Social Media Haltung zeigen

Die sozialen Medien ermöglichen eine neue Form der Kommunikation. Frederik Bergmann, Marketing Manager für alkoholfreie Getränke in der Berentzen- Gruppe, und Stephan Susen, Leiter Corporate Marketing und Unternehmensstrategie, erklären, warum ein neues Produkt nicht zwingend zu mehr Abverkauf führt als eine Social-Media-Kampagne.

Donnerstag, 02. Dezember 2021 - Management
Elena Kuss
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Bildquelle: Berentzen

Die Marke Mio Mio der Berentzen-Gruppe hat 2021 eine Kampagne mit dem Thema Organspende gekonnt von den sozialen Medien bis an den Point of Sale (PoS) umgesetzt. Dagegen wirkt der Berentzen-TV-Spot von 1994, in dem ein Mann ein Herz in einen Apfel schnitzt und ihn galant einer Dame zurollt, eher einfach. Die Botschaft von damals, die Berentzen 2009 als Plakat wieder aufleben ließ – „Komm raus aufs Land“ –, wird um Aussagen wie „Berentzen ist Spaß im Glas“ ergänzt.

Ganz anders mutet die dreistufige Kampagne von Mio Mio an, die gemeinsam mit Junge Helden entwickelt wurde. Der Verein klärt seit 2003 über Organspende auf und setzt sich für das Tragen eines (digitalen) Organspendeausweises ein. Die Marke der Berentzen-Gruppe entwickelte eine sogenannte Helden-Edition, bestehend aus Original-Mate im Organspendeausweis-Look. Passend dazu wurden eigene Organspendeausweise produziert – natürlich mit Mio-Mio-Logo. Flankiert wurde die Aktion durch einen Kreativ-Contest, bei dem die Community eigene Themen-Designs einreichen konnte. Die zwei besten Motive wurden anschließend als T-Shirt produziert und im zweiten Teil der Kampagne zusammen mit den Flaschen und Organspendeausweisen online als limitiertes Helden-Paket verkauft. Der daraus erzielte Erlös ging an den Verein Junge Helden. Die Boxen waren binnen eines Wochenendes ausverkauft. Ein Erfolg. Namhafte Influencer teilten die Aktion.

In der dritten Phase geht die Aktion an den PoS. Unter anderem werden Organspendeausweise in Dispensern am Regal und an Zweitplatzierungen verteilt. Die Botschaft? Mio Mio ist eine Haltungsmarke, die wichtigen Themen eine Bühne gibt.

Warum passt das Thema Organspende zu Mio Mio?
Frederik Bergmann: Mio Mio steht für Belebung. Nicht nur für den Körper, sondern auch für den Geist. Die Marke steht für Kreativität und Haltung. Organspende erfordert eine Haltung. Mio Mio ging es darum, dem Thema eine Bühne zu geben. Welche Haltung – also ob dafür oder dagegen –, ist dabei nicht wesentlich, sondern die Auseinandersetzung mit dem Thema. Wesentlich ist vielmehr, überhaupt eine Entscheidung zu treffen.

Wenn man sich alte Spots von Berentzen anschaut, wo ein Schauspieler ein Herz in einen Apfel schnitzt und ihn einer Schauspielerin zurollt, sieht man, wie sehr sich die Werbung der Berentzen-Gruppe verändert hat. Welche Rolle spielen dabei Social Media?
Stephan Susen: Die beiden Kampagnen lassen sich nur schwer vergleichen, nicht nur was die Kommunikationskanäle angeht. Viele Themen haben 1994, dem Jahr, aus dem der Apfel-Spot stammt, noch keine Rolle gespielt. Die Welt ist eine vollkommen andere. Nehmen wir als Beispiel Nachhaltigkeit. Solche globalen Themen treiben die Menschen heute viel mehr um. Darauf reagiert auch Werbung hinsichtlich der transportierten Inhalte. Und zu den veränderten Kanälen: Social Media haben uns vor allem die sogenannte Zwei-Wege-Kommunikation gebracht. Wir kommunizieren über einen Spot mit den Konsumenten, die dann über Social Media reagieren und so wiederum mit uns kommunizieren.

Ist das ein Vor- oder Nachteil?
Susen: Beides. Social Media bringen eine hohe Dynamik und Flexibilität mit sich. Saisonalitäten können stärker gespielt werden. Auch das Bewerben unterschiedlicher Zielgruppen ist präziser möglich. Aber Marken müssen sich auch stärker mit der eigenen Haltung auseinandersetzen. Generell sind die Konsumenten kritischer geworden. Marken müssen auf allen Ebenen glaubwürdig agieren.

