Logistik Ausschau nach Auswegen

Die Logistik des Lebensmittel-Einzelhandels in Deutschland steht vor vielfältigen Herausforderungen. Verursacht sind sie durch die Überlastung von Straßen und Innenstädten. Verstärkt wir das Problem durch den Boom des Online-Handels. Auch die E-Food-Anbieter tragen dazu einen immer größeren Teil bei. Hinzu kommt ein drohendes Dieselfahrverbot. Die Betroffenen halten daher dringlich Ausschau nach Auswegen. Nachtlogistik oder emissionsarme Antriebe könnten Alternativen sein.

Montag, 04. Juni 2018 - Management
Martin Heiermann
Artikelbild Ausschau nach Auswegen
Bildquelle: Esso, Carsten Hoppen, Rewe, Deutsche Post DHL

In den Innenstädten erleben wir täglich einen Verkehrsinfarkt. Auch nehmen die Restriktionen für den Lkw-Verkehr zu.“ So beschreibt Birgit Heitzer, die Leiterin der Konzern-Logistik der Rewe-Group, die aktuelle Situation auf Deutschlands Straßen. Die Verkehrsinfrastruktur sei marode, Brücken für den Schwerverkehr gesperrt und Baustellen würden das Problem zusätzlich verschärfen. Milliardeninvestitionen in das Verkehrssystem seien daher absolut wichtig und richtig, mahnt sie bei der Politik. Heitzer spricht damit ein Problem an, das den gesamten Handel in Deutschland und darüber hinaus auch andere Branchen derzeit beschäftigt und dringend Lösungen verlangt.

Eine weitere Verschärfung der beschriebenen Situation ist zudem wahrscheinlich. Denn bekanntlich hat einerseits die Deutsche Umwelthilfe vor dem Bundesverwaltungsgericht die Möglichkeit eines Dieselfahrverbots durchgesetzt, das einzelne Städte erlassen können. Hamburg scheint hier die Vorreiterrolle übernehmen zu wollen. Andererseits nimmt der Lieferverkehr ständig weiter zu. Ursachen dafür sind sowohl der boomende Online-Handel, aber beispielsweise auch die gesteigerte Lieferfrequenz im Lebensmittel-Einzelhandel. Denn mehr Frische in den Regalen und auch kleinere Mengen, für häufig einkaufende bequeme Kunden sowie das Vermeiden von Out-of-Stock-Situationen bedeuten das häufigere Anfahren der einzelnen Verkaufsstellen.

Ein Plus von 30 Prozent
Das hat Konsequenzen: Wurden 2016 deutschlandweit 3,16 Milliarden Päckchen und Pakete ausgeliefert, wird sich das Volumen nach Einschätzung des Bundesverbands Paket- und Expresslogistik bis zum Jahr 2021 auf 4,15 Milliarden erhöhen. Das ist ein Plus von mehr als 30 Prozent. Daran beteiligt ist auch die steigende Nachfrage nach E-Food. So nahm der E-Commerce-Anteil bei Lebensmitteln nach Angaben des Handelsverbands Deutschland (HDE) im vergangenen Jahr um rund 21 Prozent zu, allerdings auf Basis eines niedrigen Niveaus. Weiter zugespitzt wird die Lage durch das Angebot der Belieferung am Bestelltag. Im Food-Bereich beispielsweise offerieren dies Amazon, die DHL Tochter Allyouneed oder Tiramizoo, an der DPD beteiligt ist. Die knappen Zeitfenster führen nach Ansicht von Branchenexperten zu einer höheren Tourenzahl bei geringerer Auslastung der Einzeltouren und damit verstärkt zu einer erhöhten Verkehrsdichte.

In der Folge sind die Auswirkungen des Lieferverkehrs vor allem in den Großstädten und Metropolen erheblich. Die damit einhergehende Schadstoffbelastung führt nun dazu, dass die Europäische Kommission angekündigt hat, die Bundesrepublik Deutschland zu verklagen. Zwei Untersuchungen machen deutlich, wie die Verhältnisse in den urbanen Zentren sind. So hat die Unternehmensberatung PwC festgestellt, dass 20 bis 30 Prozent des Stadtverkehrs auf die Güterzustellung entfällt. Gleichzeitig verursachen die größeren und kleineren Transporter aber etwa 80 Prozent des innerstädtischen Staus in Stoßzeiten. Parallel können die Verkehrsforscher der Bergischen Universität Wuppertal dazu Ergebnisse vorlegen. So hat Professor Bert Leerkamp errechnet, dass ein Güterfahrzeug durchschnittlich bei einer Stadtfahrt 2,58 Kilometer pro Stunde zurücklegt.

