Özdemir-Vorstoss Containern könnte bald straffrei sein

Die Politik will Verschwendung von Nahrung im Handel reduzieren. Über das „Wie“ wird gestritten.

Montag, 30. Januar 2023 - Management
Manuel Glasfort
Artikelbild Containern könnte bald straffrei sein
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Das sogenannte Containern, also das Mitnehmen entsorgter Lebensmittel aus den Abfalltonnen der Supermärkte, könnte bald straffrei sein. Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) werben für eine entsprechende Änderung der Rechtslage, über die allerdings die Bundesländer zu entscheiden haben. Die beiden Ampel-Minister haben sich hinter einen Hamburger Vorschlag gestellt, der vorsieht, das Containern nicht mehr zu bestrafen, solange keine Sachbeschädigung vorliegt und kein Hausfriedensbruch, der über das einfache Überwinden eines Zauns oder anderen Hindernisses hinausgeht. Özdemir kommentierte das Vorhaben so: „In Deutschland landen leider noch viel zu viele Lebensmittel im Müll. Wer Lebensmittel vor der Tonne rettet, sollte dafür nicht weiter strafrechtlich verfolgt werden.“ Das Containern nicht strafrechtlich zu verfolgen sei ein Baustein von vielen im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung, so der Minister. Während manche Bundesländer wie Bremen und Niedersachsen Zustimmung signalisierten, reagierten andere Landesregierungen zurückhaltend bis ablehnend.

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
In den Abfallbehältern der Supermärkte landet Ware, die abgelaufen oder aus anderen Gründen unverkäuflich ist. Manches davon ist allerdings durchaus noch genießbar – und lockt die Lebensmittel-Freibeuter an. Diese wollen entweder ein Zeichen gegen Lebensmittelverschwendung setzen oder Geld sparen – oder beides. Unter den Lebensmittel-Freibeutern finden sich Studenten, Obdachlose und mittellose Rentner. Und in Zeiten stark steigender Lebensmittelpreise dürfte das „Containern“ eher beliebter werden.

Wer allerdings heute entsorgte Lebensmittel aus Containern holt, nimmt nicht nur ein gesundheitliches Risiko in Kauf, sondern auch ein juristisches. Erst 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass das Containern von Lebensmitteln Diebstahl ist, auch wenn die Ware aus Sicht des Händlers wertlos geworden ist. Damit scheiterte die Verfassungsbeschwerde zweier Studentinnen, die beim Containern erwischt und dafür mit Sozialstunden bestraft wurden. Allerdings sind bisher nur vereinzelt Fälle von Verurteilungen wegen Containerns bekannt geworden.

Gleichwohl: Dem Lebensmittelhandel schmecken die Pläne der Politik ganz und gar nicht. Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Lebensmittel (BVLH), Franz-Martin Rausch (s. Seite 40), lehnt eine Legalisierung ab, „unter welchen Voraussetzungen auch immer“. Rechtlich bestehe kein Handlungsbedarf. „Bereits heute bieten das Straf- und das Strafverfahrensrecht ausreichende Möglichkeiten, allen denkbaren Fallkonstellationen im Einzelfall Rechnung zu tragen.“ Außerdem weist er auf mögliche Gesundheitsrisiken hin: „Es können zum Beispiel Lebensmittel aus Warenrückrufen dabei sein, die mit Fremdkörpern wie Glas- oder Metallsplittern verunreinigt sein können. Solche Gefahren sieht man den Produkten nicht an.“

Größte Verschwendung fällt in Haushalten an
Vor allem aber zweifelt der Handel daran, dass das Containern einen wirksamen Beitrag im Kampf gegen Verschwendung leistet. Auf den Handel entfallen lediglich 7 Prozent der insgesamt 11 Millionen Tonnen an Lebensmittelabfällen, die jährlich in Deutschland anfallen. Das räumt auch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ein. Der weitaus größte Teil der Lebensmittelverschwendung fällt mit 59 Prozent in Privathaushalten an: 78 Kilo wirft jeder Verbraucher pro Jahr im Schnitt weg.
Und was sagen die Handelsunternehmen zum Thema? Ein Rewe-Sprecher weist darauf hin, dass die Rewe Gruppe bereits seit 1996 Lebensmittel, die nicht mehr verkauft, aber bedenkenlos gegessen werden können, an die Tafeln abgebe. „Ergänzend kooperieren Märkte auch mit Food‧sharing-Initiativen.“ Lidl verweist auf seine Bemühungen, Lebensmittelverluste und den organischen Abfall im Unternehmen bis 2025 um 30 Prozent zu reduzieren.