Welche Rolle spielt Glaubwürdigkeit bei Mio Mio?
Bergmann:
Glaubwürdigkeit ist das A und O bei uns. Wir haben eine kritische Zielgruppe. Eine coole Geschichte reicht für uns nicht aus. Getränke, die einen Mehrwert bieten wollen, haben oft eine Zielgruppe, die eine Haltung von der konsumierten Marke erwartet. Organspende ist ein Beispiel für ein Haltungsthema.

Welche Rolle spielt der Partner Junge Helden bei der Kampagne?
Bergmann:
Wir sind nicht die Experten für Organspende, und das wollten wir auch nicht behaupten. Wir haben uns deshalb mit den Jungen Helden zusammengetan, die seit 2003 wirklich für dieses Thema stehen. Nur mit einem Partner, der das Thema authentisch verkörpert, wird eine Kampagne wirklich glaubwürdig.

Erhöhen Influencer, die die Aktion teilen, die Glaubwürdigkeit?
Bergmann:
Ja. In diesem Fall schon. Um eine größere Streuung in unsere Reichweite zu bekommen, haben wir ausgewählte Influencer angeschrieben und ihnen das Mio-Mio-Helden-Editions-Paket zugeschickt. Den Post haben sie dann ohne monetäre Gegenleistung abgesetzt. Einfach weil ihnen das Thema wichtig ist.

Also eine besonders kostengünstige Aktion?
Bergmann:
Intern hat uns das eine Menge Manpower gekostet. Damit so eine Aktion nicht nach hinten losgeht, bedarf es einer guten Vorbereitung. Die Community hatte extrem viele Fragen, die beantwortet werden mussten. Und bei so einer kritischen Zielgruppe kommen nicht nur Fragen wie „Wo gibt es die Mio Mio im Organspende-Look zu kaufen?“, sondern auch „Warum denn jetzt Organspende?“ Solche Fragen müssen fast ohne Zeitverzögerung beantwortet werden. Das wird erwartet.

Wie sieht das bei Berentzen in der alkoholhaltigen Sparte aus?
Susen:
Für eine Haltungsmarke wie Mio Mio liegen gesellschaftsrelevante Themen wie Organspende nahe. Bei Berentzen steht eher das Feiern in Gemeinschaft im Vordergrund. Trotzdem sind für uns als Unternehmensgruppe und damit auch für unsere Spirituosenmarken Themen wie Nachhaltigkeit und Verpackung relevant. Das erfordert natürlich auch eine glaubwürdige Haltung.

Wie messen Sie den Erfolg Ihrer medialen Kampagnen?
Susen:
Die Messung war schon immer schwierig und wird sich auch nicht vollkommen zufriedenstellend auflösen lassen. Wir haben Daten, die wir unterschiedlich lesen können und müssen. Am Ende zählt der Abverkauf im Regal. Das ist einfach die harte Währung, die immer noch am stärksten zählt.

Wenn es um den Abverkauf geht: Sind neue Produkte nicht effektiver als Haltungskampagnen?
Bergmann:
Ja und nein. Wir haben gerade eine Mate Zero auf den Markt gebracht. Zero-Produkte im Allgemeinen werden aber auch von vielen abgelehnt. Wir sind uns zwar sicher gewesen, dass eine Mate Zero gut ankommen würde, da wir vorher viele Zuschriften bekommen hatten. Grundsätzlich ist es aber immer ein Mix aus Produkt und Kommunikation. Stammkäufer motiviert man eher mit Haltungskampagnen. Mio Mio hat eine Wiederkaufsrate von über 58 Prozent. Das ist für mich der wichtigste KPI (Key Performance Indicator). Mehr als jeder Zweite bleibt bei der Marke. Um dies auszunutzen, liegt unser Absatzpotenzial insbesondere auf der Seite der Käuferreichweite – also der Neukundengewinnung. Da helfen auch neue Produkte, weil dadurch Menschen gewonnen werden, die vorher noch nicht das passende Produkt in der Markenrange gefunden hatten.

Susen: Mit den Berentzen-Creamers-Varianten ist uns das gelungen, was uns viele Jahre zuvor eben nicht gelungen war. Wir haben davor immer neue Geschmacksrichtungen auf den Markt gebracht, die letztendlich nur zur Kannibalisierung der anderen Geschmäcker geführt haben. Mit den Creamers erreichen wir eine vollständig neue Zielgruppe. Eine Studie der GfK hat das jüngst bestätigt: Creamers und Fruchtige haben einen Nebeneinanderverwendung von nur 0,9 Prozent. Das ist wirkliches Zusatzgeschäft.