Veggie-Markt Wenn Käse ohne Milch auskommt

Vegane Käsealternativen? Gibt’s inzwischen an jeder Ecke, auch bei Aldi. Nische – war also einmal. Immer mehr setzen auf die „Neuen“: Molkereien, Start-ups und Hersteller pflanzlicher Produkte. Kein Wunder, denn Musik liegt in der Luft, weil nicht nur Kundschaft aus den Generationen Y und Z zum hochpreisigen Käse aus Pflanzen greift.

Freitag, 21. Oktober 2022 - Management
Dr. Friederike Stahmann
Artikelbild Wenn Käse ohne Milch auskommt
Bildquelle: Getty Images

Für viele Käsesorten gibt es inzwischen pflanzliche Alternativen, ob Walnuss-Parmesan über die Spaghetti, Cashewkern-Mozzarella für den Tomatensalat oder ein Raclettepfännchen, getoppt mit Käsescheiben auf Mandelbasis. Der Markt für veganen Käse bietet inzwischen fast für jede Käsesorte das vegane Pendant. Was zu Beginn eher nur dem Aussehen nach Käse ähnelte, hat auch geschmacklich nachgelegt und schmeckt – jedenfalls laut der Homepage des Herstellers Bedda – „so lecker wie das Original“. Was nicht selbstverständlich ist, weiß Ingo Müller, Geschäftsführer der größten deutschen Molkerei, der DMK: „Eine pflanzliche Käsealternative, die in Geschmack und Textur klassischem Käse entspricht, ist in der Entwicklung um ein Vielfaches herausfordernder als beispielsweise Haferdrinks.“ Scheint aber immer öfter zu gelingen.

Denn nachdem Milch- und Fleischalternativen ihren festen Platz im Kühlregal des Lebensmittelhandels gefunden haben, gehören inzwischen auch pflanzenbasierte Käsealternativen zum Standardsortiment. Was noch vor Jahren eher exotisch daherkam, ist heute ein Trend – vor allem in der SB-Variante.

Trend oder schon mehr?
Marktexperte Dr. Robert Kecskes von der Gesellschaft für Konsumgüterforschung (GfK) schreibt dazu im Consumer-Index vom Juni dieses Jahres: „Der ‚Plant Based‘-Trend befindet sich gerade in der Phase der Ausdehnung in den Mainstream.“

Der Erfolg der gelben Linie in der Variante „ohne Milch“ hat mehrere Väter. Laut einer Umfrage von Innova Market Insights von 2021 sind nur 5 Prozent der Deutschen Veganer (weltweit sind es 7 Prozent). Nun kommt das Aber: Im aktuellen Ernährungsbericht des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft geben 30 Prozent der Befragten an, regelmäßig pflanzliche Alternativen zu konsumieren. Den Aufschwung verdankt die Branche also vor allem den Flexitariern, die sowohl Fleisch als auch vegetarische und vegane Kost zu sich nehmen.

Innovationen treiben den Markt
Der Kundenwunsch nach Alternativen verhallt nicht ungehört. Ganz im Gegenteil: Immer mehr Hersteller reagieren. Start-ups wie Bedda, alteingesessene Veganproduzenten wie Violife (Tochter von Upfield) und auch klassische Molkereien – beispielsweise Hochland, Karwendel oder die DMK – überbieten sich mit Neueinführungen.

Wie dynamisch der Markt ist, zeigt sich beim Vergleich der Markteinführungen im deutschsprachigen DACH-Raum. In allen Kategorien der Milchersatzprodukte zeige sich ein stärkeres Wachstum als in den entsprechenden Kategorien der Milchprodukte, so das globale Marktforschungsunternehmen Innova Market Insights. Ganz konkret heißt das für die Kategorie Käse: Zwischen 2016 und 2020 lagen die durchschnittlichen jährlichen Markteinführungen im klassischen Bereich bei 4,7 Prozent, verglichen mit einem Wachstum von 16,6 Prozent bei pflanzlichen Käsealternativen.

Veganer Käse ist inzwischen in vieler Munde. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, denn bereits von 2019 auf 2020 erhöhte sich der Umsatz veganer Käsealternativen in Deutschland um 77 Prozent. Im Vergleich zum Umsatz 2018 ist das mehr als eine satte Verdoppelung. Mittlerweile macht die Nische innerhalb des veganen Sortiments einen Umsatz von rund 44 Millionen Euro und dürfte damit bald auf Augenhöhe mit den bisher beliebteren Konkurrenten veganer Joghurt- und Milchalternativen sein, so Nielsen Market.

In welche Münder geht aber konkret der Käse ohne Milch? „Vor allem junge Leute bis 49 Jahre gehören zu den Hauptverwendern“, weiß Caroline Zimmer, Geschäftsführerin von E.V.A., einem Tochterunternehmen des Allgäuer Käseherstellers Hochland. Und – interessanterweise – auch Nicht-Verwender greifen zu. „Wie wir aus unserem Consumer Insights wissen, kaufen Eltern und Großeltern unsere ‚Vega Lecker‘-Produkte sehr bewusst – und zwar für ihre Kinder und Enkelkinder“, so Insa Rücker für die gleichnamige ostfriesische Molkerei auf Nachfrage der LP.

