Hamsterkäufe Wird’s wieder knapp?

Im vergangenen Jahr wurden Nudeln und Toilettenpapier zu Symbolen des „Hamsterns“. Wirklich knapp waren sie nicht. Doch werden diese Produkte 2021 tatsächlich noch zu knappen Gütern? LP hat nachgefragt.

Donnerstag, 02. Dezember 2021 - Management
Thomas Klaus
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Die Zurückhaltung der Hersteller von Toilettenpapier – sie ist beinahe mit Händen zu greifen. Entweder ließen sie die LP-Anfrage „Droht eine Verknappung?“ unbeantwortet oder sie antworteten, besser nicht antworten zu wollen.

Eine Ausnahme bildete Tobias Lüning, Senior Vice President Central Europe und Country Manager Germany des Herstellers Metsä Tissue. Dass Toilettenpapier knapp werden wird, glaubt er für absehbare Zeit zwar nicht. Aber gegenüber LP verdeutlicht er, welchen großen Herausforderungen sich die Branche im Allgemeinen und sein Unternehmen im Speziellen gegenübersehen.

Bei der Verfügbarkeit und Qualität von Recycling-Rohstoffen für die Tissue-Produktion hätten sich die Probleme „verschärft“ – und das europaweit. Lüning verankert die Gründe bei der hohen Nachfrage nach Zeitungspapier für die Verpackungsindustrie und einem starken Rückgang beim Büropapierverbrauch. Die zunehmende Telearbeit spielt ihm zufolge ebenfalls eine Rolle.

Die Corona-Pandemie hat den Altpapier-Sektor vom Kopf auf die Füße gestellt – mit Auswirkungen auf die Herstellung von Toilettenpapier. Das bestätigt Gregor Andreas Geiger im LP-Gespräch. Er ist Bereichsleiter für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Verband Die Papierindustrie e. V. (vorher: Verband Deutscher Papierfabriken). Die Lockdowns, schildert Geiger, hätten zu einem „sichtbar geringeren Aufkommen aus Handel und Gewerbe“ geführt. Selbst durch den erheblichen Verpackungsverbrauch beim E-Commerce mit Privathaushalten habe das nicht ausgeglichen werden können. Das erkläre das „anhaltend hohe Niveau“ bei den Preisen, sagt Geiger. Gleiches gelte für Zellstoff. Hier würden die Preise vor allem durch starke Nachfrage aus China getrieben – ebenso durch das Fehlen zusätzlicher Kapazitäten in Mittel- und Südamerika.

Ein präziserer Blick nach China macht die Verwerfungen an den Zellstoffmärkten noch klarer. Denn seit Januar 2021 wirkt der Bann von Altpapier-Importen, der vom chinesischen Umweltministerium verfügt wurde. Der sorgt für eine Lücke von mehreren Millionen Tonnen, nachdem die Volksrepublik 2020 noch knapp acht Millionen und 2017 sogar annähernd 28 Millionen Tonnen Altpapier eingeführt hatte. Früher gelangten viele Pappkartons aus dem westlichen Handel zurück nach China. Das ist heute nicht mehr so. China hat deshalb den Import von Frischfaser-Zellstoffen forciert. Mitbewerber beim Einkauf: Toilettenpapier-Hersteller aus der Bundesrepublik.

„Schwierigkeiten halten an“
Als wenn das alles nicht schon übel genug wäre, wird die Rohstoffknappheit durch die weltweiten Probleme im Seeverkehr, die damit verbundene Knappheit von Containern und massiv steigende Frachtraten befeuert. Auch der für die Papierindustrie mit Abstand wichtigste Straßenverkehr habe sich durch die CO2-Bepreisung des Treibstoffes sichtbar verteuert, erläutert Gregor Andreas Geiger.

Zu einer immer größeren schwarzen Wolke am Himmel wird ebenfalls der Mangel an Berufskraftfahrern in Deutschland. Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) spricht von 60.000 Fahrerinnen und Fahrern, die bereits jetzt fehlen. Und die Tendenz geht nach oben.
Die Altpapier-Lage beunruhigt die Papierindustrie außerordentlich. Schließlich ist sie mit einer Altpapiereinsatzquote von 78 Prozent weltweiter Spitzenreiter im Papier-Recy‧cling. Nach den jüngsten Zahlen des Verbandes Die Papierindustrie wurden 2019 rund 17,1 Millionen Tonnen Altpapier zur Herstellung von Papier, Karton und Pappe eingesetzt.

Die schwindelerregenden Schwierigkeiten bei Verfügbarkeit und Qualität von Recycling-Rohstoffen werden nach Auffassung von Metsä-Tissue-Manager Tobias Lüning „auch in Zukunft anhalten“. Jani Sillanpää, Senior Vice President Nordics von ‧Metsä Tissue, konstatiert: „Das Ganze kommt für uns zwar nicht überraschend, aber beschleunigt sich schneller als erwartet.“

Lindert Stroh das Problem?
Im Werk von Metsä Tissue im schwedischen Mariestad kam es deshalb bereits zu vorübergehenden Einschränkungen der Produktion. Die werden wohl keine Ausnahmen bleiben.

Und was richtet diese Situation bei den Preisen an? Tobias Lüning drückt das verklausuliert aus: „Normalerweise wird der Inflationsdruck, der von der Verknappung von Materialien und Arbeitskräften sowie den hohen Energiekosten ausgeht, auf dem Markt in Form von Preissteigerungen sichtbar werden. Und auch wir müssen diesen Druck auf unsere Preise übertragen.“ Sprich: Die Preise steigen. Metsä Tissue reagiert mit einer neuen Rohstoffstrategie, die ebenfalls für Deutschland gilt: „Wir konzentrieren uns auf Frischfasern als Hauptrohstoff.“ Das Werk Mariestad in Schweden werde mit Schwerpunkt auf Frischfaserproduktion erweitert, ergänzt Sillanpää.

Mit grundlegenden Umstellungen bei der Produktion antwortet ebenfalls der Marktführer Essity auf die dramatische Rohstoff-Problematik. Er will vermehrt Stroh anstatt Holz verwenden. Grund: Die Zellstoffe seien vergleichbar; sie überzeugten gleichermaßen als weich, weiß und stark. Aber Stroh stehe im Gegensatz zu Holz lokal und massenweise zur Verfügung, erläutert das Unternehmen.

Und Essity macht Ernst: Die erste Produktionsanlage dieser Art auf dem Kontinent wurde im September in Mannheim, dem größten Fertigungsstandort in Europa, ihrer Bestimmung übergeben. Dort werden heute schon 220.000 Tonnen Zellstoff aus Frischholzfasern hergestellt und zu Hygienepapieren verarbeitet. Nun kommen zusätzlich 35.000 Tonnen Strohzellstoff dazu.

Derweil widerspricht Gregor Andreas Geiger der These, wonach Toilettenpapier zwischenzeitlich knapp gewesen sei. Die vorübergehende Nichtverfügbarkeit 2020 sei durch „Panikkäufe“ ausgelöst worden. Es sei nicht mehr verbraucht, sondern „gebunkert“ worden. Dem Handel rät der Bereichsleiter für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, er möge „bei einem ähnlich irrationalen Kaufverhalten“ die Einzelverkaufsmengen auf haushaltsübliche Mengen begrenzen.