Immobilienmarkt 2023 Worauf der Handel achten sollte

Bauen oder mieten? Das ist hier die Frage. Eine Antwort fällt nicht allen LEH-Entscheidern leicht. Denn sowohl für das Mieten als auch für das Bauen sprechen Argumente – und dagegen ebenfalls.

Montag, 30. Januar 2023 - Management
Thomas Klaus
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Lidl erregte im Dezember Aufsehen, weil der Discounter als Reaktion auf die explodierenden Baukosten einen Ausschreibungsstopp bei neuen Projekten verfügt hatte. Ein heftiger Tritt auf die Bremse, nachdem noch im Geschäftsjahr 2021/2022 rund 450 Millionen Euro in Immobilien investiert worden waren. Außerdem hatten für die nähere Zukunft jede Menge Neueröffnungen und Modernisierungen in der Pipeline des Discounters gewartet.

HDE plädiert für „echte Partnerschaft“
Doch Mieten statt Bauen ist auch nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss. Zum Beispiel bedauern im „Hahn Retail Estate Report 2022/2023“ mit Blick auf 2022 satte 82 Prozent der Händler ungünstig gewordene Mietvertragskonditionen, während es 2021 erst 21 Prozent der Befragten gewesen waren.

Folgerichtig plädieren Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE), und Geschäftsführer Johannes Berentzen von der BBE Handelsberatung im Dezember in einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ für eine „echte Partnerschaft“ zwischen Mietern und Vermietern. Hintergrund seien die steigenden Indexmieten für die Händler („enorme Herausforderung“).

Lobend erwähnen die Autoren, dass sich inzwischen vereinzelt Vermieter zu einem gewissen Prozentsatz an Handelsunternehmen beteiligen. Genth und Berentzen wörtlich: „In diesem Fall kann der Vermieter nicht nur den gesamten Immobilienpart abdecken, sondern zum Beispiel auch die Logistik. Der Händler kann sich dadurch voll und ganz auf sein Sortiment, die Kommunikation und das Personal konzentrieren und ein einzigartiges Einkaufserlebnis schaffen.“

LEH volumenstärkstes Segment
Ob Bauen oder Mieten, klar ist – und das darf die Branche beruhigen –, dass der Lebensmitteleinzelhandel sich nach wie vor als ein begehrtes Pflaster für Investoren erweist. Grundsätzlich. Die Gruppe der Fach- und Lebensmittelmärkte sowie der Nahversorgungs- und Fachmarktzentren bildete im ersten Halbjahr 2022 erneut das volumenstärkste Segment am deutschen Einzelhandelsinvestmentmarkt, weiß der „Hahn Retail Estate Report 2022/2023“. Mit einem Transaktionsvolumen von 2,2 Milliarden Euro entfiel ein Anteil von 60 Prozent auf diese Handelsimmobilien-Gruppe.

Auch Thomas Kuhlmann, Vorstandsvorsitzender der Hahn AG, erlebt ein „sehr attraktives Marktsegment“. Edeka, Rewe, Kaufland, Aldi und Co. seien bonitätsstarke Mieter, „die beständig Mietflächen nachfragen und Interesse an sehr langfristigen Mietverträgen haben“. Ebenso langfristig würden sich Handelsimmobilien aus dem Lebensmitteleinzelhandel „weiterhin überdurchschnittlich gut entwi‧ckeln“, ist der Hahn-Chef überzeugt.

Aktuell jedoch halten sich die Investoren stärker zurück. Zum Beispiel berichtete der Immobiliendienstleister Savills im Januar mit Blick auf das vierte Quartal 2022 von einem Volumenrückgang bei den Fachmarktzentren auf 1,9 Milliarden Euro (minus 22 Prozent). Bei den Supermärkten und Discountern betrug das Minus mit 1,1 Milliarden Euro sogar 62 Prozent. Insgesamt schloss der deutsche Investmentmarkt für Handelsimmobilien 2022 mit einem Transaktionsvolumen von etwa 8,3 Milliarden Euro ab, sieben Prozent weniger als 2021. Im vierten Quartal waren es mit knapp 1,4 Milliarden Euro 48 Prozent weniger als im Vorjahresquartal.

