Laut Berufsbildungsbericht 2019 wird mehr als jeder vierte Ausbildungsvertrag vorzeitig gelöst. Um diesem Trend entgegen zu wirken, müssen sich die Unternehmen etwas einfallen lassen. Die Rewe Mitte hat deshalb ein altbewährtes Konzept neu belebt und 46 Auszubildenden die Führung des Rewe-Markts im Taunuscarré in Friedrichsdorf eine ganze Woche lang überlassen.
Vor elf Jahren hatten Auszubildende der Rewe Mitte zuletzt die Möglichkeit, eigenständig einen Markt zu führen. „Es reden aber immer noch alle davon“, erzählt Ferhat Güngör, Auszubildender im zweiten Lehrjahr. Und macht damit den hohen Stellenwert der Aktion für die Auszubildenden deutlich.
Trotz aufwändiger Organisation lohnt es sich
„Mit dem Projekt wollen wir die Azubis motivieren“, erklärt Heike Frey, Gebietsmanagerin Ware Service & Gastro bei der Rewe. Verkaufsleiter Joachim Schmitt habe sich zusammen mit dem Außendiensteam dafür eingesetzt, dass Azubis der Rewe Mitte wieder einen Markt führen können. Die Organisation sei sehr aufwendig. Die Arbeit beginnt schon lange vor der eigentlichen Aktion: Die Auszubildenden müssen sich auf Positionen wie Teamleiter und auf ein bestimmtes Sortiment wie Getränke oder Metzgerei bewerben. Die Organisatoren bilden Teams, die die Aufgaben dann unter sich verteilen. Dafür haben sich die Azubis bereits im Sommer getroffen, fast ein halbes Jahr vor der eigentlichen Aktionswoche. Und auch während des Projekts sind weitere Hände nötig. Auf acht Azubis kommen beispielsweise zwei Coachs, die für Fragen bereitstehen. Und trotzdem: Es lohne sich, findet Frey.
Motiviert sortieren die Jugendlichen zwischen 16 und 24 Jahren Waren ein, bedienen an den Theken, räuchern vor Ort Lachs, den sie zur Verkostung anbieten. Bis auf die Arbeit an den Kassen übernehmen die Auszubildenden der Rewe Mitte alle anfallenden Aufgaben. Dazu kommen Aktionen, die sie im Team erarbeitet und umgesetzt haben. Besonders positiv fällt den Azubis auf, dass sie sich menschlich weiterentwickeln. Soft Skills sammeln, wie es so schön heißt. Um diese auch professionell zu beleuchten, ist zusätzlich Ulrich Sladkowski, Consulting Training Coaching, im Haus. „Das Hauptthema ist Kundenzufriedenheit“, erklärt der Coach. Umso schöner, dass das Feedback der Kunden zur Azubi-Woche durchweg positiv ausgefallen ist.
Weiterentwicklung bleibt wichtiges Argument für Azubis
Über die Gastfreundschaft, die im Handel oft über allem steht, dürfen die Mitarbeiter nicht in Vergessenheit geraten. Wie kann ich mit Situationen so umgehen, dass nicht nur der Kunde, sondern auch ich als Mitarbeiter glücklich bin? Ulrich Sladkowski gibt Tipps. Der Favorit der Azubis: Erst Mal ruhig bleiben und sich vielleicht eine Minute nehmen, um wieder runterzukommen. Dann die Aufgaben strukturieren und ohne unnötige Hektik abarbeiten.
Ali Barai, Teamleiter der Bedientheken, konnte diese Technik auch sofort anwenden. Es habe eine richtige Grippewelle gegeben und viele Azubis seien kurzfristig ausgefallen. Barai sei trotzdem ruhig geblieben und habe mit den zur Verfügung stehenden Kräften eine Lösung gefunden, indem einige seiner Mitarbeiter weitere Aufgaben übernommen haben. Zusätzlich hat er die Festangestellten um Unterstützung gebeten. „Ich habe in der Woche gelernt, wie ich mit Mitarbeitern als Führungskraft umgehen kann“, sagt der Auszubildende. „Ganz ehrlich, wir lernen hier Sachen, die wir sonst nirgendwo mitkriegen würden.“
Ulrich Sladkowski betont: „Ich kann nur jedem Unternehmen empfehlen, so eine Aktion zu veranstalten.“ Auszubildende werden neu motiviert und gleichzeitig auf die verantwortungsvollen Positionen im Markt vorbereitet. Die Auszubildenden der Rewe Mitte bestätigen das: „Ich wünsche mir oft mehr Verantwortung“, sagt auch Ferhat Güngör. Die Aktion gebe ihm deshalb neuen Antrieb.
Auch neue Azubis können durch solche Aktionen gewonnen werden. „Die Bewerberzahlen sind rückläufig“, sagt Organisatorin Heike Frey. Ein Projekt, das bei den Azubis so beliebt ist wie die Führung eines Marktes, entwickle immer eine eigene Zugkraft. Ramona Imgram und Nuran Günes, die die Azubis während des ganzen Projekts begleitet haben, sehen den entscheidenden Punkt jedoch in der Entwicklung der teilnehmenden Azubis: „Hier können junge Menschen beweisen, was sie alles können.“
Am Markteingang können die Kunden Payback-Punkte gewinnen, indem sie kräftig am Glücksrad drehen. Pizza wird vor Ort frisch aufgebacken und kann von den Kunden probiert werden. „Ich hatte von einem Kollegen gehört, dass das wirklich der Renner bei den Kunden ist und dann über den Vertrieb des Pizzaherstellers jemanden organisiert“, erklärt der Auszubildende Tom Wagner voller Stolz.
Heike Frey will sich dafür einsetzten, dass Azubis nun wieder regelmäßig einen Markt führen dürfen. „Auch wir vom Außendienst haben viel mitgenommen“, sagt Frey. Sinnvoll wäre es, alle drei Jahre die Azubis ans Ruder zu lassen, da so jeder in der dreijährigen Ausbildung einmal in den Genuss kommen könnte, eigenverantwortlich einen Markt zu führen. Den Teilnehmern ist das fast zu selten: „Ich würde nächstes Jahr direkt wieder mitmachen“, sagt Ali Barai.