Rewe E-Food- Lager

Im neuen E-Commerce- Lager der Rewe im Umland von Köln, dem Food Fulfillment Center 2.0, soll für Bestellungen der Verbraucher kommissioniert werden. Die Waren werden für die Auslieferung in der jeweiligen Lieferregion bereitgestellt. Mehr als 20.000 unterschiedliche Produkte sind dort künftig zu finden. Auf die speziellen Anforderungen des Lebensmittel-Onlinehandels abgestimmte Prozesse wurden, so der Konzern, gemeinsam mit den Partnern entwickelt. Technologien der Intralogistik und innovative Automatisierungslösungen sind mit der Erfahrung des Unternehmens im Online- Handel mit frischen Lebensmitteln kombiniert worden. Die Auslieferung erfolgt mit eigenen Kühlfahrzeugen und Mitarbeitern. Man habe in den vergangenen Jahren rund 600 Millionen Euro in die Lager- und Logistikstrukturen investiert und werde auch in den nächsten Jahren weitere Investitionen tätigen.


Mögliche Lösung Nachtlogistik
Dass dies selbstverständlich nicht so weiter gehen kann, fordert Rewe-Logistikerin Heitzer: „Wir müssen dringend heute nach Lösungen suchen, wie wir in fünf oder zehn Jahren Ware in die Märkte bekommen“, erklärt sie. Entsprechend ist die Rewe Group aktiv geworden. Im vergangenen Jahr erprobte der Handelskonzern in Köln und Dortmund mit seinem Forschungsprojekt GeNaLog die Möglichkeit, seine Läden über Nacht mit Ware zu beliefern. Der Vorteil: Zu dieser Uhrzeit sind die Straßen leer. Aber auch Nachteile traten klar hervor. So muss das Fahren und Ausladen geräuscharm erfolgen, damit Anwohner in ihrer Nachtruhe nicht gestört werden. In diesem Punkt bekam Heitzer jedoch positive Rückmeldung: „Was auf den ersten Blick unversöhnlich scheint, passt doch zusammen, wie wir im Rahmen unseres Projektes gesehen haben. An allen drei Teststandorten im Kölner Stadtgebiet lagen wir unter den gesetzlichen Geräusch- und Emissionsvorgaben“, zieht sie Bilanz. Das Projekt GeNaLog habe gezeigt, dass es möglich ist, die Interessen der Anwohner mit denen der Lebensmittel-Logistik bei der Nachtzustellung in Einklang zu bringen. Heitzer fordert allerdings für eine Umsetzung Rechtssicherheit und damit erneut die Politik heraus: „Es muss zu einheitlichen Regelungen kommen, die über die jeweilige Stadt oder Kommune hinaus Gültigkeit haben.“ Ohne diese werde die Nachtlogistik niemals ihr volles Potenzial ausspielen. Zumal auch betriebswirtschaftlich noch nicht feststehe, wie viel Mehrkosten die Belieferung in der Nacht mit sich bringe. Kostenfaktoren könnten höhere Investitionen in die Technik, Veränderung von Abläufen in den Lagern oder Aufwendungen für eine spätere Warenannahme sein. Auch bauliche Veränderungen seien teils notwendig.

Auch bei den Drogeriemarktketten scheint man daran zu arbeiten, für die Zustellung möglichst verkehrsarme Zeiten zu nutzen. Rossmann beklagt sich darüber, dass eng gefasste Lieferzeiträume, die Anlieferung der Ware in die Innenstädte erschwere. Aufgrund eines hohen Lkw-Aufkommens führe das innerhalb dieser Zeiträume zu Blockierungen. Für dm beschreibt Michael Sternbeck, der die Drogerie-Filialbelieferung verantwortet, zwar nicht genauer, wie man dagegen vorgeht, erläutert aber gegenüber der Lebensmittel Praxis: „Wir arbeiten an einer weitgehenden Integration der innerstädtischen Situationen in unsere Logistikplanung.“ Dazu gehöre auch eine Anpassung der Liefertage, sodass man mit guter Auslastung möglichst wenige Fahrten erreichen werde.