Kluft bei den Erwartungen
Dr. Jan Linsin, Head of Research bei der CBRE GmbH, spricht von „dämpfenden Effekten auf das Marktgeschehen“ – ausgelöst durch die geopolitische Situation, die gegenwärtige Zinsentwicklung und sparwilligere Konsu‧menten. Transaktionen verzögerten sich, und es fänden insgesamt weniger Deals statt. Vor diesem Hintergrund müsse der Markt „ein neues Gleichgewicht finden“, meint der CBRE-Manager; die Kluft zwischen den Erwartungen auf Käuferseite und Verkäuferseite sei momentan zu groß.

Leicht zurückhaltend äußert sich ebenfalls Dirk Wichner, Head of Retail Leasing bei JLL Germany. „Es ist im Vergleich zu der absoluten Expansionsspitze 2020 und 2021 etwas ruhiger geworden“, sagt er. JLL Germany registriere weniger Anmietungen und weniger angemietete Fläche. Wichner erklärt sich das auch damit, dass der Drang der Discounter in die innerstädtischen Toplagen „deutlich schwächer“ geworden sei. Dort hätten nötige Sortimentsanpassungen nicht umgesetzt werden können. Hingegen bleibe die Nachfrage nach Objekten in unmittelbarer Nähe zur High Street, sprich in B-Lagen, stabil.

Trendthemen ESG und Mixed Use
Was das Geschäft aus JLL-Sicht ebenfalls ein wenig ausgebremst hat: Die Ketten, die viele ehemalige Real-Märkte übernommen hätten, seien mit der Umorganisation und Eingliederung dieser Märkte schwer beschäftigt. Dirk Wichner: „Hier werden Mittel investiert, die dann nicht mehr in die Expansion fließen.“ Mit Macht scheinen zwei Themen auf den Immobilienmarkt zu drücken und immer „trendiger“ zu werden, die lange Zeit vernachlässigt wurden – ESG zum einen und Mischnutzungen beziehungsweise Mixed-Use-Immobilien zum anderen. Bei Letzteren wird Nahversorgung mit Gewerbe, sozialen Einrichtungen, Büros und Wohnungen kombiniert.

ESG steht für „Environmental, Social and Governance“, also für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Vor allem auf europäischer Ebene führt an diesem Kürzel perspektivisch kaum noch ein Weg vorbei. So wollen es etwa die Entscheidungsträger der Europäischen Union, und so lässt es sich bereits an neuen verbindlichen Regularien ablesen. Das ESG-Wunschprinzip: Die ökologischen, sozialen und ethischen Kriterien sollen in Ratings bewertet und auf einen Score verdichtet werden.

Am Ende hängt der Zugang zu Fremd- und Eigenkapital wesentlich von der Performance des Unternehmens bei der Nachhaltigkeit ab. Und das beeinflusst den LEH-Immobilienmarkt erheblich. „ESG ist ein Riesen-Thema“, bestätigt auch der Immobilienexperte Joachim Stumpf. Der Geschäftsführer der BBE Holding und IPH Handelsimmobilien weiß: „Die damit verbundenen Zertifizierungen treiben auch die Kosten.“

Zertifizierungen treiben die Kosten
Auf den Lebensmitteleinzelhandel komme als Konsequenz aus den ESG-Anforderungen ein „hoher Sanierungsaufwand“ zu. Das prognostiziert Hildegard Höhlich, Senior Manager Immobilienmarkt und Immobilienfinanzierung Inland beim Verband deutscher Pfandbriefbanken. Angesichts der Frage „Bauen oder Mieten?“ legt sie sich fest: „In diesem Zuge werden viele Objekte durch Neubauten bei gleichzeitiger Flächenausweitung ersetzt werden.“

Bei der Beschäftigung mit den ESG-Anforderungen, die immerhin bereits 2004 konzipiert wurden, herrscht anscheinend Nachholbedarf im Immobiliensegment. ESG-Kriterien seien überraschend „lange bei vielen Projektentwicklungen kaum berücksichtigt“ worden, stellt Patrick Brinker fest. Er ist Head of Real Estate Investment der Frankfurter Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe.

