Themensupermärkte Ambiente muss Frequenz bringen

Manche Händler geben viel Geld für einen außergewöhnlichen Ladenbau aus. Aber lohnt sich das wirklich? Eine Studie zeigt, dass Stimmung und Wohlfühlatmosphäre im Markt immer wichtiger werden.

Dienstag, 14. Dezember 2021 - Management
Elena Kuss
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Bildquelle: Alexander Münch

Wildwest-Romantik: Wolfgang und Kerstin Burmeister haben ihren Edeka-Markt in Bad Segeberg umgebaut und im Karl-May-Stil wiedereröffnet. 4,5 Millionen Euro haben sie sich das kosten lassen. Der Leergutraum erinnert an einen Pferdestall, es gibt Lasso-Lampen, Cowboyhüte und ein Kalkbergpanorama an der Wand. Mitten im Markt steht eine hölzerne Kutsche. Dass die Edekaner damit den Nagel der Zeit auf den Kopf getroffen haben könnten, zeigt eine neue Studie des Instituts für Handelsforschung (IFH) zum Thema Innenstädte. 84 Prozent der Befragten wünschen sich die Innenstadt als „einen Ort zum Wohlfühlen und Leutetreffen“. Gleichzeitig gebe es immer weniger Gründe, die Innenstadt aufzusuchen. Die Verweildauer habe während der Corona-Pandemie stark abgenommen. Der Ansturm auf die Innenstädte nach dem Lockdown ist, anders als erwartet, nicht eingetreten. Boris Hedde, Geschäftsführer des IFH Köln, macht deutlich: „Wir sind mitten in einer Veränderung – und zwar strukturell und branchenübergreifend.“

Was also tun? Bernhard Schweitzer, Geschäftsführer des Ladenbauers Interstore Schweitzer, fordert: „Der Handel muss jetzt wirklich aus seinem kleinen Dornröschenschlaf erwachen.“ Der umsatzstärkste Ort pro Quadratmeter sei die Couch. Und es werde immer schwieriger, einen Kunden zu motivieren, von dieser Couch aufzustehen. Schweitzers Lösung: Die Kundenerfahrung muss größer und besser sein, damit der Konsument sich entscheidet, eben doch das Haus zu verlassen. Hedde stimmt zu und empfiehlt deshalb mit Nachdruck: „Einzelhändler müssen auf das Thema Ambiente gehen.“

Genau das war auch das Ziel von Edekaner Wolfgang Burmeister. „Besser als über Karl May kann man sich mit Bad Segeberg nicht identifizieren“, findet der Kaufmann. Und auch Tobias Maria Günter, Partner bei Simon, Kucher & Partners, stimmt zu. „Themensupermärkte setzen auf die Marketingschiene“, sagt Günter. „Ich finde, das ist ein sympathischer und auch cleverer Ansatz.“

Ambiente! Aber welches?
Dabei ist es gar nicht so einfach, einen „Ort zum Wohlfühlen“ zu kreieren. Widersprüchliche Ladenbau-Trends von Industriecharme bis edel geben sich sprichwörtlich die Klinke in die Hand. Eine Möglichkeit mit dauerhafter Aktualität ist es, ein typisches Thema der jeweiligen Stadt auszuwählen. Konkret: Karl May bleibt eng mit Bad Segeberg verknüpft – auch noch in 20 Jahren.
Anders sehe es mit spitzeren Themen aus. Ein Edeka in Loxstedt hat seine Einrichtung beispielsweise der Krieg-der-Sterne-Saga „Star Wars“ verschrieben. „‚Star Wars‘ ist zwar ein Klassiker“, sagt Berater Günter. Gleichzeitig sei die Zielgruppe der wirklichen Fans in Loxstedt aber möglicherweise zu klein. „Wichtig ist, dass die Gestaltung niemanden abschreckt“, so Günter.

Wann ist es zu viel?
Hier hilft es oft, einen kleinen Test zu fahren. Edeka Fitterer in Rülzheim, ein Markt mit nostalgischem Zirkusmotto, hatte beispielsweise geplant, den Kunden passend zum Thema frisches Popcorn am Ladeneingang anzubieten. An den Einkaufswagen sollten Halter für die Retro-Tüten installiert werden. „Zum Glück haben wir zuerst nur eine Popcornmaschine gemietet und es für ein Wochenende getestet“, sagt Andreas Fitterer. Denn das Popcorn kam nicht so gut an. Was also tun?