Die Nachtlogistik beziehungsweise die Verschiebung in verkehrsarme Zeiten könnte also für die Versorgung stationärer Läden eine gangbare Alternative sein. Allerdings müssten noch einige Voraussetzungen erfüllt werden.

Für das BtoC-Geschäft, also den Online-Handel, ist Zustellung an private Kunden in der Nacht dennoch keine wirkliche Möglichkeit. Der größte Logistiker hierzulande, die Deutsche Post DHL, hat in einem Pilotprojekt rund um die Kofferraumzustellung eine Nachtlieferung zwischen 23 Uhr und 5 Uhr getestet. Dabei stellt das Unternehmen fest, dass die privaten Empfänger eine Auslieferung am Tag deutlich bevorzugen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der Logistiker, bei der Zustellung an private Empfänger in der Nacht wenig Potenzial sieht. Die Nachtruhe genieße privat Vorrang. Auch das Thema „Umpackzentren“ am Rande der urbanen Ballungsräume, zu dem es in den Niederlanden bereits einige Erfahrung gibt, sieht die Deutsche Post kritisch. Diese Variante sei vor allem für die Belieferung von Warenlagern großer Händler gedacht. Für die Zustellung an private Empfänger mit vielen Einzelsendungen sei das Modell wenig praktikabel. „Wir testen aber laufend neue Konzepte für die Belieferung der Verbraucher in Innenstädten und haben mit der Einführung der CO²-freien Zustellung in diversen deutschen Städten bereits einen wichtigen Schritt gemacht“, betont ein Sprecher des Logistikers. Damit sollen die Städte sowohl bei ihren Umweltschutzbestrebungen als auch bei der Reduktion von lautem Verkehr unterstützt werden. Längerfristig will die Post für die Paketauslieferung aber neue Zustellformen sowie neue Auslieferungsmodelle für Städte entwickeln – wie immer diese auch aussehen werden – und die Städte für die Pilotierung solcher Konzepte gewinnen.

40 Lkw- Fahrer

sucht die Drogeriemarkt- Kette Rossmann deutschlandweit. Ein Fahrermangel mache sich neben vielen anderen logistischen Problemen derzeit bemerkbar. Ältere gingen in Pension. Jüngere könnten sich diesen Beruf schwer vorstellen. Das Unternehmen setzt auf Jobmessen und Internetwerbung.


Alternativen: Diesel oder Strom
Natürlich verweist das Unternehmen in diesem Zusammenhang auch auf „seinen“ Streetscooter. An der Entwicklung und Weiterentwicklung des E-Transporters sind die Bonner über eine Tochtergesellschaft beteiligt. Für dessen Vertrieb ist die Deutsche Post DHL jetzt eine Kooperation mit den Ford-Transit-Centern eingegangenen. Die Center übernehmen in Deutschland den Verkauf und Service für die am Markt verfügbaren Streetscooter.

Kann die Deutsche Post auf eigene E-Fahrzeuge zurückgreifen, sind andere Logistiker beziehungsweise Händler auf die Angebotspalette weniger einschlägiger Hersteller angewiesen. Der Lebensmittel-Online-Händler Picnic, Newcomer in deutschen Markt, setzt beispielsweise auch auf E-Fahrzeuge aus Frankreich für die Auslieferung. Drogeriehändler dm verfolgt nach eigenen Angaben das Ziel der Umstellung der eigenen Lkw-Flotte auf schadstoffärmere Diesel- beziehungsweise auch auf Elektrofahrzeuge. Doch genau hier gibt es derzeit noch Probleme. „Bei unserem Test mit einem E-Truck in Köln haben wir feststellen müssen, dass auf Seiten der Industrie noch Optimierungsbedarf vorhanden ist“, meint dm-Logistik-Manager Sternbeck. Es gebe sowohl ökologisch als auch ökonomisch noch einiges zu tun, bevor die Produkte in Serie gehen könnten. Ein Bedarf sei jedenfalls vorhanden. Christian Bodi, Logistik-Geschäftsführer bei dm, wird noch deutlicher. Er verweist darauf, dass die Investitionen in einen E-Truck mehr als doppelt so hoch seien, wie für einen Diesel-Lkw.

Ähnlich wird die Lage beim Wettbewerber Rossmann eingeschätzt: „Innovationen im Bereich der Mobilität wie Lkw mit Elektro- oder Gas-Antrieb ziehen wir langfristig in Erwägung“, teilt das Unternehmen mit. Doch zum jetzigen Zeitpunkt sieht das Fazit wenig positiv aus. Der Drogeriemarkt-Betreiber sieht noch keine Lösungen für umweltfreundliche Antriebe, „die unsere Anforderungen abdecken“.

Dennoch gibt es Experimente im Lebensmittel-Einzelhandel mit neuen Antriebstechnologien. Auch der Discounter Aldi Süd ist dabei. Sowohl Erdgas-Lkw als auch Elektro-Lkw werden 2018 zunächst testweise in einzelnen Regionalgesellschaften eingesetzt. „Für das Logistik-Projekt arbeiten wir mit den Fahrzeugherstellern Iveco im Bereich Erdgas- und mit Framo im Bereich Elektro-Technologie zusammen“, sagt Andreas Kremer, Leiter Logistikmanagement bei Aldi Süd. Seit dem Frühjahr wird demnach jeweils ein Erdgas-Lkw in den Regionalgesellschaften mit Sitz in Butzbach, Ebersberg, Aichtal und Langenfeld unterwegs sein. Die Einsatzgebiete liegen damit im Umland von Frankfurt, im Großraum München, Stuttgart sowie Düsseldorf. Im Sommer soll ein Elektro-Lkw in Mülheim/Ruhr und Umland eingesetzt werden.

Rewe-Managerin Heitzer wartet auf weitere technische Fortschritte bei der Elektromobilität: „Sofern das Reichweitenproblem gelöst wird, und es eine echte Massenproduktion für größere Fahrzeuge gibt, sehen wir ein deutliches Potenzial.“ Bis dahin setzt der Handelskonzern bei seiner Lkw-Flotte auf moderne Dieseltechnologie. Diese erfülle bereits den Euro-6-Standard. Heitzer ist aber überzeugt, dass die Diskussion um Fahrverbote die Entwicklung alternativer Antriebstechniken und alternativer Kraftstoffe beschleunige.

Für den Onlinehandel sieht die Post die E-Mobilität uneingeschränkt als Technologie der Zukunft. Aus diesem Grund stellt der Logistiker seine Zustellflotte sukzessive auf Streetscooter um. Mit rund 6.000 E-Transportern haben die Bonner schon jetzt die größte E-Flotte im Nutzfahrzeugbereich.

Problempunkt Batterie
Insgesamt sehen Experten alternative Antriebsformen und gerade auch die Elektromobilität weiterhin skeptisch. Die Batterie für einen Elektro-Lastwagen sei sehr teuer, wiege mehrere Tonnen, brauche viel Platz und bedeute für Speditionen und Logistiker selbst beim Aufbau eines großen Schnellladenetzes lange Stehzeiten, erklärte Bernd Heid von der Unternehmensberatung McKinsey. Reto Leutenegger vom Schweizer Elektro-Lkw-Hersteller Eforce One, meint, es sei fast nicht möglich, E-Lkw wirtschaftlich zu betreiben. Der Strom sei teuer, die Batterie allein koste 200.000 Euro, und der bürokratische Aufwand für staatliche Zuschüsse sei hoch. Kunden, die den elektrischen 18-Tonner von Eforce zur Belieferung von Supermärkten einsetzten, hätten sich auch über zu wenig Nutzlast beklagt. Für Unternehmensberater Heid und den Mercedes-Benz-Lkw-Chef Stefan Buchner ist langfristig der Wasserstoffantrieb eine Alternative. Ein Netz von tausend Wasserstoff-Tankstellen würde reichen. Der Aufbau solcher Infrastruktur würde eine Milliarde Euro kosten. Bis dahin gäbe es keine Alternative zum Dieselmotor.

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