Sieben Metropolen München vom Thron gekippt

Der Gewerbe-Preisspiegel des Immobilienverbandes Deutschland (IVD) beschreibt für 2022 ein uneinheit-liches Mieten-Bild in den Toplagen der sieben Metropolen Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt am Main, Stuttgart und Düsseldorf. Allerdings überwiegen Stagnation und Preisrückgänge. Frankfurt am Main steht jedoch besonders gut da, hat München als teuerste Stadt im Segment „Geschäftskerne 1-a-Lagen“ abgelöst. In Bayerns Hauptstadt wurden bei den kleinen Ladenflächen 280 Euro pro Quadratmeter abgerufen (minus 6,7 Prozent) und bei den großen mit 215 Euro 6,5 Prozent weniger. Frankfurt am Main hingegen vermeldet 290 Euro bei den kleinen Ladenflächen; 5,5 Prozent mehr. Bei den großen Ladenflächen tat sich mit 230 Euro nichts.

-14,9%

In Stuttgart fielen die Mieten für kleine Ladenflächen 2022 um 14,9 Prozent auf 200 Euro (Durchschnitt). Bei den großen Ladenflächen betrug das Minus 9,7 Prozent: 140 Euro wurden gezahlt.

9,1%

In Düsseldorf wurden für kleine Ladenflächen 2022 9,1 Prozent mehr gezahlt (280 Euro durchschnittlich). Bei großen Ladenflächen waren es mit 130 Euro 2,5 Prozent weniger

-4,2%

In Hamburg betrug der Mietdurchschnitt für kleine Ladenflächen 115 Euro und somit 4,2 Prozent weniger als 2021. Bei den großen Mietflächen waren es 215 Euro und somit 6,5 Prozent weniger. (Quelle: IVD)

Bei Mixed Use fehlt Investmentfähiges
Dieselbe Bank hat bereits im vergangenen Sommer einen weiteren Fonds für den Lebensmitteleinzelhandel mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit an den erfolgreichen Start gebracht. Schon der Vorgängerfonds habe im Vergleich zu diversen anderen Immobiliensegmenten bei einer stabilen Investorennachfrage nahezu keine Wertverluste verzeichnet, erläutert Brinker. Ähnliches erwartet er vom Nachfolger.

Das andere Immobilien-„Trendthema“ Mischnutzungen hat ebenfalls noch Luft nach oben. So beklagen die Immobilienfachleute von JLL, dass zwar einige Pilotprojekte großer deutscher Discounter (demnächst) vorhanden, aber investmentfähige Produkte kaum zu finden seien. Da müsse dringend nachgeliefert werden, meint man bei JLL. An dem Nutzen von Mischnutzungen zweifeln weder die JLL-Experten noch andere, die mit LEH-Immobilien Geld verdienen. Das geringe Gesamtausfallrisiko ist hier neben der Entlastung örtlicher Wohnungsmärkte eines der am meisten zündenden Argumente.

Immobilien-Thema mit noch mehr Facetten
Mixed-Use-Immobilien spielen zum Beispiel im jüngsten „GRR Basic Retail Report“ des Asset-Managers GRR Group und von Savills die Hauptrolle. Diesem Bericht zufolge wurden in den vergangenen fünf Jahren hierzulande im Durchschnitt 6,8 Milliarden Euro in gemischt genutzte Immobilien investiert; 2022 waren es 5 Milliarden Euro. Immerhin 53 Prozent der interviewten Investoren hätten Mischnutzungs-Objekte im Portfolio. Und das, obwohl Mixed-Use-Immobilien bei der Planung zeitintensiver und komplexer seien. Ärger könnte vorprogrammiert sein, falls die gemeinsame Nutzung im Vorfeld nicht genau abgesteckt wird. Klärungsbedürftig sind unter anderem die Aufteilung der Nebenkosten, Werbung auf den Fassaden – und vor allem die Geräuschemissionen aufgrund von Liefer- und Parkverkehr.