Wann wird es wirtschaftlich?
Ganz einfach: „Entweder kann der Durchschnittsbon erhöht werden oder die Kundenfrequenz“, sagt Berater Günter. Eine thematische Gestaltung könne zu beidem führen. Zum Beispiel könne man ein regionales Angebot für Touristen fahren, die mit höherer Preisbereitschaft auch für höhere Erträge sorgen können.

Der Kiez-Penny auf der Hamburger Reeperbahn, der mit Leuchtreklamen, Graffiti und frechen Wandsprüchen Atmosphäre und Lebensgefühl der „sündigsten Meile der Welt“ widerspiegeln soll, setzt beispielsweise auch auf Touristen. In der aktuellen TV-Kampagne „Wer günstig will, muss Penny“ wirbt der Discounter mit dem Markt und seiner Patin Olivia Jones, die Touristen auf ihrer berühmten Kiez-Tour durch den Penny führt. Gleichzeitig habe Tourismus immer nur eine zeitlich begrenzte Saison. Es wird eher kein Wocheneinkauf getätigt. Auf Touristen sollten Händler also nicht unbedingt ganzjährig setzen. „Wir wollten einen Markt für die Stadt und die Mitarbeiter“, macht auch Edekaner Burmeister deutlich. Der Medienrummel – bis hin zur „Bild“ – nach der Eröffnung seines Karl-May-Marktes hatte den Kaufmann überrascht. Wie wertvoll die Publicity auf lange Sicht sein wird, muss sich noch zeigen.

Auch der Kiez-Penny will hauptsächlich auf die Anwohner setzen. „Der Penny-Markt Kiez zeigt, dass wir dort sind, wo die Menschen leben. Wir bieten den Service des Einkaufs um die Ecke mit Sortimenten, die auf jeden Standort optimal zugeschnitten sind“, sagt Claus-Dieter Ziemann, Leiter der Penny-Region Nord.

Der Lebensmittel-Einzelhandel ist kompetitiv. „Ein außergewöhnlicher Look hilft, sich gegen die Masse abzusetzen“, behauptet Günter. Preise, Sortiment, Promotions, Loyalitätsprogramme und Marketing seien generell die wirksamen Drehschrauben im harten Wettbewerb. Mit aufwendiger Dekoration kann ein anderes Einkaufserlebnis geschaffen werden, das Kunden einem Standard-Markt vorziehen.

Boris Hedde vom IFH ergänzt ‧Themenkomplexe wie Nutzungsmischung und Gastronomie. „Unsere Studie zeigt, dass sich die Verweildauer durch Gastronomie stark erhöht.“ Auch ist das gastronomische Angebot oft ein Grund, mit der ganzen Familie zum Einkaufen zu gehen. Wie dabei die Fläche möglichst vielfältig genutzt werden kann, zeigt Interstore Schweitzer beispielsweise in einem Mega-Projekt, in dem Fitness, Wellness und Entertainment mit 8.000 Quadratmetern Lebensmitteln kombiniert werden. Kein Einkaufszentrum, keine Fashion-Stores, sondern Dienstleistungen – und dazu gehören eben auch Lebensmittel und gastronomische Angebote. Wichtig für Lebensmittel-Einzelhändler: Die Preise des Standard-Sortiments dürfen deshalb jedoch nicht steigen. „Natürlich kann man Zielgruppen in den Markt locken, denen der Preis relativ egal ist“, erläutert Günter.

Trotzdem dürfe man nicht vergessen, wie groß der Kundenkreis tatsächlich ist, dem der Preis wichtig bleibt – egal wie der Markt aussehe. Bestehende Kunden dürften durch einen außergewöhnlichen Umbau nicht verloren gehen.

Kann man ein Erfolgsmodell in mehreren Märkten umsetzen? „Dasselbe Thema über mehrere Filialen auszurollen, erscheint nicht sinnvoll“, verneint Günter. Themenmärkte könnten nur indivi‧duell und mit einem standortgerechten Motto funktionieren. Ein spezielles Thema national auszurollen werde sich höchstwahrscheinlich wirtschaftlich nicht dauerhaft lohnen.