Individualismus zählt
Die Esskultur hierzulande hat sich stark gewandelt. Ein veganer oder vegetarischer Lebensstil ist en vogue. Als Hauptgründe für die Verwendung veganer Käsealternativen werden Tierwohl, Nachhaltigkeit und gesundheitliche Aspekte angeführt. Vielfach sind es aber auch Neugier und der Wunsch nach Abwechslung. Dem pflichtete Gernot Döffinger, Marketingleiter bei den Karwendel Werken, anlässlich der Markteinführung des veganen Frischkäses „Exquisa“ bei: „Immer mehr Menschen setzen auf eine alternative Ernährungsform mit pflanzlichen Produkten.“

Fans wie Erstverwender können zwischen mehr als 40 pflanzlichen Käse-Labels in deutschen Online- und Off-line-Handelskanälen wählen. Interessanterweise sind nur wenige internationale Global Player der Lebensmittelindustrie darunter. Einen klaren Marktführer gibt es aber. Und der kommt interessanterweise aus dem Bereich der klassischen Milchverar‧beiter (Pendant: Rügenwalder Mühle). Und aus einer Region, wo sich viele starke Molkereien tummeln: aus dem Allgäu. Wir sprechen von Hochland und seiner Marke „Simply V“.

Laut eigenen Angaben hat man mit einem Marktanteil von mehr als 55 Prozent im Segment die Nase vorn. Und hat den Anspruch, „immer wieder mit neuen Produkten zu überzeugen, auf die Verbraucher förmlich gewartet haben“, so Geschäftsführerin Zimmer. So kam man im April dieses Jahres mit Grillkäsealternativen in drei Sorten auf den Markt. „Damit wurde eine neue, wichtige Trendkategorie mit einem Produkt erschlossen, das Verbraucher sich gewünscht haben“, gibt sich Caroline Zimmer selbstbewusst.

Aufs gleiche Pferd setzt auch der Norden. Rücker produziert ebenfalls einen veganen Pfannen- und Grillkäse in drei Geschmacksrichtungen. Hergestellt wird er aus den Rohstoffen Hanf und Erbsen. „Beide Grundstoffe sind nachhaltig und werden ohne Zugabe von Zusatzstoffen verarbeitet“, so Insa Rücker.

Ein Ganzjahresprodukt sind die „Genießerscheiben“ von Simply V. Aus Mandeln und Kokosöl gemacht, lassen sich damit Brote belegen, Ofenkartoffeln überbacken oder Salate kreieren.

Mit der „Bauern-Scheibe“ hat auch die Privatmolkerei Bauer veganen Käse ins Programm aufgenommen. Die Basisrezeptur setzt sich aus Wasser, Kartoffelstärke und Olivenöl zusammen und überzeugt so mit einer kurzen Zutatenliste. Unter der Submarke „Grünkraft“ gibt es vegane Käsescheiben in den Varianten „pur“, „Schnittlauch“ und „Tomate-Olive“.

Selbst Entwickeln oder zukaufen
Auch der Molkereiriese DMK setzt seit Kurzem auf vegane Käse. Nachdem man zu Jahresbeginn unter der Marke Milram vegane Desserts und einen veganen Kakao-Drink in die Supermarkt-Regale gebracht hat, folgte nun eine vegane Käsealternative. Unter dem Namen „Velander“ werden derzeit aber nur Industriekunden versorgt. „Das LEH-Geschäft bedienen wir derzeit (noch) nicht“, antwortet Oliver Bartelt, Pressesprecher, auf LP-Nachfrage, wann Endverbraucher eine vegane DMK-Käsevariante in den Mopro-Regalen fänden.

Weitere klassische Milchverar‧beiter tummeln sich nun auch im veganen gelben Bereich. So launchte Karwendel in seiner langen Tradition in der Herstellung sahnig-cremiger Milchprodukte im Oktober 2021 unter der starken Marke „Exquisa“ eine pflanzliche Frischkäsealternative auf Kichererbsenbasis in zwei Sorten (Natur, Kräuter der Provence).

Einen anderen Weg beschreibt Bel Group. Im Juni 2020 erwarb man das Start-up-Unternehmen All in Foods, ein Familienunternehmen mit dem Fokus auf der Entwicklung innovativer pflanzlicher Käsealternativen. Seit April 2021 ist unter der Marke „Nurishh“ ein Großteil des Sortiments im deutschen Handel erhältlich: vegane Käsescheiben in den Geschmacksrichtungen „natur“ und „Cheddar“, veganer Reibekäse und eine Weichkäsealternative, alles auf Kokosölbasis und jeweils in Verbraucher-Einheiten.

Handelsmarken werden stark
Die Vielfalt an alternativen Käsen ist groß. Auch an Herstellern. Nicht zuletzt, weil Deutschland in Europa einen der am stärksten wachsenden Märkte für Käsealternativen hat. Neben Wachstum locken auch gute Margen. So kosten in der 40. Kalenderwoche bei Kaufland SB-Käsescheiben eines Markenherstellers 13,79 Euro je Kilogramm. In der veganen Variante mussten Käufer dafür aber 19,79 Euro je Kilogramm bezahlen.

Was bedeuten sinkende Kaufkraft durch die hohe Inflation und eine wachsende Preissensibilität der Kunden für den Boom der veganen Käse? Dazu hat Insa Rücker eine ganz klare Meinung: „Wer sich für einen bewusst veganen Lebensstil aus Überzeugung entscheidet, der wird dies auch unabhängig von Krisen weiterhin tun“, und sie schränkt gleich ein, „sofern das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt.“

Genau an diesem Punkt kommen Nicht-Herstellermarken ins Rennen. „Hohe Wachstumsraten verzeichnen derzeit vor allem die Handelsmarken und Discounter“, spürt Caroline Zimmer vom Marktführer Simply V die veränderte Marktlage. Dies sei auf das veränderte Kaufverhalten wegen der Inflation zurückzuführen.

Was bleibt also Herstellern von Käse ohne Milch? „Bei allen akut wichtigen Fragen des Preises sind für Herstellermarken in diesen Krisenzeiten vor allem Werthaltungen wichtiger denn je, um die kreative Mittelschicht der Zukunft für sich zu gewinnen“, ist Marktexperte Dr. Robert Kecskes überzeugt.