Zeit am Ball?
Es ist dringend erforderlich, hier am Ball zu bleiben. Denn Beschäftigte im Handel sind keine „Mülleimer“ für schlechte Laune, provozierende Bemerkungen und ungezügelte Aggressionen.

Der Handlungsleitfaden für Betriebe zeigt anschaulich, wie Sie Ihre Mitarbeiter besser rüsten können für den Umgang mit respektlosen Kunden. Tipps für die Praxis gibt es auch hier:

Respectwork: Handlungshilfe für Betriebe (PDF)