Kommentar von Elena Kuss Legalisierung ist überfällig!
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Die meisten Menschen haben sich wahrscheinlich noch nicht im Licht einer Taschenlampe das Innenleben der LEH-Container angeschaut. Ist ja auch verboten. Noch! Denn: Was im Container landet, sieht fast immer extrem appetitlich aus. Achtung, das ist nicht ironisch gemeint.
Egal ob Discounter oder Vollsortimenter. Egal ob Magdeburg, Hamburg oder in der Eifel. In den Containern finden sich oft so viele genießbare Lebensmittel, dass sich eine Wohngemeinschaft aus sechs Menschen bequem davon ernähren kann. Und ja, ich spreche hier aus Erfahrung.
Überwacht und umzäunt
Dass der LEH es nicht toll findet, wenn eine Wohngemeinschaft ihre Lebensmittelkosten auf wenige Euro im Monat senken kann, ist klar. Deshalb ist das Einzige, was sich in den letzten zehn Jahren wirklich konsequent verbessert hat, die Umzäunung und Überwachung der Abfallcontainer.
Rettet Genießbares!
Liebe Lebensmittelhändler, arbeitet – so noch nicht der Fall – mit den Tafeln zusammen. Rettet Genießbares über Apps wie Too good to go. Bestückt von Ehrenamtlichen betriebene Kühlschränke in Unis oder Jugendeinrichtungen. Verarbeitet Lebensmittel, kurz bevor sie im Abfall landen würden, in der eigenen Theke oder Gastronomie. Und lasst die Leute doch einfach straffrei in eure Mülleimer schauen!
 
Elena Kuss
ist Redakteurin bei der Lebensmittel Praxis. Sie hat in Magdeburg Neurowissenschaften und Psychologie studiert. In Hamburg hat sie beim Bauer Verlag volontiert. Jetzt lebt sie mit Mann und Sohn auf dem Land in der Eifel.
Zum Nachhören
Laure Berment, ehemalige Geschäftsführerin von Too good to go Deutschland, erklärt bei Regalplatz, dem Podcast der LP, wie Lebensmittel gerettet werden können. Das Gespräch finden Sie auf allen gängigen Podcast-Plattformen oder einfach den folgenden Link anklicken

 

Kommentar von Thomas Klaus Angriff auf die Werte
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Keine Frage: Jedes weggeworfene Lebensmittel ist eines zu viel, der Umfang der Lebensmittelverschwendung hierzulande nach wie vor deutlich zu hoch. Die Händler sind jedoch allein schon aus betriebswirtschaftlichen Gründen bestrebt, die Menge möglichst klein zu halten.
Doch noch landen in den LEH-Containern Lebensmittel en masse. Lebensmittel, die in der Regel hygienisch bedenklich sind. Andernfalls wären sie der Kundschaft angeboten worden.
Mir drängt sich, von dem Hygiene-Aspekt abgesehen, vor allem diese Frage auf: Welches Werte- und Rechtsverständnis zeigt sich, wenn es erlaubt wird, fremdes Eigentum mitgehen zu lassen, nur weil es aus Eigentümersicht wertlos geworden ist? Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 30. Januar 2019 die Schutzwürdigkeit des Eigentums – ob es nun anderen wertlos erscheint oder nicht – unterstrichen und vor Willkür gewarnt.
Welcher fatalen Fehlentwicklung im Denken und Handeln der Menschen wird mit dem staatlichen Go für das Containern womöglich im wahrsten Sinne des Wortes Tür und Tor geöffnet? Eine Legalisierung wirft zudem praktische Fragen auf, zum Beispiel: Die Bundesregierung will Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch beim Containern nicht gutheißen. Doch Containern und das Nichteindringen auf geschützte oder ungeschützte Firmengelände schließen sich aus. Eine Legalisierung liefe ins Leere.
 
Thomas Klaus
Redakteur der LP, ist seit 32 Jahren im Fachjournalismus tätig. Neben Handels- und Gastgewerbethemen ist allgemeine Wirtschaftsberichterstattung sein Schwerpunkt. Nach mehreren Angestellten-Stationen machte sich Thomas Klaus 2002 selbstständig. Klaus lebt im Landkreis Cuxhaven vor den Stadttoren von Bremerhaven. 
 
Zum Nachlesen
Wer das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Containern nachlesen möchte, kann das hier tun: