Edeka Hessenring “Wir müssen mit weniger Personal auskommen”

Bei der Edeka Hessenring werden – wie überall im Handel - die Mitarbeiter knapp. Was die Geschäftsführer Florian Kramm und Sven-Olof Vogt dagegen setzen? Neue Konzepte, digitale Tools, Homeoffice.

Donnerstag, 13. Juli 2023 - Strategie
Heidrun Mittler und Reiner Mihr
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Bildquelle: Peter Eilers

Herr Kramm, haben Sie ein Smartphone, Email und einen Linkedin-Account?

Kramm: Ja, das Nokia 3310, das mein Vorgänger Hans-Richard Schneeweiß besitzt und als Abschiedsgeschenk mit in den Ruhestand genommen genommen hat, hat ausgedient. Wir nutzen beide ein Samsung S 22.  

Sie sind seit Jahresbeginn Sprecher der Geschäftsführung. Ihr Vorgänger, der gut 21 Jahre die Position ausgefüllt hat, hat große Fußstapfen hinterlassen. Was machen Sie anders?

Kramm: Hans-Richard Schneeweiß hat die letzten 21 Jahre die Edeka Hessenring maßgeblich geprägt. Aber er hat sie nicht allein geprägt.  Ich habe schon seit 2008 sehr eng mit ihm zusammengearbeitet. Auch mein Kollege Sven-Olof Vogt ist schon einige Jahre mit dabei. Wir haben viele unternehmenspolitische Dinge mitentschieden.  

Was verändern Sie konkret?

Kramm: Das Thema Digitalisierung gehen wir anders an. Allerdings ist Digitalisierung kein Selbstzweck, sie kostet viel Geld und muss einen Nutzen bringen. Wir fragen uns immer: Was bringt diese Maßnahme dem Kunden? Und wir gehen mit dem spitzen Bleistift an digitale Themen, sind kostenbewusst.  

Bitte nennen Sie uns ein Beispiel!

Kramm: Zum Beispiel die Nutzung von Microsoft Teams und Sharepoint. Wir führen das langsam ein, nehmen unsere Mitarbeiter dabei mit.  Stellen nicht plötzlich alle Informationen in irgendwelche Kanäle rein, sondern zeigen den Mitarbeitern, wo es Sinn macht, die digitalen Tools einzusetzen.

Wie sieht es denn bei Ihnen mit Arbeiten im Homeoffice aus?

Kramm: Work-Life-Balance und Homeoffice  – - beides sind Dinge, die nur schwierig mit der Arbeit in einem Handelsunternehmen zu verbinden sind. In der Edeka Hessenring arbeiten rund 8.000 Menschen. Über 7.200 haben überhaupt keine Chance, von zu Hause aus zu arbeiten. Der Kommissionierer, der LKW-Fahrer, die Kassiererin, die Fleischverkäuferin, keiner von denen kann mobil arbeiten. Außerdem bin ich überzeugt: Menschen sind dafür gemacht, physisch miteinander zu arbeiten.  

Aber Sie stehen im Wettbewerb mit Unternehmen, die mobiles Arbeiten anbieten.

Kramm: Ja, wir sind nicht allein auf dieser Welt und das Wertesystem der Mitarbeiter ändert sich. Deshalb testen wir mobiles Arbeiten, erst einmal in einer Abteilung, der IT und werden es in begrenztem Umfang auf andere Verwaltungsbereiche Anfang 2024 ausweiten. 

Edeka Hessenring

Die kleinste der Edeka-Regionalgenossenschaften hat das Jahr 2022 gut gemeistert. Der Konzernaußenumsatz stieg auf 2,642 Mrd. Euro. Das sind knapp 6 Prozent mehr als 2021,  wobei man die gestiegene Inflation mit berücksichtigen muss. Das Jahresergebnis ist nach Angaben des Unternehmens erwartungsgemäß auf 29,5 Millionen Euro gesunken, im Jahr zuvor standen noch 41 Millionen Euro zu Buche. Die Edeka Hessenring gibt zurzeit nicht bekannt,  wie sich die Regiemärkte und Märkte der selbstständigen Kaufleute entwickelt haben. Aber: In der Region hat man sich gut behauptet, der Marktanteil im Wettbewerbsgebiet lag 2022 bei über 38 Prozent. Damit hat Hessenring die starke Position gegenüber den Mitbewerbern behauptet. 

Hat das während Corona bei Ihnen nicht auch schon funktioniert?

Kramm: Schon, aber wir machen da nicht einfach weiter. Sondern besprechen erst einmal, was wir genau wollen: Gilt das beispielsweise auch für Auszubildende, Praktikanten und in der Probephase? Zudem schulen wir unsere Führungskräfte, wie sie erfolgreich mit verteilten Teams umgehen.

Sie organisieren Homeoffice also für zehn Prozent Ihrer Mitarbeiter. Wie sieht die Regelung konkret aus?

Kramm: Man kann bis zu 25 Tage im Quartal mobil arbeiten, je nach Anforderung und Aufgabe. Die Erwartungen an einen Systementwickler sind andere als die an Mitarbeiter bei der Hotline. Da muss man genau hinschauen. Wir gehen nicht den leichten Weg, sondern den, von dem wir überzeugt sind.

Vogt: Die Frage nach Home-Office ist mittlerweile entscheidend in Bewerbungsgesprächen. Die Frage nach dem Gehalt steht eher am Ende des Gesprächs, die Frage nach der neuen Arbeitswelt hingegen stellen die Kandidaten oft am Anfang.

Kramm: Wer Homeoffice anbietet, muss auch die Präsenz-Arbeitszeit neu organisieren. Wenn der Mitarbeiter in der Zentrale auch nur virtuell mit seinen Kollegen spricht, fragt er sich natürlich, warum er die Anreise auf sich genommen hat.

Es wird überall schwieriger, Mitarbeiter zu finden. Wie ist die Lage hier in Nordhessen?

Kramm: Die Edeka Hessenring hat eine starke Eigenkapitalquote. Aber jeden Tag wird offensichtlicher: Das wirkliche Eigenkapital ist das, was jeden Morgen und Abend über diese Brücke geht (zeigt auf die Brücke im Eingangsbereich, der über den kleinen Fluss Pfieffe führt). Wir sind Vollsortimenter, brauchen mehr Mitarbeitende in den Märkten und der Zentrale, verglichen mit Discountern. Mitarbeiter sind auch bei uns in Nordhessen die ganz große Herausforderung für die nächsten Jahre. Und: Es wird in den nächsten Jahren immer schwieriger werden, ausreichend gute Arbeitskräfte zu finden.

Wie gehen Sie damit um?

Kramm: Es gibt genau 573 Maßnahmen, die man ergreifen muss, um sich dem entgegenzustellen. Die Erste: Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir an allen Stellen mit weniger Personal auskommen und Prozesse andern müssen.

Welche konkreten Ideen haben Sie dazu?

Kramm: Nehmen Sie die Käse-Bedienungstheke. Wie gestalte ich das Thekenbild so, dass man es schneller einräumen kann? Müssen die Thekenkräfte wirklich morgens um halb sechs damit anfangen? Ziel ist es, die Theke in einer dreiviertel Stunde fertig zu haben. Dazu haben wir, auch gemeinsam mit unserem Fleischwerk, Konzepte entwickelt.  

...die Ihre Kaufleute an die Mitarbeiter weitergeben müssen.

Kramm: Die Kaufleute müssen das Bewusstsein für Veränderung schaffe. Das ist nicht einfach, zumal, wenn die Mitarbeiter seit 20 Jahren von sechs bis acht die Theke einräumen. Man muss alle mitnehmen: den Metzger, die Erstverkäuferin und jeden einzelnen Verkäufer. Das ist nur ein Beispiel, die Prozesse ändern sich an vielen Stellen. 

Wir hören gern ein weiteres Beispiel.

Kramm: Ich nenne die LKW-Fahrer. Zurzeit starten die ihre Touren jeden Tag zu einer anderen Uhrzeit. Das ist effizient für uns, passt aber nicht mehr zur Work-life-Balance. Daran müssen wir arbeiten. Wir denken außerdem intensiv nach, was man in den Läden automatisieren kann, etwa durch die Nutzung elektronischer Regaletiketten.

Ist die Umstellung auf elektronische Etiketten nicht schon erfolgt?

Vogt: Nein, bei uns haben viele Kaufleute noch Papieretiketten. Und wenn man das mit dem spitzen Bleistift rechnet, ist das auch die richtige Entscheidung. Elektronische Regaletiketten sind eine erhebliche Investition und fallen oft aus.

Kramm: Trotzdem ist es ein Punkt, mit man sich beschäftigen muss, denn hier kann man Arbeitszeit einsparen. Viele Prozesse in den Märkten sind nicht automatisiert. Noch werden die Bleche an der Backstation mit der Hand belegt. Doch die ersten Versuche, das zu automatisieren, laufen schon.

Vogt: Die Herangehensweise ist eine andere als früher. Der Händler muss sich fragen, wie viel er investieren will, um dem Personalnotstand entgegenzutreten.

Verschiedene Smart Stores arbeiten fast komplett ohne Personal. Haben Sie Ambitionen, ein solches Konzept in Ihrer Region auszuprobieren?

Kramm: Wir haben Ambitionen, so etwas so gut und lange es geht, zu vermeiden. Das sind  seelenlose Kiosk-Lösungen. Unsere Vorstellung, Lebensmittel zu verkaufen, ist das genaue Gegenteil davon. Wir wollen Atmosphäre schaffen, hochwertige Sortimente anbieten.  Dafür brauche ich Menschen, die einen Satz zu dem Steak oder Wollschwein-Schinken sagen können.

Vogt: Natürlich schauen wir uns das an, wir kaufen uns in solchen Smart Stores auch mal einen Schokoriegel oder eine Flasche Wasser. Aber wir haben keine Ambitionen, solche Konzepte voran zu treiben.

Zur Person

Florian Kramm und Sven-Olof Vogt 

Die Beiden haben Ende des vergangenen Jahres die Verantwortung bei der Edeka Hessenring übernommen: Florian Kramm, Sprecher der Geschäftsführung, kümmert sich um Vertrieb, IT, Logistik und Produktion. Kramm bezeichnet sich als „waschechten Nordhessen“, ist leidenschaftlicher Fußballfan und lebt mit seiner Frau und vier Kindern in Melsungen. Vogt kommt gebürtig aus Köln, sieht sich aber nicht als „typisch rheinische Frohnatur“. Er fühlt sich in seiner Wahlheimat wohl, vermisst den Karneval nicht, obwohl er früher Kinderprinz in seinem Heimatwort bei Siegburg war.